BIOKAND Quellen und Methoden

a) Allgemeine Quellenlage: Biographien deutscher Parlamentarier(1)(1) Zu folgendem vgl. ausführlicher: Wilhelm Heinz Schröder, Lebenslaufforschung zwischen biographi scher Lexikographik und kollektiver Biographik: Überlegungen zu einem „Biographischen Handbuch der Parlamentarier in den deutschen Reichs- und Landtagen bis 1933“ (BIOPARL), in: Historical Social Research/Historische Sozialforschung 31, 1984, S. 38-62.

Die Veröffentlichungen zur Entstehung und Entwicklung des Parlamentarismus in den westlichen Industrieländern sind zahlreich und verweisen auf eine lange Forschungstradition im Schnittfeld verschiedener Wissenschaftsdisziplinen, insbesondere von Politik- und Sozialgeschichte, Politikwissenschaft und politischer Soziologie. Auch die Sozialstruktur nationaler, weniger regionaler Parlamente war bislang regelmäßig Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen; solche Arbeiten entstanden vorrangig im Rahmen der Erforschung politischer Eliten bzw. Führungsgruppen und wurden je nach angestrebter Erkenntnisrichtung mit der Forschung zur allgemeinen Analyse gesamtgesellschaftlicher Strukturen und Prozesse mit spezifischen Forschungsfeldern – vor allem der Wahl-, Parlamentarismus-, Parteien- und Verbändeforschung – verknüpft. (2)(2) Für die Vielzahl von Forschungsfeldern und Studien vgl. u. a. die Forschungsberichte von: Fred I. Greenstein/Nelson W. Polsby (Hrsg.), Micropolitical Theory, Reading u. a. 1975; Robert D. Put nam, The Comparative Study of Political Elites, Englewood Cliffs 1976; Jürgen Hartmann, Parteienforschung, Darmstadt 1979; Dietrich Herzog, Politische Führungsgruppen, Darmstadt 1982. – Für den deutschen historischen Kontext vgl. die Forschungsberichte von: Otto Büsch, Historische Wahlforschung als Zugang zur Geschichte, in: Otto Büsch/Monika Wölk/Wolfgang Wölk (Hrsg.), Wählerbewegung in der deutschen Geschichte, Berlin 1978, S. 1-36; Peter Steinbach, Stand und Methode der historischen Wahlforschung, in: Hartmut Kaelble u. a. (Hrsg.), Probleme der Modernisierung in Deutschland, Opladen 1978, S. 171-234; Heinrich Best, Recruitment, Careers and Legislative Beha vior of German Parliamentarians, in: Historical Social Research/ Historische Sozialforschung 23, 1982, S. 20-54. – Sammelbände mit Beiträgen der deutschen Forschung u. a.: Gerhard A. Ritter (Hrsg.), Die deutschen Parteien vor 1918, Köln 1973; ders. (Hrsg.), Gesellschaft, Parlament und Regierung, Düsseldorf 1974. Zum einen geht es bei der Elitenforschung darum, durch die Untersuchung der Zusammensetzung, der Rekrutierung, der Verflechtung, der Transformation usw. von Eliten Erkenntnisse zu gewinnen über die Sozialstruktur, das Schichtgefüge, die Mobilitätsprozesse einer Gesellschaft und den damit verbundenen Wandel (Thema: „Elite als Index der Sozialstruktur“). Zum anderen geht es darum, durch die Analyse der Herkunft, der Wertvorstellungen, der Kohärenz, der Zirkulation, der Machtstellung usw. von Eliten Erkenntnisse zu gewinnen über die sozialen Grundlagen und Bedingungen politischer Prozesse und über die Determinanten des politischen Handelns und Verhaltens von Eliten. Parlamentarische „Eliten“ werden in unserem Zusammenhang im Sinne der Definition von „Funktionseliten“ verstanden. „Funktionseliten“ sind demnach „die mehr oder weniger geschlossenen sozialen und politischen Einflußgruppen, welche sich aus den breiten Schichten der Gesellschaft und ihren größeren und kleineren Gruppen auf dem Wege der Delegation oder der Konkurrenz herauslösen, um in der sozialen oder der politischen Organisation des Systems eine bestimmte Funktion zu übernehmen“. (3)(3) Otto Stammer, Das Elitenproblem in der Demokratie, in: Wilfried Röhrich (Hrsg.), Demokratische Elitenherrschaft, Darmstadt 1975, S. 202.

Eine der Hauptquellen der Forschung über politische Eliten stellen die Lebensläufe bzw. Biographien der Elitenmitglieder dar. Entgegen der einseitigen Fixierung auf bestimmte biographische Merkmale und einzelne Lebensphasen wird in der neueren Forschung in zunehmendem Maße der Lebenslauf als Ganzes thematisiert, auch wenn der faktische Schwerpunkt sicherlich auf den Phasen des Erwachsenenalters liegt. (4)(4) Vgl. u. a.: Martin Kohli (Hrsg.), Soziologie des Lebenslaufs, Darmstadt/Neuwied 1978; Daniel Ber taux (Hrsg.), Biography and Society, Beverly Hills/London 1981; Lutz Niethammer (Hrsg.), Lebenserfahrung und kollektives Gedächtnis, Frankfurt a. M. 1980; Grete Klingenstein/Heinrich Lutz/ Gerald Stourzh (Hrsg.), Biographie und Geschichtswissenschaft, München 1979; Sigrid Paul, Begegnungen – Zur Geschichte persönlicher Dokumente in Ethnologie, Soziologie und Psychologie, Hohenschäftlarn 1979; Wilhelm Heinz Schröder (Hrsg.), Lebenslauf und Gesellschaft, Zum Einsatz von kollektiven Biographien in der historischen Sozialforschung, Stuttgart 1985; Werner Fuchs, Biographische Forschung, Opladen 1984. In der Geschichtswissenschaft und in ihren Nachbardisziplinen wird die dafür entwickelte methodische Vorgehensweise überwiegend als „kollektive Biographie“ bezeichnet (5)(5) Für „kollektive Biographie“ wird auch gelegentlich der Begriff „Prosopographie“ benutzt, was allerdings zu Mißverständnissen mit der herkömmlichen Bedeutung von „Prosopographie“ im Rahmen der Altertumswissenschaft führt, vgl.: Lawrence Stone, Prosopographie, in: Konrad H. Jarausch (Hrsg.), Quantifizierung in der Geschichtswissenschaft, Düsseldorf 1976, S. 64-97; Prosopographie als Sozialgeschichte? Methoden personengeschichtlicher Erforschung des Mittelalters, München 1978.. „Kollektive Biographie“ kann man definieren als: die theoretisch und methodisch reflektierte, empirische, besonders auch quantitativ gestützte Erforschung eines historischen Personenkollektivs in seinem gesellschaftlichen Kontext anhand einer vergleichenden Analyse der individuellen Lebensläufe der Kollektivmitglieder. (6)(6) Wilhelm Heinz Schröder, Kollektive Biographien in der historischen Sozialforschung, Eine Einführung, in: ders. (Hrsg.), Lebenslauf und Gesellschaft, S. 7-17 (hier: S. 8). Kollektive Biographik ermöglicht eine doppelte Erkenntnisrichtung: sie läßt einerseits Rückschlüsse auf das Typische, das Allgemeine zu, d. h. auf allgemeinere gesellschaftliche Aggregate oder auf die Gesamtgesellschaft selbst – und dies ist zweifellos die eindeutig dominierende Erkenntnisrichtung in der Forschungspraxis; andererseits läßt sie auch den Rekurs auf das Untypische, das Abweichende, das Individuelle zu, d. h. auf kleinere gesellschaftliche Aggregate oder auf den individuellen Lebenslauf selbst. Die bekannteste Anwendung von kollektiver Biographie innerhalb der Erforschung politischer Führungsgruppen stellt der sogenannte karrieretheoretische Ansatz dar, der die Rekrutierung von politischem Führungspersonal „als einen kollektiven soziopolitischen Prozeß insgesamt zu erfassen“ (7)(7) Dietrich Herzog, Politische Karrieren, Opladen 1975, S. 89. versucht. Karriere wird hier in einem engeren Sinne verstanden als „Sequenz von Positionen, die Personen typischerweise auf ihrem ‚Weg zur Spitze’ durchlaufen“(8)(8) Dietrich Herzog, Karrieren, S. 89., oder in einem weiteren Sinne als „eine nach der Zeit geordnete Sequenz von Konfigurationspositionen zur Beobachtung eines einzelnen Phänomens“ (9)(9) Wilhelm Heinz Schröder, Die Lehrkörperstruktur der TH Berlin 1879-1945, in: Reinhard Rürup (Hrsg.), Wissenschaft und Gesellschaft, Berlin/Heidelberg/New York 1979, Bd. 1, S.51-114, 592-610 (hier: S. 59). im Lebenslauf.

Eine umfassende Erschließung von biographischen Merkmalen – wie sie z. B. Dietrich Herzog in seinem „Prozeßmodell der politischen Elitenrekrutierung“ vorstellt(10)(10) Dietrich Herzog hat sein Modell am Beispiel der Selektion und Professionalisierung von politischen Führungsgruppen, die zum Zeitpunkt der Untersuchung in der Bundesrepublik agierten, umgesetzt. Unter diesen aktuellen Umständen konnte er neben objektivierbaren individuellen Merkmalen, wie sie sich z. B. aus gedruckten biographischen Quellen gewinnen lassen, auch subjektive Motivationen, Einstellungen und Persönlichkeitsmerkmale durch Interviews mit den betroffenen Politikern erschließen. – ist für historische Forschungsarbeiten keinesfalls typisch und in der Regel auch nicht realisierbar. Vor dem Hintergrund dieses Rekrutierungsmodells lassen sich jedoch leicht aus der bisherigen Forschung zu Parlamentarierkollektiven solche Merkmalsgruppen/Informationssegmente bestimmen und zusammenstellen, die sich zur Rekonstruktion individueller, auch historischer Parlamentarierlebensläufe eignen, und zwar:

  • Informationen zum Personenstand:
    Geburts- und Sterbedaten, Beruf des Vaters, Religionsbekenntnis, Familienstand …;
  • Informationen zur Sozialisation:
    Schul-, Hochschul-, Berufsausbildung, Militärdienst, regionale Mobilität, Eintritt in die politische Bewegung, Dauer der unselbständigen „privaten“ Berufstätigkeit …;
  • Informationen zu Persönlichkeitsmerkmalen:
    „akzessorische“ Eigenschaften, innere Antriebskraft, innere Widerstandsfähigkeit, intellektuelle Fähigkeit, Kommunikationsfähigkeiten, Präsentationseigenschaften, Verhaltensstil, moralische Eigenschaften …;
  • Informationen zur hauptamtlichen Berufskarriere:
    alle hauptamtlichen Berufspositionen bzw. Positionen, die als Haupterwerb dienen – nicht jedoch die oben subsumierte unselbständige „private“ Tätigkeit;
  • Informationen zu öffentlichen Ämtern:
    alle wichtigen ehren- und nebenamtlichen Ämter – soweit sie nicht schon bei den hauptamtlichen Tätigkeiten mit eingehen;
  • Informationen zu Partei-, Verbands- und Organisationsfunktionen:
    alle wichtigen ehren- und nebenamtlichen Funktionen – soweit sie nicht schon bei hauptamtlichen Tätigkeiten mit eingehen;
  • Informationen zu parlamentarischen Mandaten und Ämtern: alle Mandate einschließlich Informationen zum jeweiligen Wahlkreis; alle wichtigen ehren- und nebenamtlichen Ämter – soweit sie nicht schon bei den hauptamtlichen Tätigkeiten und bei den anderen ehrenamtlichen Funktionen mit eingehen.

Methodisch-empirisch erfolgt die Anwendung des Modells hauptsächlich durch die longitudinale Rekonstruktion von Lebenslaufsequenzen und deren vergleichende Analyse; als Quellen dienen hierfür in erster Linie die Biographien der zu untersuchenden Personen. Inwieweit sich dieses Modell auch für Untersuchungen über historische Personenkollektive nutzen läßt, hängt im entscheidenden Maße von den verfügbaren biographischen Quellen ab.

Ein biographisches Handbuch aller deutschen Parlamentarier in den Reichstagen und in den Landtagen fehlt bislang und kann als eines der dringlichsten Desiderata der deutschen Parlamentarismus-, Parteien- und Wahlforschung gelten. Nominell betrachtet, besteht für die deutschen Reichstagsabgeordneten kein Bedarf nach einem biographischen Handbuch, da mit der Edition von Max Schwarz ein solches Handbuch vorzuliegen scheint.

Biographisches Handbuch der Reichstage (11)(11) Max Schwarz, MdR, Biographisches Handbuch der Reichstage, Hannover 1965. – Im internationalen Vergleich liegen vor allem folgende Handbücher vor: Biographical Directory of the American Congress 1774-1961, Washington (D. C.) 1961; Jean Jolly (Hrsg.), Dictionnaire Parlamentaires Français, Notices Biographiques sur les Ministres, Senateurs et Deputies Français de 1889 ä 1940, Paris 1960 ff.; Michael Stenton (Hrsg.), Who’s Who of British Members of Parliament, London 1976 ff.

Die Verdienste von Max Schwarz sind unbestreitbar: er hat erstmalig ein vollständiges Verzeichnis aller 5 370 Abgeordneten, die den Nationalversammlungen von 1848/49 und 1919/20 sowie den verschiedenen Reichstagen von 1867 bis 1933 angehört haben, hergestellt und sie mit kurzen biographischen Annotationen versehen. Diese biographischen Annotationen enthalten nach Möglichkeit: Berufsangabe, Religionsbekenntnis, Fraktionszugehörigkeit, Geburts- und Todesdaten, Mandatsdauer und den Wahlkreis des Abgeordneten. Nicht so sehr die unübersehbaren Fehler im biographischen Detail fordern die Kritik an Max Schwarz heraus – solche Fehler sind angesichts der schwankenden Zuverlässigkeit biographischer Quellen oft unvermeidbar und liegen nicht in der Verantwortlichkeit des Forschers -, sondern es ist vor allem der prätentiöse Titel, der beim Nutzer weitgespannte Erwartungen weckt, die dann durch das Handbuch nicht erfüllt werden. Max Schwarz hat sich eng an das Vorbild des wahlstatistischen Handbuchs von Fritz Specht und Paul Schwabe (12)(12) Fritz Specht/Paul Schwabe, Die Reichstagswahlen 1867-1907, 3. Aufl., Berlin 1908. angelehnt, das in seiner letzten (3.) Auflage u. a. auch die Namen aller Parlamentarier des Zoll-Parlaments, des Konstituierenden, des Norddeutschen und des Deutschen Reichstages (1867-1907) kompiliert und mit knappen biographischen Annotationen versehen ist. Im Gegensatz zu Max Schwarz erheben Specht/Schwabe nicht den Anspruch, damit ein biographisches Handbuch der deutschen Reichstage erstellt zu haben, sondern betrachten ihre Kompilation als das, was sie auch tatsächlich darstellt: als ergänzenden biographischen Index zur detaillierten Statistik der Reichstagswahlen seit 1867, die bei Specht/Schwabe eindeutig das Hauptanliegen ihres Handbuches darstellt. Die Leistung von Max Schwarz besteht einerseits in der Korrektur und Ergänzung der Kompilation von Specht/Schwabe, andererseits in der Herstellung eines entsprechenden Verzeichnisses für die beiden Nationalversammlungen 1848/49 und 1919/20 sowie für die Reichstage von 1907 bis 1933.

Wer also über die knappen, nicht immer vollständigen und nicht immer verläßlichen Angaben bei Max Schwarz hinaus biographische Informationen über Reichstagsabgeordnete finden will, muß den beschwerlichen Weg der Quellenrecherche beschreiten. Im Vergleich mit der Informationssituation über Biographien der deutschen Landtagsabgeordneten muß dagegen die Situation für die Reichstagsabgeordneten allerdings als verhältnismäßig günstig angesehen werden. Geht man davon aus, daß der „normale“ Interessent an biographischer Information über Abgeordnete keine aufwendigen archivalischen Recherchen betreiben kann, sondern auf die Benutzung von verfügbaren gedruckten Quellen angewiesen ist, kann er sich zur Zeit auf folgende Hauptquellen stützen:

Parlamentshandbücher (Querschnittserhebungen) (13)(13) Die diversen Parlamentshandbücher sind u. a. bibliographisch erfaßt bei: Gerhard A. Ritter/Merith Niehuss, Arbeitsbuch, S. 196-198; Martin Schumacher, Wahlen und Abstimmungen 1918-1933, Düsseldorf 1976; ders., Deutsche Parlamentshandbücher. Bibliographie und Standortnachweis. Düsseldorf 1986.

