I. Editionsprinzipien und Methodisches Vorgehen

I. Editionsprinzipien und Methodisches Vorgehen

1. Lebensläufe als Quellen der Parlamentarismusforschung

Die Bundesrepublik Deutschland gehört zu den wenigen großen Demokratien, deren parlamentarische Traditionen noch nicht in einem umfassenden historisch-biographischen Handbuch dokumentiert sind. (1) (1) Die bekanntesten biographischen Sammelwerke des Auslands sind: Biographical Directory of the American Congress 1774-1961, Washington (D.C.) 1961; Who’s Who of British Members of Parliament, hrsg. von Michael Stenton, London 1976 ff.; Adolphe Robert u. Gaston Cougny, Dictionnaire des parlamentaires français, 3 Bde., Paris 1889 1891; Dictionnaire des parlamentaires français. Notices biographiques sur les ministres, sénateurs et députés français de 1889 à 1940, hrsg. von Jean Jolly, 8 Bde., Paris 1960 ff. Dies ist der Fall, obwohl die Personengeschichte unserer Nationalparlamente nicht nur in wissenschaftlicher Hinsicht einen hohen Stellenwert einnimmt, sondern auch eine wichtige Aufgabe der Geschichtspädagogik ist: Die Reichstage und verfassunggebenden Nationalversammlungen zählen zu den wenigen institutionellen Kristallisationspunkten einer deutschen Nationalgeschichte; nicht selten werden Struktur und Verhalten der parlamentarischen Führungsgruppen in Deutschland als Hauptursache für die verzögerte und krisengestörte Entwicklung zu Demokratie und Parlamentarismus angesehen. Gerade auch im Hinblick auf die mit dem deutschdeutschen Vereinigungsprozeß einsetzende Suche nach möglichen sinnstiftenden Elementen der sich wiedervereinigenden deutschen Nation könnte der Blick auf die parlamentarischen Traditionen einen nicht ungewichtigen Beitrag zur kulturellen Integration der beiden Teilgesellschaften leisten. Für die Entwicklung einer an den Idealen der repräsentativen Demokratie ausgerichteten politischen Kultur im vereinigten Deutschland dürfte die Orientierung an parlamentarischen Traditionen von nicht zu unterschätzendem Wert sein.

Unter diesen Umständen ist es um so beklagenswerter, daß für die parlamentarischen Führungsgruppen in Deutschland bislang kein zufriedenstellendes biographisches Handbuch vorliegt, welches gleichermaßen als Arbeitsmittel für die Forschung wie als Medium der politischen Bildung dienen kann. Das „Biographische Handbuch der Reichstage“ von Max Schwarz (2)(2) Max Schwarz, MdR. Biographisches Handbuch der Reichstage, Hannover 1965. erfüllt bei aller Anerkennung der Verdienste dieser Pionierleistung auch nicht annähernd die Erwartungen an ein biographisches Handbuch deutscher Nationalparlamentarier. Trotz des anspruchsvollen Titels handelt es sich tatsächlich um eine lückenhafte Zusammenstellung der Mitglieder deutscher Nationalparlamente, welche mit knappen, nicht immer fehlerfreien biographischen Annotationen versehen wurde. Im Vergleich zu den biographischen Sammelwerken für die Mitglieder der englischen, französischen und amerikanischen nationalen Parlamente bietet das Handbuch von Schwarz mit Abstand die geringsten Informationen. Weitergehende biographische Informationen, etwa zur beruflichen und politischen Karriere, zum Bildungs- und Familienhintergrund der Abgeordneten etc., fehlen gänzlich und müssen infolgedessen auf dem Weg der zeitaufwendigen und mühevollen biographischen Quellenrecherche erschlossen werden.

Nicht selten wird auch dieser Weg vergeblich sein, denn mit Hilfe der einschlägigen biographischen Publikationen – sofern sie überhaupt verfügbar bzw. mit akzeptablem Aufwand erreichbar sind – lassen sich nicht immer die gewünschten biographischen Informationen über einzelne Abgeordnete oder Abgeordnetengruppen erschließen. Die amtlichen oder nichtamtlichen Parlamentshandbücher oder Zeitgenossen-Lexika, die reichhaltiges Material enthalten, dokumentieren den Lebenslauf eines Abgeordneten in mehr oder weniger großer Ausführlichkeit lediglich bis zum Zeitpunkt des Erscheinens, politische Karrieren oder biographische Informationen über den späteren Lebenslauf lassen sich folglich auf der Grundlage einzelner Handbücher nicht oder nur bruchstückhaft rekonstruieren. Für die Frankfurter Nationalversammlung ist ohnehin kein Parlamentshandbuch mit biographischen Informationen über die Mitglieder herausgegeben worden.

Auch der Rückgriff auf die allgemeinen biographischen Nachschlagewerke dürfte zumeist ins Leere gehen, enthalten doch die meisten derartigen Publikationen nur einen Bruchteil von Biographien einstiger Abgeordneter. Desweiteren bewirken unklare bzw. diffuse Aufnahmekriterien z. T. erhebliche Verzerrungen hinsichtlich der R epräsentativität der ausgewählten Persönlichkeiten. So läßt sich etwa in den biographischen Standardwerken ADB und NDB für die Abgeordneten der Frankfurter Nationalversammlung eine eindeutige Uberrepräsentation von Vertretern der Bildungsberufe (Professoren, Lehrer etc.) und der freien Berufe (Publizisten, Schriftsteller, Arzte etc.) feststellen. Ebenfalls dominieren in beiden Werken biographische Artikel zu Abgeordneten des rechten und mittleren politischen Spektrums der Paulskirche, dagegen wurden von den linken Abgeordneten zumeist nur die führenden Persönlichkeiten erfaßt. (3) (3) In welchem Umfang in den beiden biographischen Standardwerken ADB und NDB die Lebensläufe bestimmter Gruppen der Frankfurter Abgeordneten über- bzw. unterrepräsentiert sind, belegt die folgende Gegenüberstellung von Anteilen bestimmter Subgruppen an der Gesamtheit der Abgeordneten-Biographien in den beiden biographischen Lexika und an der Gesamtheit aller Abgeordneten:

Biographische Regional- oder Fachlexika können zwar gelegentlich bei der Suche nach biographischen Informationen von bestimmten Abgeordneten weiterführen, die Auswahl der in ihnen enthaltenen Biographien ist aber aufgrund der Aufnahmekriterien noch stärker verzerrt als die der allgemeinen biographischen Nachschlagewerke. Zudem dürfte eine Recherche nach bestimmten biographischen Daten in einer Vielzahl umfangreicher und dokumentarisch meist wenig erschlossener Regional- und Fachbiographien für einen an einem speziellen Problem interessierten Einzelforscher nicht selten viel zu aufwendig sein.

Biographische Handbücher, die das parlamentarische Personal einzelner Parteien oder Regionen erfassen, können ein umfassendes Handbuch ebenfalls nicht ersetzen. Selbst wenn die wichtigsten politischen Lager erfaßt sein sollten, wären Informationen über parlamentarische Randgruppen (Partikularisten, ethnische Minoritäten, Fraktionslose usw.) immer noch nicht ohne größeren Aufwand zugänglich. Auch sollte die Personengeschichte des deutschen Parlamentarismus nicht lediglich als Geschichte einzelner „sozialmoralischer Milieus“ (M. R. Lepsius) oder landesspezifischer Politiktraditionen betrieben werden. Die Reichstage gehörten in einem in regionale und ideologische Partikularismen zerfallenen Deutschland zu den wenigen nationalen Institutionen, in denen die vielfältigen politischen Kräfte in unmittelbarer Interaktion zusammentrafen. Dieser Sachverhalt sollte in einem biographischen Handbuch dokumentiert werden.