In der Regel liegt für jeden Reichstag (Ausnahme 1867) ein amtliches und/oder nichtamtliches Parlamentshandbuch vor, in dem u. a. die von den Abgeordneten selbst verfaßten Kurzbiographien enthalten sind. Da für diese Kurzbiographien keine Informationssegmente vorgegeben waren, stand es im Belieben der Abgeordneten, über die verbindlichen Formalia (z. B. Wohnort und Geburtsdaten) hinaus biographische Angaben zu machen, entsprechend unterschiedlich fiel der Informationsgehalt der Kurzbiographien aus. Analog zu der amtlichen Ausgabe wurden meistens nicht-amtliche Volks-Handbücher erstellt, die ebenfalls Kurzbiographien der Abgeordneten enthielten, wobei – angesichts der Adressaten – eine Reihe von Parlamentariern ihre Kurzbiographie funktional modifizierte. Da nicht immer Nachträge in den amtlichen Parlamentshandbüchern erstellt worden sind, fehlt eine Reihe von solchen Abgeordneten, die durch Nachwahlen in der laufenden Legislaturperiode in den Reichstag einzogen. In der Regel liegen nur für die Landtage der größeren Länder (Preußen, Bayern, Baden, Württemberg, Sachsen, Hessen) – meist allerdings unvollständig bzw. lückenhaft – amtliche bzw. nicht-amtliche Parlamentshandbücher vor. Das größte Defizit besteht zweifellos für die Zeit vor 1890/1900, dennoch ist mit Erstaunen zu vermerken, daß auch in der Weimarer Republik die einzelnen Landtage wenig Wert auf die periodische Herausgabe von Parlamentshandbüchern legten (Ausnahmen z. B.: Mecklenburg-Schwerin, dagegen Sachsen kein Handbuch), so daß sich die Quellenlage im Hinblick auf die Handbücher auch in diesem Zeitabschnitt kaum gegenüber der letzten Phase des Kaiserreichs verbesserte.

Degener „Wer ist’s?“ (Querschnittserhebungen)(14)(14) Hermann A. L. Degener (Hrsg.), Wer ist’s (Unsere Zeitgenossen), Leipzig 1906-1928; die Ausgabe von 1935 hatte – den veränderten politischen Gegebenheiten gemäß – überwiegend die Abgeordneten von Weimar nicht mehr aufgenommen.

Neben den Parlamentshandbüchern zählen die Zeitgenossen-Handbücher von Degener zweifellos zu den wichtigsten biographischen Quellen. Für die Erhebung der Kurzbiographien verschickte die Handbuch-Redaktion standardisierte Fragebögen an die „relevanten“ Zeitgenossen, die zu fast allen Informationssegmenten, wie wir sie oben beschrieben haben, befragt wurden. Wenn es auch hier jedem Befragten freistand, die Fragen überhaupt und wenn, wie ausführlich und wahrheitsgemäß, zu beantworten, enthalten die Kurzbiographien oft Informationen, die durch keine andere Quelle zu gewinnen sind. Seit der ersten Ausgabe von „Wer ist’s?“ (1905) zählten alle Reichstagsabgeordneten zu den „bedeutenden“ Zeitgenossen. Daß dennoch viele Reichstagsabgeordnete nie in einer Ausgabe von „Wer ist’s?“ aufgenommen worden sind, liegt weniger an der Auskunftsverweigerung der Abgeordneten, sondern im Erhebungsprinzip des Handbuchs begründet: aufgenommen wurden nur diejenigen MdR, die zu einem bestimmten Stichtag Mitglied des Reichstags waren; entsprechend wurden alle Abgeordneten, deren Mandatszeit zwischen zwei Erhebungszeitpunkte fiel, nicht aufgenommen. Dieses Defizit betrifft weniger die Zeit vor dem I. Weltkrieg, wo bei nur zwei Reichstagswahlen (1907, 1912) allein sieben Ausgaben (1905, 1906, 1907, 1908, 1910, 1912, 1914) erschienen sind, sondern vor allem die Phase von 1914 bis 1933, wo bei neun Reichstagswahlen (1919, 1920, 1924 Mai + Dezember, 1928, 1930, 1932 Juli + November, März 1933) und bei ständig wachsender Gesamtzahl der gewählten Abgeordneten pro Reichstagswahl (von 421 auf 647 MdR) insgesamt nur zwei Ausgaben (1922, 1928) erstellt worden sind. Die Landtagsabgeordneten zählten bis 1914 in der Regel nicht zu den „bedeutenden“ Zeitgenossen, soweit sie sich nicht noch durch andere Ämter qualifizierten. In den Ausgaben 1922 und 1928 wurden dagegen in toto die preußischen Landtagsabgeordneten und auswahlweise die der anderen größeren Länder in den relevanten Personenkreis aufgenommen. Bedenkt man die Erhebungslücken und den festgestellten zeitgleichen Mangel an Parlamentshandbüchern, dann ist die weit überwiegende Mehrheit der MdL in der Weimarer Republik weder im „Wer ist’s?“ aufgenommen, noch in einem Parlamentshandbuch biographisch dokumentiert worden.

Biographisch annotierte Gesamtverzeichnisse (Längsschnittserhebungen)

Eine umfassende Kompilation der Reichstagsabgeordneten liegt mit dem Handbuch von Max Schwarz vor; ein vergleichbares Verzeichnis – allerdings in unserem Kontext weniger relevant – liegt für die Bundestagsabgeordneten vor.(15)(15) Peter Schindler, Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestages 1949 bis 1982, 3. Aufl., Baden-Baden 1984. Eine vergleichbare Kompilation für sämtliche deutsche Landtagsabgeordnete bis 1933 gibt es nicht. Selbst für Einzellandtage liegen bislang nur drei wissenschaftlich bearbeitete Gesamtverzeichnisse vor: das Handbuch aller hessischen Landtagsabgeordneten 1820-1933, aller Abgeordneten von Schaumburg-Lippe 1816-1946 und aller Landtagsabgeordneten von Waldeck 1848-1929. (16)(16) Hans G. Ruppel/Birgit Groß, Hessische Abgeordnete 1820-1933, Darmstadt 1980; Heinrich Lathwesen, Der Schaumburg-Lippische Landtag und seine Abgeordneten, Bückeburg 1974; Reinhard König, Die Abgeordneten des Waldeckischen Landtags von 1848 bis 1929, Marburg 1985. – Ver gleichbare Handbücher für die Landtage von Preußen (Abgeordnetenhaus bis 1918, bearbeitet von Bernhard Mann) und Oldenburg (bis 1933, bearbeitet von Albrecht Eckhardt) stehen vor dem Abschluß. Ansonsten liegen in gedruckter Form nur noch einige biographisch annotierte Detailverzeichnisse vor, wie z. B. das aller Abgeordneten der Landtage von Württemberg und Baden 1919-1933. (17)(17) Josef Welk, MdL und Landtagsgeschichte von Baden-Württemberg 1945-1984, Biographisches Gesamtverzeichnis der Abgeordneten der Länder Baden, Württemberg-Baden, Württemberg-Hohenzollern 1946-1952, Baden-Württemberg 1952-1984, mit Verzeichnis der Abgeordneten von Baden und Württemberg 1919-1933, 3. Aufl., Stuttgart 1984; ein Verzeichnis der Abgeordneten des Freistaates Lippe 1919-1933 (ohne biographische Annotationen) in: Hans Hüls, Wähler und Wahlverhalten im Lande Lippe während der Weimarer Republik, Detmold 1974, S. 125-156; in Form einer Kartothek steht im Hamburger Staatsarchiv bzw. in der Bürgerschaft ein biographisch annotiertes Verzeichnis der Mitglieder der Hamburger Bürgerschaft bis 1957 zur Einsicht; in Form einer Kartothek steht ebenfalls (allerdings ohne biographische Annotationen) in der Bremer Bürgerschaft ein Verzeichnis der Mitglieder der Bürgerschaft 1919-1933 zur Verfügung. Für die preußischen Provinziallandtage wurde bislang nur ein Gesamtverzeichnis der Abgeordneten für die Provinz Westfalen erstellt. (18)(18) Die Abgeordneten des Westfalenparlaments 1826-1978, zusammengestellt von Josef Häming hrsg. v. Alfred Bruns, Münster 1978 – Nachtrag 1983, Münster 1984. – Ein vergleichbares Verzeichnis ist für die Provinz Rheinland in Bearbeitung.

Sonstige biographische Nachschlagewerke

In den allgemeinen biographischen Nachschlagewerken wie ADB, Biographische Jahrbücher, NDB, das Staatshandbuch von Kosch, die umfänglichen Editionen von regionalbezogenen Biographien etc., findet sich nur eine äußerst begrenzte Auswahl relevanter Parlamentarier, deren Biographien meist auch in den vorher genannten Quellen gut dokumentiert sind. (19)(19) Allgemeine Deutsche Biographie; Biographisches Jahrbuch und deutscher Nekrolog; Deutsches Biographisches Jahrbuch; Neue Deutsche Biographie; Wilhelm Kosch, Biographisches Staatshandbuch, 2 Bde., Berlin/München 1963. – Biographische Sammlungen gibt es fast für alle deutschen Länder, meist umfassen sie zahlreiche Einzelbände, sind jedoch weit überwiegend auf Personen beschränkt, die vor 1850 aktiv waren und die „traditionale“ Relevanzanforderungen erfüllten: z. B. Badische Biographie, Schleswig-Holsteinische Biographie …, Schlesische Lebensbilder, Pfälzische Lebensbilder … oder jüngst: Karl Bosl (Hrsg.), Bayerische Biographie, Regensburg 1983. Die große Masse der Parlamentarier bleibt hier unberücksichtigt. Einige wenige Ausnahmen sind im Bereich der Parteien- und Verbändeliteratur vorhanden, wo zu bestimmten Anlässen auch Sammlungen von kurzen Biographien der Funktionäre (darunter auch Parlamentarier) publiziert worden sind, diese wenigen Sammlungen zählen jedoch meist zur „grauen“ Literatur und sind schwer nachzuweisen und noch schwerer zu beschaffen. (20)(20) Z. B.: Jörg Schadt/Wolfgang Schmierer (Hrsg.), Die SPD in Baden-Württemberg und ihre Geschichte, Stuttgart usw. 1979, S.236-351; Hermann Kalkoff, Nationalliberale Parlamentarier 1867-1917 des Reichstages und der Einzellandtage, Berlin 1917; Taschenbuch der Reichstagswahlen, Berlin 1912; oder die noch unten zu beschreibenden Ausgaben des Handbuchs des Vereins Arbeiterpresse.

Der „Normal“-Nutzer verwendet die genannten Hauptquellen als alleinige Hilfsmittel bei der Recherche nach der Biographie eines Parlamentariers. Dies hat fatale Folgen für die allgemeine Informationssituation. Die Nutzung der gedruckten Quellen setzt zunächst voraus, daß die verschiedenen Ausgaben der jeweiligen Parlamentshandbücher und von Degener „Wer ist’s?“, die Gesamt- bzw. Teilverzeichnisse und die sonstigen biographischen Nachschlagewerke zur unmittelbaren Einsicht dem Nutzer vorliegen. Auch in dieser Hinsicht vorzüglich ausgestattete Großbibliotheken verfügen bestenfalls über einen einschlägigen Teilbestand, d. h. der fehlende Bestand muß erst über die Fernleihe besorgt werden. Ein solcher Aufwand hat zweifellos restriktive Wirkung und wird von einem Nutzer, der sich nur für die Biographie eines Parlamentariers oder nur weniger Parlamentarier interessiert, wohl kaum betrieben werden. Aber selbst wenn er diesen Aufwand betreibt, hätte er doch keine Garantie, überhaupt irgendwelche Informationen über die Biographie eines Parlamentariers erschließen zu können. Selbst wenn die Quellen vollständig verfügbar und biographische Informationen über den gesuchten Parlamentarier dort enthalten sind, gibt es zudem keinerlei Gewähr dafür, daß diese biographischen Informationen in hinreichender Vollständigkeit und in zuverlässiger Qualität vorliegen.

Denn Datendefizite und Datendefekte sind in nahezu allen Kurzbiographien der Parlamentshandbücher etc. enthalten und sind meist bewußt und in konkreter Absicht in den autobiographischen Informationen angelegt: dort werden relevante biographische Daten ganz oder teilweise weggelassen, modifiziert oder entstellt. Dieser „funktionale“ Gebrauch biographischer Angaben resultiert vor allem aus der Erwartung der Abgeordneten, daß die Veröffentlichung biographischer Daten einen bestimmten Einfluß auf ihre Karrierechancen nehmen könnte und daß von daher die Diskrepanz zwischen erwünschtem (d. h. karrierekonformen) und faktischem Lebenslauf durch Manipulation sowie durch Intra-, Inter- und Extrapolation von biographischen Daten aufgehoben werden müßte. (21)(21) Vgl. Wilhelm Heinz Schröder, Probleme und Methoden, S.88-125; auch: Martin Schumacher, Agrarische Wahlbewerbungen zum Reichstag 1912-1920/22, in: Peter Steinbach (Hrsg.), Probleme politischer Partizipation im Modernisierungsprozeß, Stuttgart 1982, S. 353-375.

Auch der „Normal“-Nutzer müßte daher alle anderen Quellen, wie sie oben erläutert worden sind, auswerten – eine Notwendigkeit, die in der Regel nicht realisiert werden kann. Diese unzureichende Informationssituation – insbesondere für die Parlamentarier der deutschen Landtage – findet ihre Entsprechung auf der Forschungsebene: im Hinblick auf die moderne Eliten- und Lebenslaufforschung fehlen bislang kollektive Biographien über die Abgeordneten der deutschen Reichs- und Landtage.(22)(22) Die bisherigen Studien zur Sozialstruktur der deutschen Reichstagsabgeordneten weisen eine Reihe von methodischen und quellenmäßigen Schwächen auf, so bei: Louis Rosenbaum, Beruf und Herkunft der Abgeordneten zu den Deutschen und Preußischen Parlamenten 1847-1919, Frankfurt a. M. 1923; Walther Kamm, Abgeordnetenberufe und Parlament, Karlsruhe 1927; Adolf Borell, Die soziologische Gliederung des Reichsparlaments als Spiegelung der politischen und ökonomischen Konstellationen, Gießen 1933; Willy Kremer, Der soziale Aufbau der Parteien des Deutschen Reichstages von 1871-1918, Emsdetten 1934; Karl Demeter, Die soziale Schichtung des Deutschen Parlaments seit 1848, in VSWG 39, 1952, S. 1-29; auch: Viola Gräfin von Bethusy-Huc, Die soziologische Struktur Deutscher Parlamente, Bonn 1958; Peter Molt, Der Reichstag vor der improvisierten Revolution, Köln/Opladen 1963. – Die erste kollektiv-biographische Studie über alle Abgeordneten der nationalen Parlamente in Deutschland 1848-1933 von Heinrich Best steht vor ihrem Abschluß. Entsprechend fehlen vergleichende kollektive Biographien, z. B. Vergleiche auf interregionaler bzw. überregionaler Ebene (Vergleich von einzelnen Länderparlamenten untereinander bzw. von Einzelländerparlamenten mit den Reichstagen) und ebenso auf internationaler Ebene (z. B. Vergleich von Reichstagen mit Nationalparlamenten anderer Staaten).(23)(23) Erste Ansätze zum internationalen Vergleich bei: Heinrich Best, Biographie und politisches Verhalten: Wirtschaftliche Interessen, Sozialisationserfahrungen und regionale Bindungen als Determinanten parlamentarischen Entscheidungshandelns in Deutschland, Frankreich und Großbritannien um die Mitte des 19. Jahrhunderts, in: Wilhelm Heinz Schröder (Hrsg.), Lebenslauf und Gesellschaft, S. 181-209. Insgesamt wird hier ein gravierendes Forschungsdefizit der deutschen Parlamentarismusforschung erkennbar.

b) Spezifische Quellenlage: Biographien sozialdemokratischer Parlamentarier und Funktionäre

Nach der Beschreibung der allgemeinen Informationssituation für Parlamentarier-Biographien vermag die Grunderkenntnis, die der Forscher auf der Suche nach Biographien sozialdemokratischer Abgeordneter gewinnt, nicht mehr besonders zu überraschen. Nahezu unabhängig davon, welche Funktionen diese Persönlichkeiten zu ihren Lebzeiten erfüllten und welche Bedeutung ihnen dauerhaft oder vorübergehend zugemessen wurde, lassen sich nur schwer, wenn überhaupt, ausreichende biographische Informationen recherchieren, um ihren Lebenslauf nach Maßgabe der kollektiven Biographik hinreichend rekonstruieren zu können. Dieses Phänomen kann als weitgehende „Geschichtslosigkeit“ der überwiegenden Mehrheit der sozialdemokratischen Parlamentarier beschrieben werden; in diesem umfangreichen Kreis von „geschichtslosen“ Persönlichkeiten, die heute als „vergessen“ oder sogar als „verschollen“ gelten können, findet man nicht nur die Abgeordneten der Landtage kleinerer Bundesstaaten und die „Hinterbänkler“ des Reichstages, sondern auch zahlreiche Vertreter der parlamentarischen „Prominenz“. Diese Aussage gilt um so mehr für die Rekonstruktion der Lebensläufe sozialdemokratischer Funktionäre, die – wie z. B. die nicht gewählten Reichstagskandidaten – nie ein Mandat im Reichstag oder in einem Landtag ausgeübt hatten und so per definitionem von den vorgenannten biographischen Quellen nicht erfaßt wurden.

Nur scheinbar im Widerspruch steht dazu, daß in Deutschland sogar zwei biographische Nachschlagewerke verfügbar sind, die zumindest vom Titel her eine wesentlich bessere Informationssituation erwarten lassen.

Biographisches Lexikon des Sozialismus (24)(24) Franz Osterroth, Biographisches Lexikon des Sozialismus, Bd. 1: Verstorbene Persönlichkeiten, Hannover 1960 (Bd. 2 nicht erschienen).

Ähnlich wie zuvor schon beim Handbuch von Max Schwarz muß auch für das Osterroth-Lexikon zunächst hervorgehoben werden, daß es sich auch hier um ein „Pionier“-Werk handelt, das in Deutschland keine Vorgänger besessen hat, und daß die Verdienste des Lexikons trotz aller Kritik unbestritten sind. Das Osterroth-Lexikon umfaßt etwas mehr als 400 Biographien, wobei die Auswahlkriterien diffus bleiben: biographiert seien verstorbene Persönlichkeiten, „die im geistigen Leben des Sozialismus, in den sozialdemokratischen Parteien, den freien Gewerkschaften, im Arbeitersport, in der sozialistischen Arbeiterjugend und in den verschiedensten Zweigen der sozialistischen Kulturbewegung hervortraten“ (25)(25) Franz Osterroth, Lexikon, S. 7.. Bezogen auf alle Bereiche der Arbeiterbewegung, ließe sich eine große Zahl von Personen nennen, die in besonderer Form „hervortraten“, aber bei Osterroths eigenwilliger Auswahl keine Berücksichtigung fanden. Die Biographien enthalten mehr oder weniger alle wichtigen Informationssegmente, wie wir sie oben beschrieben haben, nur sind sie unsystematisch angelegt, unpräzise formuliert und mit vielen historischen Allgemeinplätzen und persönlichen, nicht immer treffenden Wertungen überfrachtet. Dies gilt insbesondere für die Biographien der Persönlichkeiten der älteren Arbeiterbewegung, wo Osterroth offensichtlich keine weiteren biographischen Recherchen unternommen hat, sondern sich allein, in jedem Fall dominant, auf Nachrufe der sozialdemokratischen Tagespresse stützt. Fehlinformationen und Fehleinschätzungen sind damit Tor und Tür geöffnet; inwieweit z. B. die zahlreichen unzutreffenden Datumsangaben durch Druckfehler oder durch fehlerhafte Quellen entstanden sind, bleibt offen. Überhaupt schweigt sich Osterroth über das von ihm benutzte biographische Quellenmaterial aus; er gibt auch nicht den kleinsten Hinweis auf Literatur und Quellen.

Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Biographisches Lexikon(26)(26) Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED (Hrsg.), Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung: Biographisches Lexikon, Berlin (Ost) 1970.

Dagegen heben sich Konzeption und Inhalt des DDR-Lexikons, das rund 350 Biographien enthält, deutlich ab. Wohl sind die Relevanz- bzw. Auswahlkriterien ähnlich unpräzise formuliert wie bei Osterroth, es seien Biographien „verstorbener führender Vertreter der deutschen Arbeiterbewegung von ihren Anfängen bis zur Gegenwart – vor allem ihrer revolutionären Richtung“ aufgenommen worden, (27)(27) Geschichte Arbeiterbewegung, Lexikon, S. 5. das Lexikon nimmt aber konkret Bezug auf die entsprechenden Relevanz-Einschätzungen des achtbändigen DDR-Standardwerkes „Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung“. Die offene Parteilichkeit führt dann auch zu einer eigentümlichen Auswahl von Persönlichkeiten, die angesichts der Umbruchsituation der damaligen DDR-Historiographie zu widerspruchsvollen Aufnahmeentscheidungen gerade für die Persönlichkeiten der „revolutionären“ Arbeiterbewegung geführt hat und z. B. zur biographischen Sammlung von Hermann Weber über die Lebensläufe von mehr als 500 KPD-Funktionären in der Weimarer Republik, (28)(28) Hermann Weber. Die Wandlungen des deutschen Kommunismus. Bd. 2, Frankfurt a. M. 1969. die etwa zeitgleich zum DDR-Lexikon entstanden ist, keine „parteiliche“ Alternative bieten konnte. Insgesamt sind die Biographien aber systematisch angelegt, sorgfältig recherchiert, präzise formuliert; sie enthalten alle wichtigen, wenn auch oft „gewichteten“ Informationssegmente und sind teilweise mit knappen Literaturhinweisen versehen. Das Lexikon repräsentiert das Produkt eines wissenschaftlichen Redaktionsteams, nicht das eines journalistisch orientierten Einzelautors wie bei Osterroth und kann zumindest von der Anlage her durchaus als vorbildlich angesehen werden.

Nimmt man beide Lexika zusammen, dann liegen in der einen oder anderen Form hier ca. 200 Kurzbiographien sozialdemokratischer Parlamentarier der Reichs- und Landtage vor. Beide Lexika werden – insgesamt betrachtet – auch nicht annähernd ihren umfassend formulierten Titeln gerecht. Dieser Eindruck bestätigt sich auch überdeutlich, wenn man beide am internationalen Forschungsstand mißt: z. B. am französischen Handbuch von Maitron oder am englischen Handbuch von Bellamy/Saville. (29)(29) Jean Maitron (Hrsg.), Dictionnaire Biographique du Mouvement Ouvrier Français, Paris 1964 ff., Teil 1, 1789-1864; Teil 2: 1864-1871; Teil 3: 1871-1914; Teil 4: 1914-1939. Die Teile 1 bis 3 sind abgeschlossen, von Teil 4 sind die ersten Teilbände erschienen. Jeder Teil besteht aus mehreren Bän den und wird wechselnd von bis zu acht Einzelherausgebern betreut. – Joyce M. Bellamy/John Saville (Hrsg.), Dictionary of Labour Biography, London/Basingstoke 1972 ff. (bisher 4 Bände). Obwohl frühzeitige Überlegungen für ein deutsches Pendant angestellt worden sind und die grundsätzliche Konzeption einer international vergleichbaren Sammlung von vielen nationalen massenbiographischen Handbüchern zur Arbeiterbewegungsgeschichte vor allem von Jean Maitron und Georges Haupt entwickelt worden ist, blieben entsprechende Initiativen in Deutschland, d. h. sowohl in der Bundesrepublik als auch in der DDR, bislang ohne Erfolg. Die Erstellung der Bände für Deutschland im Rahmen des „Dictionnaire Biographique du Mouvement Ouvrier International“ (30)(30) Jean Maitron/Georges Haupt (Hrsg.), Dictionnaire Biographique du Mouvement Ouvrier Internatio nal, Paris 1971 ff. Durch den frühen Tod von Georges Haupt scheint das Unternehmen ins Stocken geraten zu sein. steht noch aus; ihre konkrete Verwirklichung ist noch nicht abzusehen. Wer also über die ca. 200 Parlamentarier hinaus, die das Osterroth-Lexikon bzw. das DDR-Lexikon enthalten, sich über die Biographien z. B. der insgesamt mehr als 2 400 sozialdemokratischen Parlamentarier (bis 1933) informieren will, muß zur Zeit noch den äußerst beschwerlichen und oft erfolglosen Weg der eigenen Quellenrecherche beschreiten.

Im Vergleich mit der Informationssituation für die Parlamentarier anderer politischer Richtungen wird für die Sozialdemokraten eine eigentümliche Quellenlage sichtbar, die für jene eingangs festgestellte „Geschichtslosigkeit“ mitverantwortlich ist. Zunächst werden die meisten Quellen durch ein ausgeprägt funktionales Persönlichkeitsverständnis vieler Sozialdemokraten geprägt; die gemeinsame „Sache“ oder besser: die „Funktionen“ werden über die Einzelperson gestellt und individuelle Züge werden gegenüber kollektiven Zügen zurückgedrängt. Dies läßt sich anhand einer Hauptquelle, den Nachrufen in den sozialdemokratischen Zeitungen, und sonstigen Publikationen bis 1933 exemplarisch belegen. Die Nachrufe kolportieren nicht nur Nachrichtenfehler, die später nicht mehr richtig gestellt werden, sondern sind meist dürftig im Hinblick auf präzise biographische Daten der verstorbenen Persönlichkeit und stellen vorrangig das Allgemeine, Paradigmatische, die „Funktion“ heraus. Der individuelle Lebenslauf tritt dabei zurück und erscheint mehr als aktueller Aufhänger zur Vermittlung allgemeiner historischer Zusammenhänge, weniger als eigentlicher Gegenstand journalistischer Berichterstattung. In diesem Sinne läßt sich auch die Bemerkung im Geleitwort zum Osterroth-Lexikon verstehen: „Fast schämt sich der Chronist, der diese Tatsachen aufzeichnet, dieser Worte, da er auch eine verspätete Gloriole für unziemlich hält.“ (31)(31) Franz Osterroth, Lexikon, S. 6.

Eine ähnliche Intention läßt sich auch in zahlreichen autobiographischen Beiträgen von klassenbewußten Arbeitern feststellen. (32)(32) Vgl. u. a.: Georg Bollenbeck, Zur Theorie und Geschichte der frühen Arbeiterlebenserinnerungen, Kronberg 1976; Ursula Münchow, Frühe deutsche Arbeiterautobiographien, Berlin (Ost) 1973; Wolfgang Emmerich, Proletarische Lebensläufe, Autobiographische Dokumente zur Entstehung der Zweiten Kultur in Deutschland, 2 Bde., Reinbek 1974 und 1975 (dort zahlreiche autobiographische Beiträge, Kurzbiographien der Autoren und Herausgeber und Bibliographie der Quellen und Darstellungen zur deutschsprachigen Arbeiterautobiographie). – Zur kollektivbiographischen Diskussion für historische Quellen: Christl Wickert, Frauen im Parlament, Lebensläufe sozialdemokratischer Parlamentarierinnen in der Weimarer Republik, in: Wilhelm Heinz Schröder (Hrsg.), Lebenslauf und Gesellschaft, S. 210-240 (hier: S. 219-223). Von einer Reihe von sozialdemokratischen Reichstagskandidaten liegen umfangreichere, selbständig publizierte Autobiographien/Erinnerungen vor, die entweder ausschnittsweise bestimmte Lebensphasen oder den gesamten Lebenslauf thematisieren, so von (33)(33) August Bebel, Aus meinem Leben, Neuauflage, Leipzig 1961; Bernhard Adelung, Sein und Werden, Offenbach 1952; Eduard Bernstein, Von 1850 bis 1872, Berlin 1926; ders., Sozialdemokratische Lehrjahre, Berlin 1928; Wilhelm Blos, Denkwürdigkeiten eines Sozialdemokraten, 2 Bde., München 1914 und 1919; Wilhelm Bock, Im Dienste der Freiheit, Berlin 1927; Julius Bruhns, Es klingt im Sturm ein altes Lied, Stuttgart/Berlin 1921; Otto Büchner, Ein Sozialist erzählt, Berlin (Ost) 1957; Heinrich Dikreiter, Vom Waisenhaus zur Fabrik, Berlin o. J. (1914); Wilhelm Dittmann, Erinnerungen 1874-1954, hrsg. v. Peter Lösche und Wolfgang Krumbein, Frankfurt a. M. 1983; Karl Frohme, Politische Polizei und Justiz im monarchischen Deutschland, Hamburg 1926; Alwin Ger(isch), Erzgebirgisches Volk, Berlin 1918; Adolph Hoffmann, Adolph „Hoffmann’ Erzählungen“, Berlin 1928; Wilhelm Keil, Erlebnisse eines Sozialdemokraten, 2 Bde., Stuttgart 1947 und 1948; Paul Löbe, Der Weg war lang, 3. erw. Aufl., Berlin 1965; Gustav Noske, Wie ich wurde, Berlin 1919; ders., Erlebtes aus Aufstieg und Niedergang einer Demokratie, Offenbach a. M. 1949; Nikolaus Osterroth, Vom Beter zum Kämpfer, Berlin 1920; Wilhelm Reimes, Durch Drahtverhaue des Lebens, Dresden o. J. (1920); Albert Rudolph, Wie ich flügge wurde, Stuttgart/Berlin 1916; Philipp Scheidemann, Memoiren eines Sozialdemokraten, 2 Bde., Dresden 1928; Carl Severing, Mein Lebensweg, Bd. 1, Köln 1950; Carl Ulrich, Erinnerungen des ersten hessischen Staatspräsidenten, hrsg. v. Ludwig Bergsträsser, Offenbach a. M. 1953; Homo (das ist Richard Wagner), Zigeunerblut im Aktenschrank, Braunschweig o. J. : Bernhard Adelung, August Bebel, Wilhelm Blos, Wilhelm Bock, Julius Bruhns, Otto Büchner, Heinrich Dikreiter, Wilhelm Dittmann, Karl Frohme, Alwin Gerisch, Adolph Hoffmann, Wilhelm Keil, Paul Löbe, Gustav Noske, Nikolaus Osterroth, Wilhelm Reimes, Albert Rudolph, Philipp Scheidemann, Carl Severing, Carl Ulrich und Richard Wagner. Darüber hinaus wurden von weiteren Reichstagskandidaten einige kleinere autobiographische Beiträge verfaßt. Dennoch läßt sich allgemein für die deutsche Arbeiterbewegung ein Mangel an Autobiographien ihrer führenden Funktionäre feststellen, der die biographische Forschung über sozialdemokratische Politiker erheblich beeinträchtigt oder sie verhindert. Gerhard Beier hat vor dem Hintergrund der desolaten Quellenlage für „Gewerkschaftsbiographien“ versucht, die wichtigsten Ursachen für dieses Defizit zu systematisieren; diese Gründe gelten sicherlich auch für die meisten Repräsentanten der politischen Arbeiterbewegung (34)(34) Gerhard Beier, Willy Richter, Köln 1978, S. 19 f.:

  • widrige „äußerliche Verhältnisse“ (kaum persönliche Aufzeichnungen, Tagebücher und Korrespondenzen; zeitliche Auslastung durch Ämter und Beruf; keine schriftstellerischen Ressourcen etc.);
  • Fehlen von ausreichendem verlegerischen Interesse und von angemessener Betreuung bei Entstehung und Herausgabe (auto-)biographischer Manuskripte;
  • „persönliche Faktoren“ (keine schriftstellerische Ausbildung und/oder Neigung; literarisch-restriktive Funktionärsausbildung; Sprach- und Ausdruckseigentümlichkeiten etc.);
  • „innerer und äußerer Konformitätsdruck“ innerhalb von Massenorganisationen (geringe „Ich-Artikulation“; starke Identifizierung mit Organisation/Kollegen etc.);
  • mangelnde Anerkennung und Unterstützung sowohl durch die traditionale als auch durch die sozialwissenschaftlich orientierte Geschichtswissenschaft;
  • „Bruch der Kontinuität“ (Auswirkungen der NS-„Machtergreifung“, der politischen Verfolgungen, von Emigration etc.).

Diese restriktive Quellenlage schließt allein schon eine Biographie im herkömmlichen Sinne aus und erfordert eine veränderte methodische Konzeption.

Vor diesem Hintergrund wird auch der Mangel an biographischen Vorarbeiten, auf die sich zum Beispiel Osterroth hätte stützen können, verständlich; sieht man von einigen eng begrenzten Ausnahmen ab (35)(35) Z. B.: Vaterlandslose Gesellen, Kurze Biographien der verstorbenen hervorragenden Sozialisten des 19. Jahrhunderts, Stuttgart 1901., gibt es vor dem Osterroth-Lexikon keine umfangreichere Kompilation von Biographien verstorbener Persönlichkeiten der deutschen Arbeiterbewegung. In einem ähnlichen Sinne muß man selbst die beiden herausragenden Ausnahmen massenbiographischer Kompilationen sozialdemokratischer Funktionäre, die beiden letzten Ausgaben des Handbuchs des „Vereins Arbeiterpresse“ bewerten (36)(36) Jahrbuch für Partei- und Gewerkschaftsangestellte, 1. Folge, Berlin 1908, 2. Folge, Berlin 1910; Handbuch des Vereins Arbeiterpresse, Berlin 1914 (3. Folge), Berlin 1927 (4. Folge). – In der Ausgabe von 1914 fehlen z. B. viele Angestellte des Metallarbeiterverbands, der zu diesem Zeitpunkt noch über eine eigene Unterstützungseinrichtung für Verbandsangestellte verfügte. Die Ausgabe 1927 ist u. a. deshalb besonders interessant, weil auch zahlreiche kommunistische Angestellte Aufnahme in das Handbuch fanden.. Das Handbuch diente primär als umfassendes Adressenverzeichnis aller Organisationen der Arbeiterbewegung, enthielt aber auch ein Verzeichnis hauptamtlicher Funktionäre mit institutioneller Affiliation, Dienstadresse und knappen biographischen Annotationen gleichsam zum „internen“ Gebrauch. Trotz aller Datendefekte und Unzulänglichkeiten der biographischen Angaben gehören die Ausgaben für 1914 und für 1927 des Handbuches des „Vereins Arbeiterpresse“ zweifellos zu den wichtigsten biographischen Quellen zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Die beiden letzten Ausgaben verzeichneten alle Mitglieder der „Unterstützungsvereinigung der in der modernen Arbeiterbewegung tätigen Angestellten“, die Ausgabe von 1914 enthielt ca. 3 600 Personen, die Ausgabe von 1927 ca. 6 700 Personen. Wenn auch nicht alle hauptamtlichen Partei- und Gewerkschaftsfunktionäre Mitglied der Unterstützungsvereinigung waren, so sind etwa 80-90 % aller Partei- und Gewerkschaftsangestellten zu dem jeweiligen Erhebungszeitpunkt erfaßt worden. Unter diesen Mitgliedern befanden sich auch zahlreiche sozialdemokratische Reichstagskandidaten, insoweit sie Angestellte der Arbeiterbewegung oder Mitglieder des „Vereins Arbeiterpresse“ waren.

Der vorgenannte „Bruch der Kontinuität“ ist nicht nur für das spezifische Quellendefizit für „große“ Einzelbiographik, sondern allgemein auch für Defekte der Quellenüberlieferung der „Massenbiographik“ mitverantwortlich. Hier wäre zunächst der quantitative Defekt hervorzuheben: wesentliche Quellenbestände mit biographischem Gehalt sind in der Zeit des „Dritten Reiches“ durch die Organisationen bzw. durch die betroffenen Personen als Eigenschutzmaßnahme selbst oder durch die Nationalsozialisten oder auch durch Kriegseinwirkungen vernichtet worden. Man denke hierbei nur an den Verlust der Personalakten von Partei-, Gewerkschafts-, Genossenschafts- und Krankenkasseneinrichtungen oder an die Vernichtung persönlicher Unterlagen von zahllosen verfolgten oder von Verfolgung bedrohten Sozialdemokraten.