Das vorliegende „Biographische Handbuch der Abgeordneten der Frankfurter Nationalversammlung 1848/49“ ist der erste Band des auf drei Einzelbände konzipierten „Biographischen Handbuchs deutscher Nationalparlamente 1848 bis 1933“. Ziel dieses im Bereich der historischen Grundlagenforschung angesiedelten Unternehmens ist es, der Forschung und einem interessierten außerwissenschaftlichen Publikum ein knapp und solide informierendes Hilfsmittel für eine Personengeschichte der deutschen Nationalparlamente zur Verfügung zu stellen. Das heißt: keine biographischen Essays, die Deutungen und Selbstdeutungen enthalten, sondern ein Grundgerüst von Informationen, die Auskunft über institutionelle Zugehörigkeiten und deren Veränderungen in der Zeit geben. Die Anlage des Handbuchs folgt damit dem strukturanalytischen Konzept einer kollektiven Biographie und blendet mentalitätsgeschichtliche Aspekte aus. Wir meinen, daß das zuletzt genannte Forschungsinteresse eher in deskriptiven Einzelstudien als in einem an Vollständigkeit orientierten Sammelwerk verwirklicht werden kann. Das vorliegende Handbuch ist in eine andere Richtung ambitioniert: der einzelne Abgeordnete soll als Teil eines sich in der Zeit verändernden Netzwerks von positionellen Verflechtungen dargestellt werden. Solche sozialen Kontaktfelder sind mit einer akzeptablen Dichte und Zuverlässigkeit in den Quellen dokumentiert. Aus ihrer Rekonstruktion lassen sich Erkenntnisse über die „Struktur der Möglichkeiten“ (Lester G. Seligman), in der die Abgeordneten handelten, wie über die Soziali-sationserfahrungen, denen sie ausgesetzt waren, gewinnen.