Gerade in der NS-Zeit verlieren sich die biographischen Spuren einer Reihe von Reichstagskandidaten, ihr weiterer Verbleib, ihr persönliches Schicksal bleibt ungewiß und kann vermutlich auch nie vollständig aufgeklärt werden. (37)(37) Für das Schicksal der Parlamentarier in den Reichs- und Landtagen in der NS-Zeit siehe u. a.: Walter Hammer, Hohes Haus in Henkershand, 2. Aufl., Frankfurt a. M. 1956; Max Schwarz, MdR (die Angaben zu den NS-Verfolgungen zählen zweifellos zu den Stärken dieses Handbuchs); vgl. jüngst: Wilhelm Heinz Schröder/Rüdiger Hachtmann, Die Reichstagsabgeordneten der Weimarer Republik als Opfer des Nationalsozialismus: Vorläufige Bestandsaufnahme und Biographische Dokumentation, in: Historical Social Research/Historische Sozialforschung 36, 1985, S. 33-83. – Umfassender Literaturnachweis u. a. (auch der zahlreichen biographischen Beiträge) in: Forschungsgemeinschaft 20. Juli e. V. (Hrsg.), Bibliographie Widerstand, München/New York/London 1984. Dieses „Verschollensein“ bedeutet nicht automatisch, daß diese Personen unmittelbar Opfer von NS-Verfolgungen und NS-Terror gewesen sein müssen, sondern dokumentiert primär eine dramatische Veränderung der Informationssituation durch den Beginn einer neuen Phase des Lebenslaufs: aus den politischen Ämtern und meist auch aus den bisherigen Berufstätigkeiten entlassen, begann eine Lebensphase ohne allgemein-relevante und objektivierbare Lebensdaten.

Diesem hohen Verlust von ehemals vorhandenen und „nicht-entstandenen“ Quellen auf der einen Seite steht ein hoher (unerwünschter) Zuwachs auf der anderen Seite gegenüber: wie schon im Kaiserreich als „vaterlandslose Gesellen“ wurden in der NS-Zeit nun Sozialdemokraten als „Delinquenten“ Gegenstand der (polizei-)staatlichen Buchführung, insbesondere der Politischen Polizei bzw. der Gestapo und der Gerichte. Diese Quellen sind allerdings durch einen starken qualitativen Defekt gekennzeichnet, sie sind aus der Sichtweise des politischen Gegners entstanden, und nur schwer lassen sich hier die tatsächlichen Abläufe und Ereignisse von den manipulierten und bewußt verfälschten unterscheiden.(38)(38) Dazu besonders: Reinhard Mann, Historische Sozialforschung, in: Wolfgang Bick/Reinhard Mann/ Paul J. Müller (Hrsg.), Sozialforschung und Verwaltungsdaten, Stuttgart 1984, S. 212-237. Gerade dieser qualitative Defekt ist auch der Hauptgrund dafür, daß sich die Kurzbiographien in diesem Handbuch im Hinblick auf das Schicksal zwischen 1933 und 1945 mit nur knappen pauschalen Hinweisen auf objektivierbare Haftstrafen begnügen – allzu schnell werden bei ausführlicheren Angaben die Belange des Persönlichkeitsschutzes und das Gebot der objektiven Informationspflicht berührt. Von diesen Quellendefekten sind teilweise die politischen Emigranten nicht betroffen; im „Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933“ (39)(39) Werner Röder/Herbert A. Strauss (Hrsg.), Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, München/New York/London 1980, Bd. 1: Politik, Wirtschaft, Öffentliches Leben. sind zahlreiche sozialdemokratische Politiker, darunter auch eine Reihe von Reichstagskandidaten, aufgenommen und meist detailliert biographiert worden. Insgesamt betrachtet aber, lassen sich für die sozialdemokratischen Reichstagskandidaten – insoweit sie nicht schon vor 1933 verstorben waren – nur wenige Informationen über ihren Lebenslauf während der NS-Zeit eruieren. Entsprechend sind Archivalien mit (hohem) biographischem Gehalt nur begrenzt verfügbar, dies gilt auch für die Bestände der einschlägigen Archive wie z. B. im Archiv für Soziale Demokratie (Bonn-Bad Godesberg), im Internationaal Instituut voor Sociale Geschiedenis (Amsterdam) oder im Institut für Zeitgeschichte (München).

Das Fehlen eines umfassenden biographischen Handbuches zur Geschichte der sozialdemokratischen Partei bzw. zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung ist schon oben festgestellt worden; ob jemals überhaupt und – wenn ja – wann und in welcher Form ein solches Standardwerk vorliegen wird, ist zur Zeit völlig offen. Die wissenschaftlich-biographische Forschung auf diesem Bereich hat wohl in den letzten beiden Jahrzehnten einige Fortschritte erzielt, aber insgesamt gesehen entspricht die Forschungslage der Quellenlage: bei beiden sind gravierende Defizite auf allen Ebenen vorhanden. Die Methode der traditionalen „großen“ Einzelbiographik scheint für ihre Anwendung auf Partei- und Gewerkschaftsführer nur wenig tauglich; angemessenere Methoden der Biographik – z. B. die sogenannte „sozialgeschichtliche Biographie“ – werden zur Zeit vereinzelt erprobt.(40)(40) Zur Diskussion der Biographik im Kontext der Arbeiterbewegungs-Geschichtsschreibung vgl.: Hartmut Soell, Fritz Erler, 2 Bde., Bonn-Bad Godesberg 1976; Gerhard Beier, Willy Richter; Ulrich Borsdorf, Deutsche Gewerkschaftsführer – biografische Muster, Köln 1977, in: ders. u. a. (Hrsg.), Gewerkschaftliche Politik, Köln 1977, S. 11-41; ders., Hans Böckler, Köln 1982. – Allgemein vgl. u. a.: Jürgen Kocka, Struktur und Persönlichkeit als methodologisches Problem der Geschichtswissenschaft, in: Michael Bosch (Hrsg.), Persönlichkeit und Struktur in der Geschichte, Düsseldorf 1977, S. 152-175; Christian Meier, Vor der Schwierigkeit ein Leben zu erzählen, in: Jürgen Kocka/ Thomas Nipperdey (Hrsg.), Theorie und Erzählung in der Geschichte, München 1979, S. 229-258. Solche „großen“ Einzelbiographien liegen mit unterschiedlicher wissenschaftlicher Qualität und mit unterschiedlichen Intentionen auch für sozialdemokratische Reichstagskandidaten vor(41)(41) Heinrich Gemkow, August Bebel, Leipzig 1969; Ernst Schraepler, August Bebel, Göttingen 1966; Thomas Meyer, Bernsteins konstruktiver Sozialismus, Berlin/Bad-Godesberg 1977; Ulrich Borsdorf, Hans Böckler, Köln 1982; Hagen Schulze, Otto Braun oder Preußens demokratische Sendung, Frankfurt a. M./Berlin/Wien 1977; Waldemar Besson, Friedrich Ebert, Göttingen 1963; Georg Kotowski, Friedrich Ebert, Wiesbaden 1963; Kenneth R. Calkins, Hugo Haase, Berlin 1976; Ursula Ratz, Georg Ledebour 1850-1947, Berlin 1969; John Anthony Moses, Carl Legiens Interpretation des demokratischen Sozialismus, Erlangen/Nürnberg 1966; Walter Bartel, Karl Liebknecht, 3. Aufl., Leipzig 1974; Heinz Wohlgemuth, Karl Liebknecht, Berlin (Ost) 1977; Wadim Tschurbinski, Wilhelm Liebknecht, Berlin (Ost) 1973; Friedrich Wilhelm Weitershaus, Wilhelm Liebknecht, Gütersloh/Gießen 1976; Monika Kramme, Franz Mehring, Frankfurt a. M. 1980; Ulrich Czisnik, Gustav Noske, Göttingen/Zürich/Frankfurt a. M. 1969; Paul Mayer, Bruno Schönlank 1859-1901, Bonn/ Bad-Godesberg 1971; Heinrich Gemkow, Paul Singer, Berlin (Ost) 1957; Reinhard Jansen, Georg von Vollmar, Düsseldorf 1958; Hans J. L. Adolphs, Otto Wels und die Politik der deutschen Sozialdemokratie 1894-1939, Berlin 1971; Rainer Stübling, Vive la France! Der Sozialdemokrat Hermann Wendel, Frankfurt a. M. 1983. – Die Biographien der „prominenten Außenseiter“: Marlies Jansen, Max Maurenbrecher, Phil. Diss. München 1963; Wilfried Röhrich, Robert Michels, Berlin 1972., so u. a. von August Bebel, Eduard Bernstein, Hans Böckler, Otto Braun, Friedrich Ebert, Hugo Haase, Georg Ledebour, Carl Legten, Karl Liebknecht, Wilhelm Liebknecht, Max Maurenbrecher, Franz Mehring, Robert Michels, Gustav Noske, Bruno Schönlank, Paul Singer, Georg von Vollmar, Otto Wels, Hermann Wendel und August Winnig. In das Vorfeld dieser Einzelbiographik sind auch eine Reihe von Gedenkbüchern anzusiedeln, die meist anläßlich des Todes oder der Wiederkehr eines Gedenktages prominenten Politikern gewidmet wurden und kaum wissenschaftlich-biographische Ambitionen trugen, so z. B. für die Reichstagskandidaten(42)(42) Eduard Bernstein, Ignaz Auer, Berlin 1907; Paul Ufermann, Alwin Brandes, Berlin 1949; Julie Braun-Vogelstein, Heinrich Braun, 2. Aufl., Stuttgart 1967; Paul Kampffmeyer, Heinrich Dietz, Stuttgart 1922; Rolf Gustav Haebler, In Memoriam Ludwig Frank, Mannheim 1954; Friedrich Ebert 1871-1925, Bonn/Bad-Godesberg 1971; Nikolaus Osterroth, Otto Hue, Bochum 1922; Theodor Leipart, Carl Legien, Berlin 1929; Kurt Eisner, Wilhelm Liebknecht, 2. Aufl., Berlin 1906; Otto Scheugenpflug, Johannes Sassenbach, Hannover/Frankfurt a. M. 1959; Karl Storck, Staatspräsident Carl Ulrich, Darmstadt 1928; Paul Kampffmeyer, Georg von Vollmar, München 1930. Ignaz Auer, Alwin Brandes, Heinrich Braun, Heinrich Dietz, Ludwig Frank, Otto Hue, Carl Legien, Wilhelm Liebknecht, Johannes Sassenbach, Georg von Vollmar und Carl Ulrich.

Entgegen der Einzelbiographik steht die kollektive Biographik für sozialdemokratische Personenkollektive noch völlig am Anfang; nur einige wenige Führungs- bzw. Funktionärsgruppen wurden bisher ansatzweise kollektiv-biographisch untersucht. (43)(43) Zu nennen wären u. a. die frühen Versuche einer Gesamtanalyse der SPD-Sozialstruktur bei: Dietrich Bronder, Organisation und Führung der sozialistischen Arbeiterbewegung im Deutschen Reich, Diss. Göttingen 1952; Joachim Siemann, Der sozialdemokratische Arbeiterführer in der Zeit der Weimarer Republik, Diss. Göttingen 1956. Die Brauchbarkeit beider Dissertationen leidet vor allem unter Mängeln wie Auswahl, Dichte und Verläßlichkeit der biographischen Informationen und der nur eingeschränkten statistischen Verwertung der erhobenen Daten. Im Hinblick auf die Sozialstruktur der SPD-Reichstagsfraktion wäre – neben den oben genannten übergreifenden Arbeiten – hinzuweisen auf: Robert Michels, Die deutsche Sozialdemokratie, Parteimitgliedschaft und soziale Zusammensetzung, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, Bd. 23 (1906), S. 471-556 (hier: S. 526-530, die Fraktion von 1903); John L. Snell, German Socialists in the Last Imperial Reichstag 1912-1918, in: Bulletin of the International Institute of Social History, Jg. 1952, S. 196 ff.; Erich Matthias und Eberhard Pikart, Die Reichstagsfraktion der deutschen Sozialdemokratie 1898 bis 1918, Düsseldorf 1966 (hier: Bd. I, S. LI-LXVI). Exemplarische kollektiv-biographische Ansätze zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung sind gesammelt in: Herkunft und Mandat, Frankfurt a. M. 1976 Das steht nicht im Widerspruch dazu, daß es auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene sowie für bestimmte Sonderbereiche durchaus biographische Sammlungen (meist als Anhang) oder umfangreichere biographische Annotationen zu sozialdemokratischen Personenkollektiven im Rahmen wissenschaftlicher Darstellungen gibt. (44)(44) Vgl. u. a.: Hartfrid Krause, USPD, Zur Geschichte der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Frankfurt a. M./ Köln 1975, S. 349-375; Hanno Becker, Die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands (SAPD). Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung am Ende der Weimarer Republik, Meisenheim am Glan 1965, S. 363-371; Olaf Ihlau, Die roten Kämpfer, Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik und im Dritten Reich, Marburg 1972, S. 168-183; Helga Grebing, Lehrstück der Solidarität, Briefe und Biographien deutscher Sozialisten 1945-1949, Stuttgart 1983; Gerhard Beier, Schulter an Schulter, Schritt für Schritt, Lebensläufe deutscher Gewerkschafter, Köln 1983; Der Zentralrat der Deutschen Sozialistischen Republik 19. 12. 1918-8. 4. 1919, vom ersten zum zweiten Rätekongreß, bearb. v. Eberhard Kolb unter Mitwirk. von Reinhard Rürup, Leiden 1968, S. XXXV-L (sowie zahlreiche biographische Anmerkungen); Wolfgang Stöhr, Lehrer und Arbeiterbewegung, Entstehung und Politik der ersten Gewerkschaftsorganisationen der Lehrer in Deutschland 1920-1933, Marburg 1978 (Anhang); Waltraud Sperling, Journalist mit Mandat, Sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete und ihre Arbeit in der Parteipresse 1867-1918, Düsseldorf 1983, S. 150-232; Christl Wickert, SPD und Frauenemanzipation in der Weimarer Republik , Biographie und politischer Werdegang der weiblichen SPD-Abgeordneten in der Nationalversammlung, im Deutschen Reichstag, in der Preußischen Landesversammlung und im Preußischen Landtag, 2 Bde., Diss. Göttingen 1983 (Anhang); Heinzpeter Thümmler, Sozialistengesetz, Ausweisung und Ausgewiesene 1878-1890, Vaduz 1979. – Gerhard Beier, Arbeiterbewegung in Hessen, Zur Geschichte der hessischen Arbeiterbewegung durch einhundertfünfzig Jahre (1834-1984), Frankfurt a. M. 1984, S. 355-615; Günter Bers (Hrsg.), Die Sozialdemokratische Partei im Agitationsbezirk Obere Rheinprovinz 1897-1905, Rechenschaftsberichte und Parteitagsprotokolle, Köln 1973, S. 146-175; Michael Klöcker, Die Sozialdemokratie im Regierungsbezirk Aachen vor dem Ersten Weltkrieg, Funde und Befunde zur Wilhelminischen Ära unter besonderer Berücksichtigung der Vorkriegsjahre, Wentorf 1977 (Anhang); Jörg Schadt, Im Dienste der Republik, Die Tätigkeitsberichte des Landesvorstands der sozialdemokratischen Partei Badens 1914-1932, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1977 (Anhang und viele biographische Anmerkungen); Jörg Schadt/Wolfgang Schmierer (Hrsg.), Die SPD in Baden-Württemberg und ihre Geschichte, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1979 (Anhang). – Eberhard Klopp, Geschichte der Trierer Arbeiterbewegung, Bd. 3: Kurzbiografien 1836-1933, Trier 1979; Volker Eichler, Sozialistische Arbeiterbewegung in Frankfurt a. M. 1878-1895, Frankfurt a. M. 1983 (Anhang); Helga Berndt, Biographische Skizzen von Leipziger Arbeiterfunktionären, Dokumentation zum 100. Jahrestag des Sozialistengesetzes, Berlin (Ost) 1978. Diese Sammlungen/Annotationen entstanden bei der Forschungsarbeit und ihrer Darstellung oft als äußerst nützliche „Nebenprodukte“ und dienen vor allem zu Dokumentationszwecken und nur selten als Gegenstand kollektiv-biographischer Analysen. Dem Rang und Wert als „Nebenprodukt“ entsprechend, wird der für die Erstellung der Kurzbiographien zu leistende Arbeitsaufwand sehr knapp bemessen und der biographische Standard niedrig angesetzt. Dieser geringe biographische Standard trifft auch für die biographischen Beiträge/Informationen in den zahlreichen Fest- und Jubiläumsschriften zu, die allerorten entstehen und meist von interessierten „Laien-Historikern“ verfaßt werden. Wenn auch solche „graue“ Literatur nur schwer nachzuweisen und zu beschaffen ist (45)(45) Bei der Suche z. B. hilfreich: Hans-Paul Höpfner, Bibliographie lokaler und regionaler SPD-Festschriften in der Bibliothek des Archivs der sozialen Demokratie, Bonn 1983; eine umfassende Dokumentation der „grauen“ Literatur von Christoph Stamm steht vor dem Abschluß., so enthalten diese Fest- und Jubiläumsschriften oft Informationen, wie sie durch die üblichen wissenschaftlichen Quellen nicht zu gewinnen sind; hier ist z. B. zu denken an die Befragung von älteren Parteigenossen bzw. von Zeitzeugen oder an die sachkundige Nutzung lokalspezifischer Quellen. Allerdings bedeutet die systematische Sichtung der „grauen“ Literatur einen hohen Arbeitsaufwand, der nicht immer im angemessenen Verhältnis zum zu erwartenden Ertrag steht.

c) Systematische und punktuelle Erschließung von Quellen

Die Rekonstruktion von Lebensläufen umfassender lexikalischer Grundgesamtheiten setzt eine systematisch konzipierte Forschungsstrategie und ihre präzise forschungspraktische Umsetzung voraus. Die erste größere Pilot-Studie zum Reichstagskandidatenprojekt, die schon im Jahre 1972 durchgeführt wurde, legte die zentralen Probleme bei der Realisierung der Gesamtstudie offen. Einen zentralen Quellenbestand für die Rekonstruktion der Reichstagskandidaten-Lebensläufe gibt es nicht, d. h. über einige wenige Quellenbestände mit relativ hohem biographischen Informationsgehalt hinaus mußten notwendigerweise weitere umfangreiche Quellenbestände mit relativ niedrigem biographischen Informationsgehalt durchgesehen werden. Bezogen auf die Situation eines Einzelforschers, wie er für die deutsche Forschungslandschaft im Bereich der Geschichtswissenschaft auch heute noch üblich ist, bedeutete dies; bevor noch mit der „eigentlichen“ inhaltlichen Arbeit bzw. mit der Durchführung einer kollektiven Biographie der Reichstagskandidaten begonnen werden konnte, waren zunächst jahrelange Quellenrecherchen erforderlich, um eine hinreichende Datenbasis für die Analyse bzw. für die Edition der Kurzbiographien zu schaffen.

Die beiden üblichen Strategien, die Quellenarbeit auf ein (auch für den Einzelforscher) machbares Maß zu beschränken, schieden beim Reichstagskandidatenprojekt vor allem aus folgenden Gründen aus:

  • angesichts der heterogenen Struktur und des nur begrenzten Umfangs der Reichstagskandidatengruppe („nur“ 700 Analyseeinheiten) schien eine repräsentative Stichprobenziehung wenig erfolgversprechend und hätte allzusehr die statistische Erklärungskraft der zu untersuchenden Variablen eingeschränkt;
  • angesichts der völlig heterogenen Quellenstruktur schien ein Verzicht auf bestimmte Fragestellungen (und damit auch auf bestimmte zu erhebende Daten) ebensowenig erfolgversprechend, da dadurch der Aufwand für die Datenerhebung nicht wesentlich hätte verringert werden können, zudem hätte ein solcher Verzicht die künftige Analyse erschwert und die Qualität der zu erwartenden Ergebnisse beeinträchtigt.

Darüber hinaus traten weitere arbeits- und zeitintensive Hemmfaktoren hinzu; 1972 gab es z. B. weder einschlägige methodische Vorbilder für kollektive Biographien noch die notwendigen technischen Voraussetzungen (angemessene hard-ware und soft-ware beim EDV-Einsatz). Erst der persönliche Verzicht, das Reichstagskandidatenprojekt unmittelbar für die wissenschaftliche Promotion des Bearbeiters zu nutzen, und die Erweiterung der Grundgesamtheit um andere sozialdemokratische und freigewerkschaftliche Teilgesamtheiten (SPD-Parteitagsdelegierte 1890-1917, Delegierte zu den nationalen Kongreßen der Freien Gewerkschaften 1892-1914 etc.) erlaubten die Konzeptualisierung und Verwirklichung einer systematischen, längerfristig angelegten Forschungsstrategie, bei der der hohe Aufwand für die Recherche in einem angemesseneren Verhältnis zum wissenschaftlichen Ertrag stand. Die in der Folge kurz beschriebenen Stationen der systematischen Quellenerschließung geben einen Forschungsprozeß wieder, der – je nach den beruflichen Möglichkeiten und Ressourcen des Bearbeiters – zwischen 1972 und 1984 mit wechselnder Intensität betrieben worden ist.

Erschließung publizierter Quellen

Alle relevanten publizierten amtlichen Quellen (u. a. Wahlpublikationen, Verhandlungsprotokolle des Reichstags, Staats- und Parlamentshandbücher, Verzeichnisse unterschiedlichster Art) und nichtamtlichen publizierten Quellen (Primär- und Sekundärliteratur mit Biographien/biographischen Annotationen oder Listen/Verzeichnisse von sozialdemokratischen Funktionären) sowie allgemeine biographische Nachschlagewerke und Sammlungen sowie sonstige allgemeine Quellen wurden bibliographisch/katalogmäßig erfaßt, in der Quellenkartei dokumentiert und für die Personenkarteien/Personendossiers ausgewertet.

Es kann nicht Aufgabe eines biographischen Handbuchs sein, die äußerst umfangreiche Literatur zu den Sachgebieten Arbeiterbewegungs-, Partei-, Gewerkschafts-, Parlamentsund Wahlgeschichte etc., die nach biographischen Informationen durchgesehen worden sind, bibliographisch zu dokumentieren. Dies gilt um so mehr, als es für die genannten Sachgebiete einschlägige Kataloge bzw. Bibliographien gibt. Für Literatur/Quellen (einschließlich der sogenannten „grauen“ Literatur) zur Geschichte der Arbeiterbewegung, insbesondere der SPD, sei auf die katalogmäßige bzw. bibliographische Erfassung der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung (Bonn) bzw. des Archivs für soziale Demokratie verwiesen (46)(46) Periodischer Nachweis: Bibliographie zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, hrsg. v. der Bibliothek des Archivs der Sozialen Demokratie, Bonn/Bad-Godesberg 1976 ff. – Abgeschlossene Bibliographien: Hans-Josef Steinberg, Die deutsche sozialistische Arbeiterbewegung bis 1914, Eine bibliographische Einführung, Frankfurt a. M. 1979; Dieter Dowe, Bibliographie zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, sozialistischen und kommunistischen Bewegung von den Anfängen bis 1863, 3. Aufl. (bearbeitet von Volker Mettig), Berlin/Bonn 1981; Klaus Tenfelde/Gerhard A. Ritter, Bibliographie zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung 1863-1914, Berlin/Bonn 1980; Kurt Klotzbach, Bibliographie zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung 1914-1945, 3. Aufl. (bearbeitet von Volker Mettig), Berlin/Bonn 1981., deren/dessen Archiv- bzw. Bibliotheksbestand systematisch durchgesehen worden ist. Für Literatur/Quellen (insbesondere Gewerkschaftszeitungen, -Protokolle, -Jahrbücher etc.) zur Geschichte der Gewerkschaftsbewegung sei ebenfalls auf die katalogmäßige bzw. bibliographische Erfassung der Bibliothek bzw. des Archivs des Deutschen Gewerkschaftsbundes (Düsseldorf) verwiesen, deren/dessen Bestand gleichermaßen systematisch erschlossen worden ist. Für Quellen/ Literatur (auch für den Nachweis der wichtigen parlamentarischen Handbücher) zur Wahlgeschichte sei auf den bibliographischen Anhang bei G. A. Ritter/M. Niehuss und auf die umfassende Bibliographie von M. Schumacher verwiesen. (47)(47) Gerhard A. Ritter/Merith Niehuss, Arbeitsbuch, S. 183-204; Martin Schumacher, Wahlen und Abstimmungen 1918-1933, Eine Bibliographie zur Statistik und Analyse der politischen Wahlen in der Weimarer Republik, Düsseldorf 1976.

Eine umfängliche einschlägige Quellen- und Literaturdokumentation wird zur Zeit im Rahmen des „Biographischen Handbuchs der sozialdemokratischen Parlamentarier in den deutschen Reichs- und Landtagen 1867-1933“ (BIOSOP) vorbereitet.

Insgesamt hat sich sowohl die bibliographische Dokumentation als auch die Zugriffsmöglichkeit auf Literatur, insbesondere auf die sogenannte „graue“ Literatur und Zeitschriftenliteratur, seit Beginn des Kandidatenprojekts wesentlich, in manchen Bereichen auch grundlegend verbessert. Hätte das Projekt von Beginn an über die günstigen Bedingungen des Jahres 1984 verfügt, hätte sich sicherlich manche Arbeit ersparen, an der Dauer des Projekts aber nichts Wesentliches verändern lassen. Die bibliographischen Erfassungsarbeiten erfolgten periodisch in Abständen von ein bis zwei Jahren; nach Abschluß der Erfassungsarbeiten wurde – unter Beachtung der derzeitig verfügbaren Arbeitsressourcen – jeweils festgelegt, welche von den neuerfaßten publizierten Quellen sich für eine systematische und vollständige Erschließung (aufgrund ihres hohen biographischen Informationswerts) eigneten und welche nur punktuell (d. h. durch gezielte Suche nach verstreuten Einzelinformationen) ausgewertet werden sollten. In der folgenden Übersicht werden zumindest die wichtigsten Periodika, die systematisch und vollständig (insoweit verfügbar) ausgewertet worden sind, genannt; die Übersicht zeigt zugleich die Schwerpunktsbereiche der Recherche innerhalb der Arbeiterbewegung an.

Die periodischen Zeitschriften der Freien Gewerkschaften sind oft durch ein Gesamtjahresregister benutzerfreundlich erschlossen, so daß in vielen Fällen auf eine mühevolle Durchsicht aller (wöchentlichen, halbmonatlichen, monatlichen) Ausgaben verzichtet und z. B. durch ein „Personalia“-Register etc. direkt auf die gesuchten Informationen zugegriffen werden kann. Nicht die zahlreichen Registerungenauigkeiten bilden das Hauptärgernis dieser Recherche, sondern das häufige Fehlen des ursprünglich vorhandenen Gesamtjahresregisters, das beim Einbinden des Zeitschriftenjahrgangs entweder noch nicht vorlag oder einfach weggelassen worden ist. Vollständig wurde zunächst das Zentralorgan der Freien Gewerkschaften durchgesehen:

  • „Correspondenzblatt der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands“ bzw. „Gewerkschafts-Zeitung, Organ des Allgemeinen Deutschen Gewerkschafts-Bundes“ (1891-1933).

Die Auswahl der Zeitschriften/Verbandsorgane der freigewerkschaftlichen Einzelgewerkschaften bestimmte sich grundsätzlich nach der Häufigkeit der unter den sozialdemokratischen Reichstagskandidaten vertretenen Berufs- und Gewerbegruppen. Da die Titel dieser Zeitschriften im Laufe der Zeit wechselten bzw. eine Reihe von Verbandsorganen miteinander fusionierten, wäre eine umfassende Übersicht über die Entwicklung der einzelnen Gewerkschaftszeitungen notwendig. Eine solche Übersicht wäre in unserem Zusammenhang unangebracht, in der Folge seien daher nur die einzelnen Berufs-, Gewerbe- und Industriezweige genannt, für die Zeitschriftenrecherche betrieben worden ist: Bauarbeiter, Bergarbeiter, Bildhauer, Buchbinder, Fabrikarbeiter, Holzarbeiter, Lederarbeiter, Lithographen und Steindrucker, Maler und Lackierer, Metallarbeiter, Schneider, Schuharbeiter, Tabakarbeiter, Textilarbeiter, Handels- und Transportarbeiter sowie Zimmerer.

Die Auswahl der periodischen Jahrbücher, Almanache, (Rechenschafts)-Berichte etc. der freigewerkschaftlichen Einzelverbände bzw. der Orts- und Bezirkskartelle bestimmte sich nach der Häufigkeit der unter den Reichstagskandidaten vertretenen Tätigkeitsorte/Wohnorte/Regionen bzw. Berufs- und Gewerbezweigen. Da aber solche Periodika weder für die Einzelgewerkschaften noch für die Kartellorganisationen selbstverständlich waren, wurde die Auswahl in erster Linie durch den „Zufall“ gesteuert: eingesehen wurde das, was überhaupt vorhanden und zugleich bibliotheksmäßig verfügbar war.

Ähnliches gilt auch für die Auswertung der Verhandlungsprotokolle der nationalen Kongreße und Verbandstage. Während das jeweilige

  • „Protokoll der Verhandlungen des … ten Kongreßes der Gewerkschaften Deutschlands. Abgehalten zu … vom … bis“ (1892-1931)

für den gesamten Untersuchungszeitraum systematisch erschlossen werden konnte, war die Auswahl der Protokolle der Verbandstage/Generalversammlungen der freigewerkschaftlichen Einzelverbände weniger systematisch und mehr „zufallsgesteuert“. Die Auswertung der zahllosen Protokolle der Einzelgewerkschaften wurde aus arbeitsökonomischen Gründen hauptsächlich auf die Zeit zwischen 1897 bis 1914 beschränkt; die entsprechenden Angaben zu den Kurzbiographien der Reichstagskandidaten erheben auch für diesen Zeitraum keinen Anspruch auf Vollständigkeit!

Die periodischen Zeitschriften/Zeitungen der sozialdemokratischen Partei sind in der Regel nicht durch Register erschlossen (Ausnahme z. B. die „Neue Zeit“) und mußten dementsprechend Nummer für Nummer (kursorisch) durchgesehen werden. Der sehr hohe Arbeitsaufwand konnte nur für eine beschränkte Zahl von (Tages-)Zeitungen für den Zeitraum 1897-1933 betrieben werden. Kriterien für die Auswahl bildeten – neben der bibliotheksmäßigen Verfügbarkeit (ggf. auf Mikrofilm) – die überregionale Relevanz bzw. die regionalspezifische Bedeutung der Zeitschriften. Die Durchsicht wurde bei den Jahrgängen bis etwa zum Beginn der 1920er Jahre wesentlich erleichtert durch gleiche oder ähnliche Struktur der sozialdemokratischen Parteizeitungen; alle Zeitungen enthielten in der Regel die gleichen Rubriken in der gleichen Reihenfolge, so daß die Rubrik „Aus der Partei“ bzw. „Parteinachrichten“, die vor allem die gesuchten Personalia umfaßte, gezielt und relativ schnell aufgefunden und überprüft werden konnte. Im Zuge der Modernisierung der sozialdemokratischen Presse wurde zunehmend diese normierte Struktur aufgegeben; was vermutlich zum Vorteil des zeitgenössischen Lesers gedacht war, erwies sich für die systematische Durchsicht als gravierendes Erschwernis: Personalia konnten nun in allen Teilen der Zeitung vorkommen, es mußte jeweils die ganze Nummer vollständig durchgesehen werden. Die Effizienz der systematischen Zeitungsrecherche wird für die Jahrgänge in den 1920er und 1930er Jahren gegenüber denen des Kaiserreichs deutlich gemindert. Folgende Zeitungen wurden ausgewertet:

  • „Vorwärts. Berliner Volksblatt“ (hier ausnahmsweise: 1891-1933),
  • „Hamburger Echo“,
  • „Leipziger Volkszeitung“,
  • „Rheinische Zeitung“ (Köln),
  • „Fränkische Tagespost“ (Nürnberg),
  • „Frankfurter Volksstimme“ (Frankfurt am Main),
  • „Bielefelder Volkswacht“,
  • „Braunschweiger Volksfreund“,
  • „Bremer Bürgerzeitung“ bzw. „Bremer Volkszeitung“ und
  • „Casseler Volksblatt“ bzw. „Volksblatt für Hessen und Waldeck“.

Zweifellos wäre für regionalbezogene Studien die vollständige Durchsicht weiterer einschlägiger sozialdemokratischer Tageszeitungen sinnvoll gewesen, z. B. der „Dresdener Volkszeitung“, der Elberfelder „Freien Presse“, der Magdeburger „Volksstimme“, der „Münchener Post“ oder der Stuttgarter „Schwäbischen Tagwacht“. Aber einerseits standen dem arbeitsökonomische und bibliotheksmäßige Gründe (vor allem – wenn vorhanden – Lektüre vor Ort!) entgegen, andererseits lehrt die Erfahrung aus der Lektüre der gelesenen Zeitungen, daß bei den sozialdemokratischen Tageszeitungen ein hohes, manchmal extrem hohes Maß an Redundanz der Information bestand. Dies gilt zumindest für die gesuchte Rubrik „Parteinachrichten“, ähnlich auch für „Gewerkschaft und Soziales“ und andere spezifische Rubriken, wo die Meldungen wörtlich oder nur leicht redigiert von anderen sozialdemokratischen Zeitungen (insbesondere vom „Vorwärts“) oder von sozialdemokratischen 1 Pressekorrespondenzen übernommen worden sind. Für das Gros der sozialdemokratischen Tageszeitungen kam schon von daher nur eine punktuelle Erschließung infrage, d. h. z. B. in Kenntnis des genauen Todesdatums eines Reichstagskandidaten wurden selektiv nur die für einen Nachruf in Frage kommenden Ausgaben durchgesehen.

Die periodisch erscheinenden Zeitschriften waren für die biographische Recherche relativ unergiebig, Ausnahmen bildeten partiell:

  • „Sozialistische Monatshefte. Internationale Revue des Sozialismus“ (1898-1933, aber ergiebig vor allem für die zweite Hälfte der Weimarer Republik),
  • „Die Neue Welt. Illustrierte Beilage für Wissenschaft, Belehrung und Unterhaltung“ (1892-1919, ergiebig nur für relativ prominente Sozialdemokraten).

Parteitagsprotokolle wurden nur für die nationalen Parteitage systematisch und vollständig ausgewertet, nicht dagegen Protokolle der Landesparteitage und der Internationalen Sozialisten-Kongreße:

  • Protokolle des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins 1863-1874,
  • Protokolle der Parteitage der sozialdemokratischen Arbeiterpartei 1869-1874,
  • Protokolle der Parteitage der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Deutschlands 1875-1887,
  • Protokolle über die Verhandlungen der Parteitage der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands 1890-1931,
  • Protokolle der Parteitage der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands 1917-1922.