Mit diesem Programm beansprucht das vorliegende Handbuch, die Anforderungen der modernen Lebenslaufforschung und kollektiven Biographik adäquat für das historische Personenkollektiv der deutschen Nationalparlamentarier umzusetzen. Die Angemessenheit einer derartigen Grundorientierung für die Konzeption eines biographischen Handbuchs wurde bereits an anderer Stelle dargelegt, so daß hier auf eine ausführliche Begründung verzichtet werden kann (4) (4) Wilhelm Heinz Schröder, Lebenslaufforschung zwischen biographischer Lexikographik und kollektiver Biographik: Überlegungen zu einem „Biographischen Handbuch der Parlamentarier in den deutschen Reichs- und Landtagen bis 1933“ (BIOPARL), in: Historical Social Research 31 (1984), S. 38-62; ders., Kollektive Biographien in der historischen Sozialforschung. Eine Einführung, in: ders. (Hrsg.), Lebenslauf und Gesellschaft. Zum Einsatz von kollektiven Biographien in der historischen Sozialforschung, Stuttgart 1985, S. 7-17; ders., Sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete und Reichstagskandidaten 1898-1918. Biographisch-Statistisches Handbuch, Düsseldorf 1986; Heinrich Best, Das biographische Handbuch der Abgeordneten deutscher Nationalparlamente 1848-1933. Forschungsprogramm und editorische Grundsätze, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen 19 (1988), S. 78-84; vgl. auch die in diesen Publikationen angegebenen Literaturverweise. Das Fehlen eines entsprechenden kollektiv-biographischen Handbuchs hat die historische und sozialwissenschaftliche Forschung über Entwicklung, Bedingungen und Strukturen des deutschen Parlamentarismus und der ihn tragenden Personengruppen erheblich beeinträchtigt. Dabei hat gerade die neuere, an der Methode der kollektiven Biographik ausgerichtete Erforschung politischer Führungsgruppen wesentliche Erkenntnisse über Sozialstruktur, soziale Herkunft, Rekrutierung, Kohärenz, Verflechtung, Machtstellung, Zirkulation und Transformation parlamentarischer Eliten zu Tage gefördert, welche zu einem umfassenden neuen Verständnis von Funktionsbedingungen, Defiziten und Entwicklungschancen des deutschen Parlamentarismus beigetragen haben (5) (5) Vgl. u. a. Wilhelm Heinz Schröder, Quantitative Analyses of Collective Life Histories: The Case of the Social Democratic Candidates for the German Reichstag 1898-1912, in: Jerome M. Clubb u. Erwin K. Scheuch (Hrsg.), Historical Social Research. The Use of Historical and Process Produced Data, Stuttgart 1980, S. 203 ff.; Heinrich Best, Elitentransformation und Elitenkonflikt in Frankreich 1848/49, in: Historical Social Research 25 (1983), S. 44 ff.; ders., Die Männer von Bildung und Besitz. Struktur und Handeln parlamentarischer Führungsgruppen in Deutschland und Frankreich 1848/49, Düsseldorf 1990; ders., Politische Modernisierung und parlamentarische Führungsgruppen in Deutschland 1867-1918, in: Historical Social Research 45 (1988), S. 5 ff.; ders. (Hrsg.), Politik und Milieu. Wahl- und Elitenforschung im historischen und interkulturellen Vergleich, St.Katharinen 1989. Kollektive Biographik bedeutet in diesem Zusammenhang nicht allein die Untersuchung einzelner Lebensphasen oder bestimmter sozialstatistischer Merkmale, sondern die vergleichende Erforschung des gesamten Lebenslaufs der Mitglieder einer als relevant erkannten Personengruppe. (6) (6) Vgl. Wilhelm Heinz Schröder, Sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete, S. 40. Sie ist „die theoretisch und methodisch reflektierte, empirische, besonders auch quantitativ gestützte Erforschung eines historischen Personenkollektivs in seinem gesellschaftlichen Kontext anhand einer vergleichenden Analyse der individuellen Lebensläufe der Kollektivmitglieder“. Die Methode der kollektiven Biographie ermöglicht sowohl „Rückschlüsse auf das Typische . . ., auf allgemeine gesellschaftliche Aggregate oder auf die Gesamtgesellschaft selbst“ als auch auf „das Abweichende, Individuelle, . . . auf kleinere gesellschaftliche Aggregate oder auf den individuellen Lebenslauf selbst.“ (7) (7) Wilhelm Heinz Schröder, Lebenslaufforschung, S. 38.