Die Auswahl der periodisch erscheinenden Jahrbücher, Almanache, Arbeiternotizkalender, (Rechenschafts-)Berichte etc. der Parteiorganisationen auf allen Parteihierarchieebenen wurde – wie bei den Gewerkschaften – in erster Linie durch den „Zufall“ bestimmt und das eingesehen, was überhaupt vorhanden und verfügbar war. An dieser Stelle seien nur genannt:

  • „Jahrbuch der Deutschen Sozialdemokratie“ (1926-1931, allerdings biographisch unergiebig) und
  • „Jahrbuch der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands“ (1946ff., biographisch recht ergiebig).

Den Publikationen des „Vereins Arbeiterpresse“ verdankt die biographische Forschung zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung den umfassendsten Fundus biographischer Informationen über die Angestellten in der sozialdemokratischen Partei und in den freien Gewerkschaften. Dies trifft vor allem auf die vier Jahr- bzw. Handbücher des Vereins zu:

  • Jahrbuch für Partei- und Gewerkschaftsangestellte. 1. Folge: 1908, 2. Folge: 1910;
  • Handbuch des Vereins Arbeiterpresse (= Neue Folge des Jahrbuchs für Partei- und Gewerkschaftsangestellte). 3. Folge: 1914, 4. Folge: 1927.

Zahlreiche ergänzende Informationen über Neueinstellungen (Name, Vorname, Art und Ort der hauptamtlichen Tätigkeit) und über Todes- bzw. Invaliditätsfälle aus dem Bereich der seit 1903 bestehenden „Unterstützungsvereinigung der in der modernen Arbeiterbewegung tätigen Angestellten“ finden sich in:

  • „Mitteilungen des Vereins Arbeiterpresse“ (1904-1923, ähnliche Meldungen über Neueinstellungen befinden sich auch im „Correspondenzblatt der Generalkommission“).

Innerhalb der Konsumgenossenschaftsbewegung (48)(48) Vgl. vor allem: Erwin Hasselmann, Geschichte der deutschen Konsumgenossenschaften, Frankfurt a. M. 1971 (dort ausführliche Literaturhinweise). fanden viele Tausende sozialdemokratischer Funktionäre dauerhaft oder vorübergehend Beschäftigung als Lagerhalter, Kassierer, Geschäftsführer etc. Im Zentralorgan des „Zentralverbands deutscher Konsumvereine“ finden sich regelmäßig und zahlreich Nachrufe, Jubilarehrungen etc. für Genossenschaftsangestellte (allerdings meist nur der gehobeneren Angestelltenränge). Da dieses Zentralorgan – wenn auch unter verändertem Namen – auch nach der NS-„Machtergreifung“ fortbestanden hat, finden sich hier vereinzelt auch noch Nachrufe und Ehrungen ehemaliger Sozialdemokraten, die noch über 1933 hinaus in den Konsumgenossenschaften beschäftigt waren (allerdings fehlt selbstverständlich jeglicher Hinweis auf die sozialdemokratische „Vergangenheit“):

  • „Konsumgenossenschaftliche Rundschau. Organ des Zentralverbands deutscher Konsumvereine und der Großeinkaufsgesellschaft Deutscher Consumvereine“ (1904-1933) bzw. „Rundschau des Reichsbundes der deutschen Verbrauchergenossenschaften“ (1933ff.) (alle Jahrgänge durch Register erschlossen).

Ergänzende Informationen, vor allem Angaben zur personellen Besetzung von Geschäftsführung, Vorstand und Aufsichtsrat aller im Rahmen des Zentralverbands organisierten Konsum- und Produktionsgenossenschaften finden sich in:

  • „Jahrbuch des Zentralverbands deutscher Konsumvereine“ (1906-1932).

Leider hat die „Pensionskasse des Zentralverbands deutscher Konsumvereine“ (1913: 8 363 Mitglieder, 1923: 13 853 Mitglieder) keine vergleichbaren Jahrbücher/Handbücher wie die „Unterstützungsvereinigung“ bzw. der „Verein Arbeiterpresse“ herausgegeben.

Innerhalb der Krankenkassen fanden ebenso viele Tausende sozialdemokratischer Funktionäre dauerhaft oder vorübergehend Beschäftigung als Kontrolleure, Kassierer, Büroangestellte, Rendanten etc.(49)(49) Biographische Informationen über die leitenden Funktionäre des Ortskrankenkassenverbands und über eine Reihe von sozialistisch orientierten Kassenärzten finden sich z. B. in: Stephan Leibfried/ Florian Tennstedt, Berufsverbote und Kassenärzte, 2. Aufl., Bremen 1980 (Zahlreiche Anmerkungen und Einzelbiographien im Text).. Im Zentralorgan der deutschen Ortskrankenkassen finden sich ebenfalls regelmäßig und zahlreich Nachrufe und Jubilarehrungen etc. für Krankenkassenangestellte (auch hier vor allem der gehobeneren Angestelltenränge):

  • „Die Ortskrankenkasse. Zeitschrift des Hauptverbands Deutscher Krankenkassen“ bzw. „Deutsche Krankenkasse. Zeitschrift des Hauptverbands Deutscher Krankenkassen“ (1914-1924 bzw. 1925-1934).

Erschließung archivalischer Quellen

Alle relevanten archivalischen Quellen mit hohem oder vermutet hohem biographischen Gehalt wurden erfaßt und in einer Quellenkartei dokumentiert. Diese Erfassung erfolgte – wie üblich – anhand der systematischen Durchsicht verfügbarer archivalischer Findbücher bzw. Spezialinventare und/oder durch postalische Anfragen bei den Archiven. Es kann ebenfalls nicht Aufgabe eines biographischen Handbuchs sein, die äußerst umfangreichen archivalischen Bestände insbesondere zum Personenstandswesen (Kirchenbücher, Standesamts- und Melderegister), zum Gerichts- und Polizeiwesen (vor allem Akten über politische Strafsachen/Delinquenten, Fahndungs- und Ausweisungsakten, Akten verdächtiger und überwachter Personen bei der Politischen Polizei etc.) sowie zum Regierungs-, Verwaltungs- und Vereinswesen (vor allem Berichte der Landräte, Akten/Materialien zu den Reichstagswahlen und zu den „Umtrieben“ bzw. zu den „gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“) zu dokumentieren. Dies gilt um so mehr, als nicht nur zahlreiche allgemeine Findbücher/ Bestandsaufnahmen der deutschen Staatsarchive und vieler deutscher Stadtarchive verfügbar sind, sondern sowohl für die DDR-Staatsarchive als auch für viele BRD-Staats- und Stadtarchive einschlägige Spezialinventare für „Quellen zur Geschichte der Arbeiterbewegung“ vorhanden sind. (50)(50) Vgl. die lange Reihe von Spezialinventaren „Quellen zur Geschichte der Arbeiterbewegung im … “, die seit 1966 in der Internationalen Wissenschaftlichen Korrespondenz zur Geschichte der Deutschen Arbeiterbewegung (Berlin 1966 ff.) erschienen sind; auch die Spezialinventare der DDR-Archive „Archivalische Quellennachweise zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Bd. … “, die seit 1963 erschienen sind. – Eine Gesamtübersicht über die vorhandenen Spezialinventare/-berichte bei: Hans-Josef Steinberg, Bibliographische Einführung, S. 23-32. – Jüngste Bestandsaufnahme: Dieter Dowe, Führer zu den Archiven, Bibliotheken und Forschungseinrichtungen zur Geschichte der europäischen Arbeiterbewegung, Berlin/Bonn 1984.

Auch hier muß hervorgehoben werden, daß sich sowohl die Bestands-Dokumentation deutscher Archive als auch die Zugriffsmöglichkeiten auf diese Bestände seit Beginn des Kandidatenprojekts im Jahre 1972 wesentlich, manchmal sogar grundlegend verbessert haben. Die Diskussion um den Schutz von personenbezogenen Daten z. B. durch die geplante Novellierung der Personenstandsgesetzgebung und durch die Einführung eines neuen Archivgesetzes haben für die biographische Recherche bisher nur wenig (restriktive) Veränderungen gebracht. Nach Abschluß der Erfassungsarbeiten wurde jeweils festgelegt, welche archivalischen Bestände sich für die systematische Erschließung lohnten und welche nur punktuell benutzt werden sollten.

Systematisches Erschließen bedeutet auch hier, daß die jeweiligen archivalischen Quellenbestände vollständig nach biographischem Material durchgesehen wurden. Angesichts des hohen Kosten- und Arbeitsaufwands für Archivstudien wurden bei der Auswahl strenge Relevanz- und Effizienzkriterien angelegt. Systematische Erschließungsarbeiten erfolgten daher vorrangig in den staatlichen Archiven, und zwar:

  • Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin,
  • Landesarchiv Berlin,
  • Staatsarchiv Bremen,
  • Hessisches Staatsarchiv Darmstadt,
  • Hauptstaatsarchiv Düsseldorf,
  • Staatsarchiv Hamburg (das im Hinblick auf die Kandidatenbiographien mit großem Abstand informationsreichste Archiv),
  • Badisches Generallandesarchiv Karlsruhe und
  • Hauptstaatsarchiv und Staatsarchiv München.

Die meisten anderen staatlichen Archive wurden nur punktuell (d. h. in der Regel durch schriftliche Befragung) erschlossen. Eine Benutzungserlaubnis für die staatlichen Archive der DDR wurde nicht erteilt; die fehlende systematische Erschließung der in den DDR-Archiven lagernden Quellen ist primär für die Informationsdefizite bei einer Reihe von Kurzbiographien von Reichstagskandidaten aus der Provinz Brandenburg und aus Sachsen und Thüringen verantwortlich. Dieses Defizit konnte nur teilweise durch die Erschließung anderer verfügbarer (Ersatz-)Quellen und durch die wachsende Bereitschaft von DDR-Archiven/Behörden, schriftliche Anfragen im beschränkten Rahmen (und oft nur gegen Entgelt) zu bearbeiten und zu beantworten, ausgeglichen werden. Städtische Archive wurden generell nur punktuell erschlossen; Ausnahmen bildeten hier insbesondere die Stadtarchive in Bielefeld, Frankfurt a. M., Mannheim, München, Nürnberg und Stuttgart. Im Gegensatz zum hervorragenden Bibliotheksbestand waren die Archivbestände des Archivs für Soziale Demokratie (Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn-Bad Godesberg) und des Archivs des Deutschen Gewerkschaftsbundes (Düsseldorf) für die Biographien der sozialdemokratischen Reichstagskandidaten unergiebig; der umfangreiche Bestand „Personalia“ des Archivs für Soziale Demokratie enthält schwerpunktmäßig relevante und zahlreiche biographische Informationen für die Zeit der Bundesrepublik, die Zeit vor 1933 ist durch den Verlust des alten Parteiarchivs nur relativ schwach unter den Quellen vertreten.

Punktuelle Erschließung

Punktuelle Erschließung von publizierten Quellen bedeutete, daß aufgrund bestimmter biographischer Vorinformationen/Hinweise die jeweilige Quelle nicht vollständig, sondern nur ausschnittsweise und gezielt nach biographischem Material durchgesehen wurde. Dies betraf vor allem zahlreiche Massenquellen: z. B. bei Kenntnis des exakten Todesdatums eines Reichstagskandidaten wurden die in Frage kommenden Ausgaben der (regional) zuständigen SPD-Zeitung im Hinblick auf einen eventuell vorhandenen Nachruf überprüft. Das punktuelle Erschließungsverfahren galt grundsätzlich für alle publizierten Quellen mit geringem biographischen Gehalt.

Punktuelle Erschließung von archivalischen Quellen bedeutete, daß aufgrund bestimmter biographischer Vorinformationen/Hinweise (z. B. Kenntnis von Geburtsort und Geburtsdatum bzw. des Tätigkeitsortes) bei Archiven, Standesämtern, Meldebehörden, arbeitgebenden Einrichtungen (vor allem: Allgemeine Ortskrankenkassen, Genossenschaften, Gewerkschaftsverbände) usw. gezielt nach biographischen Informationen postalisch angefragt wurde. Insgesamt wurden mehr als 1 500 solcher Anfragen für die Reichstagskandidaten-Recherche abgeschickt, davon wurden allerdings – trotz Mahnwesens – nur knapp 1 000 Anfragen (d. h. ca. zwei Drittel) beantwortet; von diesen beantworteten Anfragen erbrachten wiederum nur knapp 800 mehr oder weniger weiterführende Informationen. Dieses Erschließungsverfahren galt grundsätzlich für alle archivalischen bzw. nicht-publizierten Quellenbestände, die entweder aufgrund ihres geringen biographischen Gehalts für eine systematische Recherche ausfielen oder auf die – wie z. B. auf die personenbezogenen Quellen von Standes- und Meldeämter – nicht unmittelbar zugegriffen werden konnte. Bei jeder punktuellen Anfrage wurde routinemäßig nach dem Nachweis von Nachkommen der Reichstagskandidaten angefragt.

Die punktuelle Anfrage bei Nachkommen setzt einerseits voraus, daß überhaupt Nachkommen vorhanden und diese noch am Leben sind, und andererseits, daß die Nachkommen auch zur Auskunft bereit sind bzw. daß sie überhaupt über biographische Informationen zum Lebenslauf des Vaters, Großvaters, Onkels etc. verfügen. Der systematische Nachweis und das Befragen von Nachkommen sind äußerst arbeits- und kostenintensive Recherchemethoden; im Rahmen des Reichstagskandidaten-Projekts wurden daher Nachkommen nur dann befragt, wenn nach der Auswertung aller anderen Quellen relevante biographische Informationen immer noch fehlten oder wenn – als Nebenprodukt der punktuellen Erschließung von archivalischen Quellen – bei Anfragen konkrete Hinweise auf noch lebende Nachkommen gegeben wurden. Diese Nachkommensbefragung erfolgte in der Regel auf postalischem Weg anhand eines teilstandardisierten Fragebogens, nur in besonderen Ausnahmefällen wurde auch eine ergänzende mündliche Befragung durchgeführt. Ohne an dieser Stelle ausführlich auf die Probleme und auf die Ergebnisse der Befragungen eingehen zu wollen, sei nur ein Fazit angemerkt: die Befragungen lösten eine Welle von menschlichen Gefühlen und Anteilnahme aus und zählten für den Bearbeiter zweifellos zu den anregenden, für die Arbeit hochmotivierenden Erfahrungen; der wissenschaftliche Ertrag dagegen hielt sich in recht engen Grenzen, insbesondere war erwartungsgemäß die Memorierbarkeit von Ereignissen/Tatsachen, die teilweise viele Jahrzehnte zurücklagen, nur eingeschränkt und selten exakt möglich; hier hätten Unterlagen/Materialien aus früherer Zeit hilfreiche Gedächtnisstützen bieten können, aber auch (oder gerade) im Privatbereich sind vor allem in der NS-Zeit (aus Angst vor Verfolgung) weit überwiegend die Quellen, die für die Rekonstruktion der jeweiligen Lebensläufe ergiebig hätten sein können, prophylaktisch von den Betroffenen selbst oder durch Fremdeinwirkung (Polizei, Bombardierung etc.) vernichtet worden.

d) Rekonstruktion der Lebensläufe und Normalbiographie

Ein wissenschaftlichen Maßstäben verpflichtetes Handbuch muß sich vor Beginn der Editionsarbeit hinreichend Rechenschaft darüber ablegen, wer die künftigen Handbuchbenutzer sein werden und inwieweit und in welcher Form bei ihnen ein Informationsbedarf besteht. Die Ergebnisse einer solchen Bedarfsanalyse sollten – soweit möglich und nötig – bei der Festlegung der Editionsprinzipien berücksichtigt werden. (51)(51) Die in der Folge vorgetragenen systematischen Überlegungen beruhen auf Gesprächen mit einschlägigen Experten (Bibliothekare, Dokumentare, Wissenschaftler) und mit zahlreichen potentiellen Nutzern, die im Laufe der letzten 13 Jahre biographische Anfragen an den Vf. gerichtet haben. Zur Methode der Bedarfsanalyse vgl. u. a. die Ausführungen im Rahmen eines allgemeinen Systementwurfs bei: Wilhelm Heinz Schröder, Die Datenbank „Arbeiterbewegung/Arbeitergeschichte“ (DABAG), Allgemeiner und konkreter Systementwurf zur Schaffung eines computergestützten Informations- und Dokumentationssystems für die Verarbeitung von Literaturdokumenten zur Arbeiterbewegung/Arbeitergeschichte, Berlin 1978.