Ein biographisches Handbuch, das einem solchen Forschungsprogramm verpflichtet ist, und nicht wie die an der Methode der Einzelbiographik orientierten traditionellen biographischen Sammelwerke auf eine umfassende und historisch angemessene Würdigung von Leben und Werk historischer Einzelpersönlichkeiten zielt, hat in besonderem Maße die konzeptionellen Grundprinzipien zu reflektieren, die die formale und inhaltliche Gestaltung der biographischen Artikel bestimmen. Während die Auswahl und formale Präsentation des biographischen Stoffes in den traditionellen biographischen Lexika bis auf einen Minimalbestand an obligatorisch anzuführenden Lebensdaten den Autoren der jeweiligen biographischen Artikel überlassen bleibt, erfordert die Methode der kollektiven Biographie ein Höchstmaß an Standardisierung und Vergleichbarkeit der zu erstellenden Lebensläufe. Mithin ist die erste Aufgabe bei der Konzipierung eines kollektiv-biographischen Handbuchs die Entwicklung einer Normalbiographie, eines standardisierten Lebenslaufs, welcher Art und Form aller biographischen Informationselemente und -segmente festlegt, die für die Erstellung der einzelnen Kurzbiographien als relevant erachtet werden. Für die Auswahl der zu berücksichtigenden biographischen Merkmale sind in erster Linie Fragestellungen und Interessenschwerpunkte der Forschung maßgebend. Die historische Parlamentarismusforschung hat z. B. gezeigt, daß bestimmte Merkmalsgruppen besonders bedeutsam für die soziale Konstituierung und ideologische Formierung parlamentarischer Führungsgruppen sind. Dies gilt etwa für Vereins- und Verbandsmitgliedschaften. Mit Hilfe dieser Zugehörigkeiten lassen sich u. a. Politisierungs- und Partizipationsprozesse von sozialen Schichten nachzeichnen, die vom institutionellen politischen Leben der frühmodernen Gesellschaft noch weitgehend ausgeschlossen waren. Untersuchungen zu den Abgeordneten der Frankfurter Nationalversammlung haben ergeben, daß die regionalen Muster der „Bildungswanderung“ von Abgeordneten zwischen Universitätsorten einen engen Zusammenhang mit nationalstaatlichen Orientierungen aufweisen. Solche Befunde begründen die Entscheidung, auch Vereins- und Verbandsmitgliedschaften und die Erfahrungen von Abgeordneten im Ausbildungssystem in die Kurzbiographien des Handbuchs aufzunehmen. (8) (8) Zur Bedeutung biographischer Merkmale bei der Erforschung politischer Führungsgruppen in Vergangenheit und Gegenwart vgl. u. a. die folgenden Arbeiten: Fred I. Greenstein u. Nelson W. Polsby (Hrsg.), Micropolitical Theory, Reading u. a. 1975; Robert D. Putnam, The Comparative Study of Political Elites, Englewood Cliffs 1976; Dietrich Herzog, Politische Karrieren. Selektion und Professionalisierung politischer Führungsgruppen, Opladen 1975; ders., Politische Führungsgruppen, Darmstadt 1982; Wilhelm Heinz Schröder, Lebenslaufforschung; ders., Kollektive Biographien, S. 7 ff.; Heinrich Best, Recruitment, Careers and Legislative Behavior of German Parlamenta-rians, 1848-1953, in: Historical Social Research 23 (1982), S. 20 ff.; ders., Männer von Bildung und Besitz; ders., Politische Eliten, Wahlverhalten und Sozialstruktur: theoretische Aspekte historisch und interkulturell vergleichender Analysen, in: ders. (Hrsg), Politik und Milieu, S. 3 ff.

Neben diesen inhaltlichen Erwägungen hat die Festlegung der zu berücksichtigenden Merkmale sich aber auch von forschungspraktischen Überlegungen leiten zu lassen. Denn nicht alle wünschbaren biographischen Daten sind zugänglich oder für die meisten der zu biographierenden Abgeordneten mit einem vertretbaren Aufwand erreichbar. So wäre es unter sozialhistorischen Gesichtspunkten sicherlich wünschenswert, näheres über die Vermögensverhältnisse (z. B. Einkommen oder Besitz) der einzelnen Abgeordneten zu erfahren, da die Berufsangabe allein nur als ein sehr grober Indikator für die jeweilige soziale und ökonomische Stellung einer Person dienen kann. Aber angesichts des Zustands der Überlieferung dürften selbst noch so umfangreiche Recherchen in den Primärquellen – abgesehen von dem unvertretbar hohen Arbeitsaufwand – für den weitaus größten Teil eines Abgeordnetenkollektivs vollkommen unbefriedigend ausfallen. Grundsätzlich bleibt festzuhalten, daß die Entscheidung für ein kollektiv-biographisches Handbuch eine Beschränkung auf die objektivierbaren, harten Fakten des Lebenslaufs impliziert. Habituell-persönliche Gesichtspunkte und die Charakterisierung politisch-ideologischer Standpunkte müssen vor dem Hintergrund dieses wissenschaftlichen Kontextes aus der Biographie ausgeblendet bleiben. Gewiß mag die Einpassung individueller Lebensverläufe in ein relativ rigides biographisches Gerüst in dem ein oder anderen Falle bedenklich oder historisch unangemessen erscheinen. Es ist jedoch zu berücksichtigen, daß das mit der Konzeption des Handbuchs verbundene leitende Forschungsinteresse nicht auf eine kontextunabhängige und überzeitliche „objektive“ Würdigung von Leben und Werk bestimmter Personen zielt. Alleinige Richtschnur für die Entscheidung über die Aufnahme einer Person in das Handbuch war ebenso wie für die Gestaltung der Kurzbiographien die Tätigkeit als Abgeordneter in der Frankfurter Nationalversammlung. In dieser Hinsicht aber können die hier präsentierten Kurzbiographien durchaus zu einer Relativierung von Aussagen über die in anderen Zusammenhängen konstatierte „historische Bedeutung und Größe“ einzelner Persönlichkeiten führen. So sind nicht wenige Angehörige der im Frankfurter Parlament von 1848/49 versammelten deutschen Kultur- und Geisteselite als Politiker und Abgeordnete ohne größere Bedeutung gewesen – erinnert sei in diesem Zusammenhang etwa an J. Grimm, H. Laube, E. M. Arndt, F. L. Jahn oder M. Hartmann -, wohingegen heute fast schon vergessene Persönlichkeiten wie W. Loewe, B. Eisenstuck, C. Jürgens oder F. D. Bassermann eine tragende Rolle gespielt haben. Es waren nicht zuletzt Überlegungen dieser Art, die uns dazu bewogen haben, im vorliegenden Handbuch auf eine historische Würdigung oder Einordnung der biographierten Persönlichkeiten gänzlich zu verzichten. (9) (9) Die Entscheidungsgründe für die Aufnahme biographischer Merkmale in die Normalbiographie des vorliegenden Handbuchs werden weiter unten ausführlich dargelegt und erläutert.