Innerhalb der Handbuchbenutzer lassen sich zwei Hauptgruppen unterscheiden: die Benutzergruppe im Verwertungszusammenhang „Forschung, Lehre, Studium, Fortbildung“ und die Benutzergruppe im Verwertungszusammenhang „Planung, Entscheidung, Information, Interessenverwertung“. Zweifellos knüpfen Hochschullehrer, Forscher und auch Doktoranden die höchsten Erwartungen an ein biographisches Handbuch, ihre Erwartungen lassen sich wie folgt beschreiben:

  • Vollständige Wiedergabe aller eruierten biographischen Informationen,
    d. h. auch solche Informationen, die für die Biographie eines Parlamentariers/Kandidaten nur von peripherer Bedeutung sind, sollen einbezogen werden;
  • präzise Wiedergabe von biographischen Informationen,
    d. h. z. B. Berufs- und Amtsbezeichnungen sollen originalgetreu reproduziert und Berufstätigkeiten und Amtsausübungen zeitlich und räumlich verortet werden;
  • ballastfreie Wiedergabe von biographischen Informationen,
    d. h. auf allgemeine und redundante Informationen soll in der Individualbiographie weitestgehend verzichtet werden;
  • objektive Wiedergabe von biographischen Informationen,
    d. h. subjektive Einschätzungen und Wertungen des wissenschaftlichen Autors sollen unterbleiben oder deutlich abgehoben und ohne Einfluß auf die Vermittlung objektivierbarer Informationen sein;
  • transparente Rekonstruktion der individuellen Lebensläufe,
    d. h. durch einen umfänglichen wissenschaftlichen Anmerkungsapparat sollen alle Informationen quellenmäßig belegt und die Rekonstruktionsentscheidungen im Einzelnen diskutiert und begründet werden;
  • dokumentarische Erschließung der biographischen Informationen,
    d. h. es sollten verschiedene Register (z. B. Orts-, Zeit-, Instituts-, Verbände-, Berufsregister) und Übersichten (Wahlkreisübersichten, Tabellen etc.) erstellt werden.

Wenn all diese Erwartungen erfüllt werden, wären kollektive Biographien selbst mit äußerst spezifischen und komplexen Fragestellungen allein auf der Basis des Handbuchs und ohne die Notwendigkeit eigener Recherchen möglich. Im Regelfall allerdings wird diese Gruppe der Wissenschaftler das Handbuch nicht im Ganzen oder Teilen für eine kollektive Biographie, sondern für Einzelbiographien benutzen, die man als ergänzende Quelle im Rahmen von Forschung und Lehre braucht.

Das Informationsbedürfnis der Studenten, die eine Examens- bzw. Magisterarbeit anfertigen, dürfte wohl zwischen dem genannten engeren Kreis der Wissenschaftler und dem der umfangreichen Gruppe der Studenten, die eine Seminar- bzw. Projektarbeit anfertigen müssen, anzusiedeln sein. Dem Studenten ist kaum damit gedient, wenn er eine Biographie in der Form des maximalen Informationsangebots vorfindet. Für die Anfertigung seiner Seminararbeit, bei der in der Regel das Nachschlagen einer Biographie wohl eine notwendige, aber nur flankierende Maßnahme darstellt, erwartet der Student vor allem:

  • reduzierte Wiedergabe von biographischen Informationen,
    d. h. nur die relevanten Informationen sollen einbezogen werden, während die vollständige Wiedergabe dem „nicht-“ oder „noch nicht-“ wissenschaftlichen Nutzer sehr oft den Blick für das Wesentliche verstellt (Problem: Festlegung von Relevanz);
  • kontextuelle Wiedergabe von biographischen Informationen,
    d. h. die Biographien sollen in knapper Form vor dem allgemeinen historischen Hintergrund dargestellt und ihre Beziehungen zu anderen Biographien durch Quellenverweise erschlossen werden, während die ballastfreie Wiedergabe den besonderen historischen Stellenwert der biographischen Persönlichkeit nicht immer oder nicht deutlich genug erkennen läßt (Problem: hohes Maß an Redundanz).

Ein ähnliches Informationsbedürfnis läßt sich von Lehrern, Schülern und Studenten der verschiedenen Schultypen, der Volkshochschulen und den diversen Bildungsveranstaltungen anderer Bildungsinstitutionen erwarten. Dabei verlagert sich auch der Bedarf mehr von der wissenschaftlich orientierten hin zur populärwissenschaftlich orientierten Biographie und macht zusätzlich erforderlich:

  • allgemeinverständliche Wiedergabe von biographischen Informationen,
    d. h. benutzte Fachtermini und historische Begriffe und Bezeichnungen sollten „übersetzt“ und für den normalen Benutzer unmittelbar verständlich formuliert werden, während die präzise Wiedergabe weiteres Nachschlagen erforderlich macht, ansonsten aber Mißverständnisse bewirken kann.

Dies entspricht auch dem Informationsbedürfnis der Benutzer in den Verwertungszusammenhängen „Planung, Entscheidung, Information, Interessenverwertung“, wie sie vor allem in den Bereichen von Regierung, Verwaltung, Parlament, Parteien, Verbänden und Medien zu finden sind. Hier spielt zusätzlich der Zeitfaktor eine dominante Rolle; für eine kritische Verarbeitung der transparenten Rekonstruktion von Lebensläufen fehlt hier Zeit und wohl auch Verständnis. Ein wissenschaftlicher Apparat wirkt in diesem Zusammenhang eher verwirrend und/oder abschreckend, klare und eindeutige Informationen sind hier gefordert.

Insgesamt gesehen sind die Erwartungen der genannten Benutzergruppen an ein biographisches Handbuch teils deckungsgleich, teils tendenziell oder sogar grundlegend verschieden. Ein Handbuch kann demnach in keinem Falle die Erwartungen aller Benutzergruppen optimal erfüllen, es müssen entsprechend klare Prioritäten gesetzt oder Kompromisse geschlossen werden. Diese Priorität soll beim vorliegenden Handbuch eindeutig auf dem Bedarf der wissenschaftlichen Benutzergruppe liegen. Diese Prioritätensetzung bedeutet aber nicht, daß das Handbuch auch den maximalen Bedarf dieser Benutzergruppe befriedigen kann. Das Handbuch zielt prinzipiell auf einen breiten Benutzerkreis und soll und kann spezialisierte Einzelforschung nicht ersetzen. Dies trifft vor allem auf die Arbeit der kollektiven Biographen zu; hier kann ein Handbuch wohl die allgemeine Quellenbasis bereitstellen, die allen kollektiven Biographen als Grundlage ihrer Forschungen dienen kann, aber es kann sich weder auf die „vollständige“ Erfassung und Erschließung, noch auf die „vollständige“ Wiedergabe von peripheren biographischen Informationen einlassen, wobei die „Vollständigkeit“ von einem Handbuch zudem auch nicht annähernd zu erreichen ist. Prioritätensetzung heißt nicht völlige Ausschaltung der Bedürfnisse anderer Benutzergruppen; ohne den entsprechenden Bedarf der wissenschaftlichen Benutzer allzusehr zu beeinträchtigen, bieten sich zumindest als denkbare Kompromisse an: neben der Reduktion der „Vollständigkeit“ und der „Transparenz“ auch ein größeres Maß an Allgemeinverständlichkeit, in welcher Form wird unten noch zu erläutern sein.

Gemäß den allgemeinen Vorgaben galt es bei der Edition des vorliegenden Handbuchs folgende konkreten Editionsentscheidungen zu treffen:

  • Entscheidung über die Relevanz von Informationssegmenten,
  • Entscheidung über die Wiedergabe von Informationen (vollständig, präzise, ballastfrei, objektiv?),
  • Entscheidung über die Transparenz der biographischen Rekonstruktion von Lebensläufen,
  • Entscheidung über die dokumentarische Erschließung der Informationen.

Die konkreten Editionsentscheidungen mußten schließlich umgesetzt werden zur Festlegung der Struktur der Reichstagskandidaten-Normalbiographie. Diese Editionsentscheidungen sollen in der Folge kurz vorgestellt und erörtert werden.

Relevanz von Informationssegmenten

Jede Biographie enthält – soweit wie möglich – folgende Informationssegmente:

Personennamen
Familienname, Vorname(n), (Rufname).
Personenstandsangaben
Geburtsdatum, Geburtsort (einschl. politisch-geographischer Zuordnung); Sterbedatum, Sterbeort (einschl. politisch-geographischer Zuordnung); Beruf des Vaters (ggf. der Mutter); Religionsbekenntnis (einschl. eventueller Wechsel); Familienstand (ggf. mit Angabe des Heiratsjahrs).
Sozialisation
Dauer, Art und Ort der Schul-, Hochschul- und Berufsausbildung; Dauer des Militärdienstes; Wanderschaft (einschl. Angabe der durchwanderten Länder); Jahr des (ersten) Partei und Gewerkschaftsbeitritts (bezogen auf die sozialdemokratischen Parteien und die „freie“ Gewerkschaftsbewegung); Art und Dauer der (unselbständigen) Ausübung des „erlernten“ Berufs bzw. von Berufstätigkeiten.
Berufskarriere
Dauer, Art und Ort/Raum aller hauptamtlichen Berufspositionen bzw. Positionen, die überwiegend zum Haupterwerb dienen – nicht jedoch die unselbständige Tätigkeit vor Eintritt in die Politik- bzw. Organisationskarriere, die unter „Sozialisation“ subsumiert wird.
Ämter in Politik/Öffentlicher Verwaltung/Verbände
Dauer, Art und Ort/Raum aller wichtigen Ämter in diesen Bereichen (nicht jedoch Ämter in der Arbeiterbewegung, vgl. unten) im Ehren- oder Nebenamt; „wichtig“ heißt hier mindestens die Mitgliedschaft in einem kommunalen Parlament bzw. bei den Verbänden eine leitende Funktion auf regionaler Ebene.
Parlamentarische Ämter
Dauer, Art und Ort/Raum bestimmter wichtiger parlamentarischer Ämter im Ehren- oder Nebenamt (das sind in der Regel Mitgliedschaft im Parlamentspräsidium und Vorsitz der Parlamentsfraktion).
Ämter in der Arbeiterbewegung
Dauer, Art und Ort/Raum aller wichtigen Ämter innerhalb der Arbeiterbewegung im Ehren- oder Nebenamt; „Arbeiterbewegung“ umfaßt hier im engeren Sinne vor allem die Partei- und Gewerkschaftsbewegung, im weiteren Sinne auch Genossenschaften, Krankenkassen und zahlreiche andere Einrichtungen (Arbeiter-Abstinentenbund, Arbeiter-Turn- und Sportbund, Arbeiter-Radfahr-Verband, Arbeiter-Sängerbund etc.); „wichtig“ heißt für die Arbeiterbewegung im engeren Sinne mindestens eine leitende Funktion auf lokaler Ebene, für die im weiteren Sinne mindestens eine leitende Funktion auf regionaler Ebene.
Sonstiges
Nennung von persönlichen Besonderheiten (z. B. Verfasser einer Autobiographie, NS-Haft, langjährige politische Haftstrafen), die wichtig für die Biographie sind, aber nicht durch andere Segmente abgedeckt werden.
Delegierungen
Nennung (Jahr) von Delegierungen zu den sozialdemokratischen Parteitagen (1869-1933), zu den allgemeinen nationalen GewerkschaftsKongreßen der „freien“ Gewerkschaften (1892-1933) und in Auswahl zu den nationalen Verbandstagen von Einzelgewerkschaften (1890-1914).
Reichstagskandidaturen und Reichstagsmandate
Nennung (Wahltermin, Wahlkreis) aller Reichstagskandidaturen zu den Haupt- und Ersatzwahlen (1898-1930, überwiegend auch für 1890-1898) und aller Reichstagsmandate (Dauer, Wahlkreis) (1867-1933).
Landtagsmandate
Nennung (Dauer, Art) aller Landtagsmandate (1871-1933).

Das Gebot von Arbeits-, Zeit- und Mittelökonomie setzt jedem Handbuch-Projekt enge Grenzen und zwingt zur Bestimmung des Machbaren einerseits und zur Abwägung des Verhältnisses zwischen Aufwand und Nutzen andererseits. Grenznutzenerwägungen betreffen nicht nur das Vollständigkeits-Postulat, sondern vor allem auch die Forderung nach Transparenz des wissenschaftlichen Rekonstruktionsprozesses zur Erstellung der Biographien.

Unter den gegebenen Umständen wurde daher das Segment „Quellenverweise“ ersatzlos gestrichen. Diese Streichung bedeutet gleichzeitig eine ablehnende Editionsentscheidung im Hinblick auf die Transparenz der Lebenslauf-Rekonstruktion im Handbuch. Der wissenschaftliche Nutzer des Handbuchs sollte später unmittelbar die archivierten Kandidaten-Personendossiers, in denen die Hauptquellen (einschließlich der Unterlagen der schriftlichen Befragungen) zu dem jeweiligen Kandidaten gesammelt sind, einsehen und dadurch die Möglichkeit besitzen, den Prozeß des Biographierens anhand der vorliegenden Quellen selbst kritisch nachzuvollziehen.

Relevanz von Informationselementen

Die Erschließung von Massenbiographien erlaubt, das Relevanzkriterium relativ niedrig und flexibel festzulegen, d. h. die Relevanz wird z. B. an bestimmten Funktionärspositionen und/oder anderen Ämtern und Funktionen festgemacht, und im Zweifelsfalle muß nicht gegen, sondern kann für die Aufnahme entschieden werden. Dagegen wird bei vielen biographischen Lexika weder deutlich, warum die aufgenommenen Personen ausgewählt und warum nicht noch weitere bzw. statt dessen andere aufgenommen worden sind, noch, warum bestimmte Informationen als relevant erkannt werden (und in die Biographie aufgenommen werden) und andere nicht. Die Biographien in diesem Handbuch enthalten die zeitlich verorteten „harten“ Fakten der individuellen Lebensläufe, insoweit sie relevant für die Karriere eines politischen Funktionärs und insoweit sie – für eine Mindestzahl von Biographien – in Form von intersubjektiv vergleichbaren „Fakten“ bei der Recherche objektivierbar gewesen sind. Das bedeutet den bewußten Verzicht auf die Wiedergabe von verfügbaren biographischen Informationen, die über jene „harten“ Fakten hinausgehen und die z. B. Persönlichkeitsmerkmale, politisches Verhalten, ideologische Standpunkte etc. betreffen. Jeder Versuch, ein annähernd objektives Wertesystem zu entwickeln, das eine homogene und vergleichbare Einordnung entsprechender Informationen erlaubt, muß von vornherein an der Heterogenität und der Massenhaftigkeit der Biographien scheitern. Wenn auch durch diesen Verzicht manche Kandidaten mit vielen „objektivierbaren“ Fakten optisch gewichtiger erscheinen als solche, die wohl bedeutend waren, aber weniger nachweisbare „Fakten“ aufweisen, so erhält der Benutzer des Handbuchs dennoch eine solide Grundlage, sich selbst von der Gewichtung ein Bild zu machen und möglicherweise die erhaltenen Informationen für weiterführende Recherchen zu nutzen.

Ein gewisser Ausgleich für jene optische Ungleichgewichtigkeit wurde – neben dem Informationssegment „Sonstiges“ – mit der Einführung des editorischen Prinzips der „gleitenden“ Relevanz geschaffen. Diese „gleitende“ Relevanz bewirkt einerseits, daß bei besonders „relevanten“ Kandidaten mit vielen „relevanten“ Informationselementen „weniger relevante“ (aber dennoch „relevant“ im obigen Sinn) Informationen nur ausnahmsweise mit in die Biographie einbezogen werden, während andererseits bei „weniger relevanten“ Kandidaten mit „weniger relevanten“ Informationselementen ggf. auch „weniger relevante“ bzw. (im obigen Sinn) „nicht-relevante“ Informationen in die Biographie mit einbezogen werden können.

Grenznutzen von „Vollständigkeit“

Analog der unterschiedlichen Relevanz und des ungleichen Informationsstandes reicht allgemein die Form der „Biographien“ von der äußerst kurzen biographischen Annotation bis hin zum ausführlichen biographischen Essay. Damit wird ein zentrales Editionsprinzip massenbiographischer Handbücher deutlich: das massenbiographische Handbuch nimmt die Biographie jeder Person, die vorher als relevant erkannt worden ist, auf, ungeachtet dessen, ob und in welchem Ausmaße biographische Daten eruiert werden konnten. Dagegen versuchen viele biographische Lexika zumindest annähernd das Vollständigkeits- und Gleichgewichtigkeitspostulat für Biographien zu erfüllen, d. h. Personen, deren Biographien nicht in der erwünschten Vollständigkeit und Gleichgewichtigkeit vorliegen, werden – oft unabhängig von ihrer Relevanz – deshalb nicht in das Handbuch aufgenommen.

Wie die Akzeptanz von Unvollständigkeit und Ungleichgewichtigkeit schon deutlich macht, wird ein massenbiographisches Handbuch grundsätzlich nie „fertig“ oder „vollständig“; Teilinformationen (oft allerdings nur redundant im Hinblick auf die schon vorhandenen) oder weitere Quellen (oft allerdings mit nur geringem biographischem Gehalt) lassen sich in der Regel immer finden. Bei jeder massenbiographischen Recherche ist nach einigen Jahren ein Stand erreicht, wo die systematische Erschließung von Quellen abgeschlossen ist und nur noch höchst aufwendige Recherchen in Quellen mit geringem biographischem Gehalt weitere Informationen ergeben könnten. Ein solcher Forschungsstand markiert den Stellenwert des Grenznutzens, wenn der hohe Recherchenaufwand in keinem Verhältnis mehr zu dem immer spärlicher werdenden Recherchenergebnis steht.

Diesen Schwellenwert hat das vorliegende Handbuchprojekt zweifellos erreicht. Die eindeutige Aufgabe dieses Handbuchs liegt auf der vollständigen Erfassung aller sozialdemokratischen Reichstagskandidaten 1898-1918, unabhängig davon, wie „vollständig“ sich die jeweiligen Lebensläufe haben rekonstruieren lassen.