2. Erwartungen an ein biographisches Handbuch der Abgeordneten der Frankfurter Nationalversammlung

Die Editionsprinzipien dieses Handbuchs orientieren sich primär an dem Informationsbedarf der historischen Forschung. Daraus ergibt sich, daß die in den biographischen Artikeln enthaltenen Informationen nach Möglichkeit vollständig (in bezug auf die ausgewählten biographischen Merkmale), präzise, ballastfrei (d. h. ohne allzu große Überladungen mit Hinweisen auf den historischen Kontext), objektiv (d. h. Beschränkung auf objektivierbare Informationen, keine subjektiven Wertungen des Autors) und bezüglich der Hauptquellen transparent wiedergegeben werden. Diese Festlegung soll jedoch nicht bedeuten, daß alle Erwartungen der Fachwissenschaft erfüllt werden können. So wird kein kollektiv-biographisches Handbuch eine vollständige Erfassung, Erschließung und Wiedergabe auch peripherer biographischer Informationen leisten können. Spezialisierte biographische Einzelforschung kann und soll durch das vorliegende Handbuch nicht ersetzt werden. Die Prioritätensetzung für die Wissenschaft bedeutet andererseits keine völlige Vernachlässigung der Bedürfnisse anderer nicht-wissenschaftlicher Benutzergruppen. Diesen werden hochstrukturierte Informationen in leichtem Zugriff und – durch ihre Einbettung in einen biographischen Kontext – auch in selbsterklärender Form präsentiert.

Diese kurz umrissenen allgemeinen Grundsätze galt es in konkrete Editionsentscheidungen umzusetzen. Hierbei standen fünf Entscheidungen im Vordergrund:

  • Entscheidung über die Aufnahme von Personen in das biographische Handbuch,
  • Entscheidung über die Relevanz von Informationssegementen,
  • Entscheidung über die Wiedergabe von Informationen (vollständig, präzise, ballastfrei, objektiv),
  • Entscheidung über die Transparenz der biographischen Rekonstruktion von Lebensläufen,
  • Entscheidung über die dokumentarische Erschließung der Informationen.