Wiedergabe von Informationen

Die Informationen werden nach Möglichkeit in ihren zeitlichen und räumlichen Bezügen präzise wiedergegeben. Für alle Funktionen werden Jahresangaben (auch wenn dem Bearbeiter präzisere Datumsangaben vorgelegen haben) gemacht. Darüber hinaus erfolgt bei allen hauptamtlichen Tätigkeiten und bei sehr hohen politischen Ämtern (z. B. Regierungsmitgliedschaften) – soweit entsprechende Daten vorhanden sind – eine weitere Präzisierung der Zeitangabe durch die Nennung des Monats. Diese Monatspräzisierung entfällt in der Regel für das Jahr 1933; unabhängig von dem Abschluß des formalen Entlassungsprozesses, der sich teilweise bis in das Jahr 1934 hinzog, läßt sich hier nur selten exakt der faktische Zeitpunkt der Amtsenthebung sozialdemokratischer Funktionsträger feststellen. Soweit nicht anders angegeben (z. B. für solche Fälle, die 1933 nach „normaler“ Erreichung der Altersgrenze in den Ruhestand gingen), erfolgte diese faktische Amtsenthebung zwischen März und Juni 1933.

Tätigkeiten/Funktionen in der NS-Zeit wurden aus grundsätzlichen Erwägungen heraus nicht in die Normalbiographie aufgenommen; vor allem das Fehlen bzw. die geringe Verläßlichkeit von biographischen Informationen aus dieser Zeit lassen eine objektivierbare Rekonstruktion des Lebenslaufs von 1933 bis 1945 nur selten zu. Das Handbuch beschränkt sich daher auf knappe Hinweise zu zwei hinreichend objektivierbaren Bereichen: Dauer und Länder der politischen Emigration (dafür liegt das Handbuch der deutschsprachigen Emigration vor) und Inhaftierungen in Gefängnissen, Zuchthäusern und Konzentrationslagern durch das NS-Regime.

Da im Sinne der Lebenslaufforschung Zeitangaben von grundlegender Bedeutung sind, werden auch solche Zeitangaben in die Biographie aufgenommen, die wohl belegt, aber nicht hinreichend bzw. präzise gesichert sind; solche Zeitangaben werden durch eckige Klammern (z. B. [1913]) gekennzeichnet.

Angesichts des uneinheitlichen Gebrauchs werden synonyme, aber wortverschiedene Berufs-, Amts- und Organisationsbezeichnungen nicht immer im Original-Wortlaut reproduziert, sondern auf eine jeweils einheitliche Bezeichnung festgelegt (z. B. „Filiale“ für Zweigstelle, Zweigverein, Ortsstelle …; „Zimmererverband“ für Zentralverband der Zimmerer und verwandten Berufsgenossen Deutschlands). Originalbezeichnungen von Periodika oder Organisationen (z. B. „Hamburger Echo“) werden – wenn notwendig – in Gänsefüßchen gesetzt. Allgemein benutzt der Text weitgehend ein kontrolliertes Vokabular, um die Vergleichbarkeit und Verstehbarkeit der biographischen Texte zu erhöhen. Die Informationen werden möglichst ballastfrei wiedergegeben, d. h. es wird auf die Wiedergabe von allgemeinen und redundanten Informationen, insbesondere auf die Wiedergabe eines verbalisierten Satzkontextes verzichtet. Die Informationen werden objektiv wiedergegeben; subjektive Einschätzungen und Wertungen des Handbuch-Redakteurs sind weitgehend unterblieben.

Dokumentarische Erschließung der Biographien

Eine hohe und vielseitige Nutzbarkeit eines biographischen Handbuchs hängt u. a. davon ab, ob ein geeignetes Register vorhanden ist, das über den Standardzugriff (den Namen) hinaus den schnellen Zugriff zu den gewünschten Informationen aufgrund inhaltskennzeichnender Sachverhaltsbeschreibungen (Indizes) erlaubt; d. h. der Benutzer muß nicht nur Antwort finden auf die Frage „wie verlief das Leben des Abgeordneten X?“, sondern auch auf die Frage „bei welchem Abgeordneten findet sich im Leben der Sachverhalt Y?“.

Die Beantwortung solcher Fragen ist die genuine Aufgabe der Kandidaten-Datenbank, die zur Zeit verfügbar ist (an der TU Berlin) ; hier steht eigens dafür eine Vielfalt von Auswahltechniken zur Informationsrückgewinnung (Retrieval) zur Verfügung (z. B. automatische KWIC-Indizierung von Textwörtern, automatisches Erstellen eines Thesaurus, Deskriptoren/Aspekte). Technisch nahezu unbegrenzt sind die Möglichkeiten der inhaltlichen Kennzeichnung der jeweiligen Informationen durch sogenannte freie Deskriptoren, die vom Redakteur für jede Biographie festgelegt werden können (subjektive Indizierung).

Arbeitsökonomisch sind der subjektiven Indizierung durch den Handbuch-Redakteur jedoch enge Grenzen gesetzt; entsprechend galt es zu entscheiden, ob neben den üblichen Ortsregistern (Geburts-, Todes- und Tätigkeitsorte) überhaupt noch andere sachverhaltsbezogene Register für das Handbuch erstellt werden sollten. Im Sinne einer hohen Benutzerfreundlichkeit des Handbuchs wurde ein differenzierter Registerthesaurus für 7 Situs-Bereiche entwickelt. Das Register ist ausführlich im Teil C erläutert, es umfaßt Register zu folgenden Bereichen:

  • Parteiorganisation
  • Gewerkschaftsorganisation
  • Genossenschaftsorganisation
  • Krankenkassenorganisation
  • Parteipublizistik
  • Politik/Öffentliche Verwaltung/Verbände
  • Mandate

Vor allem die Methode der mehrdimensionalen Indizierung erlaubt den Benutzern den gezielten Zugriff auf die gesuchte Information, ohne allzuviel Ballastinformationen damit gleichzeitig inkaufnehmen zu müssen. Die (einschließlich der Ortsregister) 11 Handbuchregister erlauben unter den gegebenen Umständen eine optimale Benutzer-Recherche und garantieren eine wesentlich erhöhte Verwertungschance der Biographien durch die Handbuchbenutzer.

Struktur der Reichstagskandidaten-Normalbiographie

Unter „Normalbiographie“ soll hier eine standardisierte Form des Lebenslaufes verstanden werden, die alle als relevant erkannten Informationselemente des durchschnittlichen (d. h. für ein Maximum an zu biographierenden Personen gültigen) Lebenslaufes enthält. Bei der Bestimmung, welche Informationselemente überhaupt und in welcher Form in die Normalbiographie aufgenommen werden, müssen die Argumente des wissenschaftlichen Begründungszusammenhangs, die Faktoren des allgemeinen und spezifischen historischen Kontextes der Lebensläufe und die Vorgaben der konkreten Forschungspraxis angemessen berücksichtigt werden. Für das vorliegende Reichstagskandidaten-Handbuch wurde demgemäß folgende Normalbiographie festgelegt:

  • Identifikationsnummer (Fallnummer)
  • Nachname, Vorname (Namenszusätze)
  • Geburtsjahr, Geburtstag, Geburtsmonat
  • Geburtsort, geographische Spezifikation
  • Todesjahr, Todestag, Todesmonat
  • Todesort, geographische Spezifikation
  • Beruf(e) des Vaters, ggf. der Mutter
  • Religionszugehörigkeit bzw. Konfessionszugehörigkeit, ggf. Konfessionswechsel bzw. Kirchenaustritt (diss. bzw. später diss.)
  • Dauer (Anfangsjahr — Endjahr), Art(en) und Ort(e) der Schul- und Hochschulausbildung
  • Dauer (Anfangsjahr — Endjahr), Art(en) und Ort(e) der Berufsausbildung („erlernter Beruf“)
  • Wanderschaft (Nationalitätskennzeichen der durchwanderten Länder)
  • Dauer (Anfangsjahr — Endjahr) des Militärdienstes (nicht Kriegsteilnahme)
  • Familienstand (Jahr der Eheschließung bzw. bei mehreren Eheschließungen laufende Nummer und Jahr)
  • Jahr des ersten Parteibeitritts (nur sozialistische bzw. sozialdemokratische Parteien in Deutschland)
  • Dauer (Anfangsmonat, Anfangsjahr — Endmonat, Endjahr), Art(en) und Ort(e) aller hauptamtlichen Berufspositionen bzw. von Positionen, die überwiegend zum Haupterwerb dienen
  • Dauer (Anfangsjahr — Endjahr), Art(en) und Ort(e)/Bereich(e) aller relevanten (halb-, neben- und ehrenamtlichen) Ämter im Situs Politik/Öffentliche Verwaltung/Verbände
  • Dauer (Anfangsjahr — Endjahr), Art(en) und Ort(e)/Bereich(e) aller relevanten parlamentarischen Ämter
  • Dauer (Anfangsjahr — Endjahr), Art(en) und Ort(e)/Bereich(e) aller relevanten Ämter innerhalb der Arbeiterbewegung
  • Jahr und Parteispezifikation bei Parteiwechsel bzw. Jahr des Parteiausschlusses/-austritts
  • Dauer (Anfangsjahr — Endjahr) der Kriegsteilnahme (ggf. Kriegsbeschädigung)
  • Dauer (Anfangsjahr — Endjahr) längerer politischer Haftstrafen;
  • Dauer (Anfangsmonat, Anfangsjahr) politischer Ausweisungen unter dem Sozialistengesetz, ggf. Ausweisungsorte und Aufenthaltsorte
  • pauschale Nennung von Haftstrafen (ggf. Angabe des KZ) in der NS-Zeit; pauschale Nennung von Anfangsjahr und Länder der politischen Emigration; Titel und Erscheinungsjahr der Autobiographie
  • Titel und Erscheinungsjahr des wichtigsten Werkes (bei Schriftstellern); Nennung von sonstigen persönlichen Besonderheiten
  • MdR: Dauer (Wahlmonat, Wahljahr — Wahlmonat, Wahljahr) und Wahlkreis des Reichstagsmandats (1867-1933)
  • MdB: Dauer (Wahlmonat, Wahljahr — Wahlmonat, Wahljahr) des Bundestagsmandats (BRD) (1949 ff.)
  • MdV: Dauer (Wahlmonat, Wahljahr — Wahlmonat, Wahljahr) des Volkskammermandats (DDR) (1949 ff.)
  • MdL: Dauer (Wahljahr — Wahljahr) und Land des Landtagsmandats (1867-1933 und 1945 ff.)
  • Kandidat: Wahljahr (bei Ersatzwahlen: Wahltag, Wahlmonat) und Wahlkreis von Reichstagskandidaturen (1890-1933, für die Zeit von 1919-1933 nur Nennung von erfolglosen Kandidaturen)
  • Parteitag(e): Jahr von Delegierungen zu den sozialdemokratischen Parteitagen (1863-1931). Gewerkschaftskongreß(e): Jahr von Delegierungen und Nennung der delegierenden Berufsgruppe zu den allgemeinen nationalen Kongreßen der Freien Gewerkschaften (1892-1931).
  • Verbandstag(e): Jahr von Delegierungen und Nennung der Berufsgruppe zu den nationalen Verbandstagen von Freien Einzelgewerkschaften (1890-1914)

Tabelle 6: Sozialdemokratische Parteitage 1863 – 1931

Allgemeiner Deutscher Arbeiterverein (ADAV)

1863 (23. Mai)

Gründungsversammlung in Leipzig

1864 (27.-30. Dez.)

Generalversammlung in Düsseldorf

1865 (30. Nov. – 1. Dez.)

Generalversammlung in Frankfurt (Main)

1866 (17. Juni)

Generalversammlung in Leipzig

1866 (27. Dez.)

Generalversammlung in Erfurt

1867 (19. – 20. Mai)

Generalversammlung in Braunschweig

1867 (22. Nov.)

Generalversammlung in Berlin

1868 (22. – 26. Aug.)

Generalversammlung in Hamburg

1869 (28. März – 1. April)

Generalversammlung in Elberfeld-Barmen

1870 (5. – 10. Jan.)

Generalversammlung in Berlin

1871 (18. – 25. Mai)

Generalversammlung in Berlin

1872 (22. – 25. Mai)

Generalversammlung in Berlin

1873 (18. – 24. Mai)

Generalversammlung in Berlin

1874 (26. Mai – 5. Juni)

Generalversammlung in Hannover

 

 

Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP)

1869 (7. – 9. Aug.)

Allgemeiner Deutscher Sozialdemokratischer Arbeiterkongreß in Eisenach (Gründungskongreß der SDAP)

1870 (4. – 7. Juni)

Kongreß in Stuttgart

1871 (12. – 15. Aug.)

Kongreß in Dresden

1872 (7. – 11. Sept.)

Kongreß in Mainz

1873 (23. – 27. Aug.)

Kongreß in Eisenach

1874 (18. – 21. Juli)

Kongreß in Coburg

 
Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands (SAPD)

1875 (22. – 27. Mai)

Vereinigungskongreß der SDAP und des ADAV zur Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands in Gotha

1876 (19. – 23. Aug.)

Allgemeiner Sozialistenkongreß in Gotha

1877 (27. – 29. Mai)

Allgemeiner Sozialistenkongreß in Gotha

1880 (20. – 23. Aug.)

Kongreß der Deutschen Sozialdemokratie in Wyden (Schweiz)

1883 (29. März – 2. April)

Kongreß der Deutschen Sozialdemokratie in Kopenhagen

1887 (2. – 6. Okt.)

Parteitag der Deutschen Sozialdemokratie in St. Gallen (schweiz)

 
Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

1890 (12. – 18. Okt.)

Parteitag in Halle (Saale)
(Umbenennung der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands in Sozialdemokratische Partei Deutschlands

1891 (14. – 20. Okt.)

Parteitag in Erfurt

1892 (14. – 21. Nov.)

Parteitag in Berlin

1893 (22. – 28. Okt.)

Parteitag in Köln

1894 (21. – 27. Okt.)

Parteitag in Frankfurt (Main)

1895 (6. – 12. Okt.)

Parteitag in Breslau

1896 (11. – 16. Okt.)

Parteitag in Gotha

1897 (3. – 9. Okt.)

Parteitag in Hamburg

1898 (3. – 8. Okt.)

Parteitag in Stuttgart

1899 (9. – 14. Okt.)

Parteitag in Hannover

1900 (17. – 21. Sept.)

Parteitag in Mainz

1901 (22. – 28. Sept.)

Parteitag in Lübeck

1902 (14. – 20. Sept.)

Parteitag in München

1903 (13. – 20. Sept.)

Parteitag in Dresden

1904 (18. – 24. Sept.)

Parteitag in Bremen

1905 (17. – 23. Sept.)

Parteitag in Jena

1906 (23. – 29. Sept.)

Parteitag in Mannheim

1907 (15. – 21. Sept.)

Parteitag in Essen

1908 (13. – 19. Sept.)

Parteitag in Nürnberg

1909 (12. – 18. Sept.)

Parteitag in Leipzig

1910 (18. – 24. Sept.)

Parteitag in Magdeburg

1911 (10. – 16. Sept.)

Parteitag in Jena

1912 (15. – 21. Sept.)

Parteitag in Chemnitz

1913 (14. – 20. Sept.)

Parteitag in Jena

(1916) (21. – 23. Sept.)

Reichskonferenz der deutschen Sozialdemokratie

1917 (14. – 20. Okt.)

Parteitag in Würzburg

1919 (10. – 15. Juni)

Parteitag in Weimar

1920 (10. – 16. Okt.)

Parteitag in Kassel

1921 (18. – 24. Sept.)

Parteitag in Görlitz

1922A (17. – 23. Sept.)

Parteitag in Augsburg

1922N (24. Sept.)

Vereinigungsparteitag der SPD und der USPD (Rechte) in Nürnberg

1924 (11. – 14. Juni)

Parteitag in Berlin

1925 (13. – 18. Sept.)

Parteitag in Heidelberg

1927 (22. – 27. Okt.)

Parteitag in Kiel

1929 (26. – 31. Mai)

Parteitag in Magdeburg

1931 (31. Mai – 5. Juni)

Parteitag in Leipzig

 
Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD)

1917 (6. – 8. April)

Gründungsparteitag in Gotha

1919M (2. – 6. März)

außerordentlicher Parteitag in Berlin

1919D (30. Nov. – 6. Dez.)

außerordentlicher Parteitag in Leipzig

1920H (12. – 17. Okt.)

außerordentlicher Parteitag in Halle (Saale)

 
USPD (Rechte)

1922L (8. – 12. Jan.)

Parteitag in Leipzig

1922G (20. – 23. Sept.)

Parteitag in Gera

 
Vereinigte Kommunistische Partei Deutschlands (VKPD)

1920D (8. – 7. Dez.)

Vereinigungsparteitag der USPD (Linke) mit der KPD

Tabelle 7: Die Allgemeinen Konmgresse der Freien Gewerkschaften Deutschlands 1892 1931

1892 (14. – 18. März)

 1. Kongreß in Halberstadt

1896 (4. – 8. Mai)

 2. Kongreß in Berlin

1899 (8. – 13. Mai)

 3. Kongreß in Frankfurt a.M. – Bockenheim

1902 (16. – 21. Juni)

 4. Kongreß in Stuttgart

1905 (22. – 27. Mai)

 5. Kongreß in Köln

1908 (22. – 27. Juni)

 6. Kongreß in Hamburg

1910 (25. – 26. April)

 7. (außerordentlicher) Kongreß in Berlin

1911 (26. Juni – 11. Juli)

 8. Kongreß in Dresden

1914 (22. – 27. Juli)

 9. Kongreß in München

1919 (30. Juni – 5. Juli)

10. Kongreß in Nürnberg
(GründungsKongreß des ADGB)

1922 (19. – 24. Juni)

11. Kongreß in Leipzig

1925 (31. Aug. – 4. Sept.)

12. Kongreß in Breslau

1928 (3. – 7. Sept.)

13. Kongreß in Hamburg

1931 (31. Aug. – 4. Sept.)

14. Kongreß in Frankfurt a. M.