3. Die Abgeordneten der Frankfurter Nationalversammlung: Aufnahmekriterium

In die Grundgesamtheit wurden nur solche Personen aufgenommen, die als Abgeordnete auch tatsächlich in der Frankfurter Nationalversammlung bzw. im Stuttgarter Rumpfparlament tätig waren. Das Aufnahmekriterium war die Teilnahme an mindestens einer Sitzung der Nationalversammlung. In Zweifelsfällen war die Eintragung des Mandatsantritts in das offizielle Protokoll ausschlaggebend. Dementsprechend sind solche Personen von der Aufnahme in das Handbuch ausgeschlossen worden, die zwar gewählt wurden, aber niemals ihr Abgeordnetenmandat angetreten haben – auch wenn sie offiziell ihre Bereitschaft zur Übernahme des Mandats bekundet hatten (etwa in der Lokalpresse) – sowie alle gewählten, aber nicht aktivierten Ersatzmänner. Ebensowenig wurden die Mitglieder des Vorparlaments und des Fünfzigerausschusses, die nicht zugleich Angehörige der Nationalversammlung waren, in das Handbuch aufgenommen. Trotz dieses an sich gut überprüfbaren Aufnahmekriteriums war es aufgrund der mangelhaften Protokollführung vornehmlich in der Konstituierungs- und Auflösungsphase der Nationalversammlung in Einzelfällen nicht immer möglich, die Mitgliedschaft einer Person im Frankfurter Parlament zweifelsfrei nachzuweisen. Wenn auch zusätzliche Recherchen keine näheren Hinweise ergaben, haben wir uns im Zweifel für die Aufnahme entschieden. Das vorliegende Handbuch enthält nach unserer Festlegung die Biographien von 809 Abgeordneten der Frankfurter Nationalversammlung. (10) (10) Die für die Frankfurter Nationalversammlung jeweils angegebenen Mitgliederzahlen schwanken zwischen den verschiedenen Publikationen erheblich. Ausschlaggebend hierfür ist das von den Autoren festgelegte Kriterium zur Bestimmung der Parlamentsmitgliedschaft. Wegen des nicht einheitlichen Wahlmodus und der in zahlreichen Wahlkreisen auftretenden Unklarheiten bei der Bestellung des Abgeordneten (Übernahme von Doppelmandaten; vorübergehende Beurlaubung bei Einberufung des Stellvertreters für die Zeit der Abwesenheit etc.) haben wir hier bewußt nicht das Kriterium >Wahl zur Frankfurter Nationalversammlung< gewählt.

4. Auswahl von Informationssegmenten

In Anlehnung an die leitenden Fragestellungen der einschlägigen Forschungsbereiche, speziell der Parlamentarismusforschung und der Erforschung politischer Führungsgruppen, und unter Bezugnahme auf Praktikabilitätserwägungen bei einem vorgegebenen Informationsstand und restriktiven zeitlichen und materiellen Kapazitäten erfolgte die Auswahl der in den biographischen Artikeln zu berücksichtigenden Informationssegmente. Demnach enthält jede Biographie – soweit die entsprechenden Segmente im jeweiligen Fall zutreffen und durch die Quellen überliefert wurden – folgende biographischen Merkmale:

  • Personennamen:
    Familienname, Vorname(n), Namenszusätze.
  • Personenstandsangaben:
    Geburtsdatum, Geburtsort (ggf. geographische Spezifikation); Sterbedatum, Sterbeort (ggf. geographische Spezifikation); Beruf des Vaters; Religionsbekenntnis (ggf. Bekenntniswechsel); Familienstand (ggf. mit Angabe des Heiratsjahres bzw. der Heiratsjahre).
  • Sozialisation:
    Dauer, Art und Ort der Schul-, Berufs-, Weiter- und Hochschulbildung (ggf. Studienreisen); Dauer des Militärdienstes (höchster erreichter Dienstgrad).
  • Berufstätigkeiten
    Dauer, Art und Ort aller Hauptberufe bzw. Positionen, die überwiegend zum Haupterwerb dienen; Dauer, Art und Ort von relevanten Nebenberufen.
  • Funktionen in Politik, Parteien, Verbänden, öffentlicher Verwaltung, Wirtschaft: Dauer, Art und Ort/Raum aller relevanten Funktionen in den genannten Bereichen im Ehren- oder Nebenamt (im Hauptamt vgl. Berufstätigkeiten).
  • Parlamentarische Ämter und Mandate: Dauer, Art und Ort/Raum aller parlamentarischen Mandate; Dauer, Art und Ort/Raum aller relevanten parlamentarischen Ämter.
  • Sonstiges:
    Nennung von persönlichen Besonderheiten (z. B. Verfasser einer Autobiographie oder anderer Publikationen, abweichendes politisches Verhalten/politische Sanktionen, Teilnahme an besonderen politischen Ereignissen).

5. Relevanz von Informationselementen

Die Handhabung des problematischen Kriteriums „Relevanz“ folgte im vorliegenden Handbuch in erster Linie den Vorgaben der historisch-sozialwissenschaftlichen Parlamentarismusforschung: Vor allem diejenigen Merkmale fanden Aufnahme in die Biographie, die für die soziale Konstitiuierung und ideologische Formierung parlamentarischer Führungsgruppen von Bedeutung waren. So wurde „Relevanz“ z. B. allgemein bei Positionen in formalen Organisationen unterstellt. Die Biographien des vorliegenden Handbuchs bestehen deshalb im Kern aus den zeitlich geordneten Positionswechseln, soweit sie mittel- und unmittelbar mit den politischen Biographien der Abgeordneten verknüpft waren und soweit sie – für eine Mindestzahl von Biographien – in Form von intersubjektiv vergleichbaren „Fakten“ bei der Recherche nachweisbar waren. Das bedeutet den bewußten Verzicht auf die Wiedergabe von verfügbaren biographischen Informationen, die über jenen Grundbestand objektivierbarer Lebensdaten hinausgehen und in essayistisch bewertender Weise Persönlichkeitsmerkmale, politisches Verhalten, ideologische Standpunkte etc. beschreiben.

Ein weiteres, eher pragmatisches Kriterium für die Aufnahme von biographischen Informationen ergibt sich aus den Restriktionen der Forschungspraxis, insbesondere aus den Defiziten der Überlieferung: es wurden vor allem solche Quellen bevorzugt ausgewertet, deren Bearbeitung mit relativ geringem Arbeitsaufwand durchzuführen war und deren Zuverlässigkeit, Vollständigkeit, Informationsdichte etc. möglichst hoch waren. Im vorliegenden Handbuch konnte eine Reihe von zentralen Informationssegmenten (im Sinne des kollektiv-biographischen Forschungsansatzes) in vielen Fällen nur unvollständig oder gar nicht wiedergegeben werden, obwohl sie für alle Abgeordneten obligatorisch beobachtet worden sind. Insbesondere die Tätigkeit der Abgeordneten in krypto-politischen oder halbinstitutionellen Verbindungen und Organisationen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die trotz ihrer relativen Kurzlebigkeit einen nicht zu unterschätzenden Stellenwert für die politische Sozialisation und die Karriere der späteren Abgeordneten hatten, sind im überlieferten biographischen Material nur unzulänglich abgebildet. Gerade Informationen über soziale Vernetzungen und organisatorische Einbindungen sind in vielen Lebensbeschreibungen wegen ihrer vermeintlichen Unbedeutsamkeit oder – in zeitgenössischen Quellen – aus politischen Opportunitätserwägungen nicht genannt; solche Erfahrungen müssen aber -dies ergibt sich aus der Kenntnis gelegentlich vorhandener alternativer Quellen – bei sehr viel mehr Abgeordneten angenommen werden, als aus dem überlieferten Quellenmaterial zu entnehmen ist.

Auch wenn die an der kollektiv-biographischen Methode ausgerichteten, relativ strengen Relevanzkriterien gelegentlich den Eindruck einer inadäquaten bzw. gewaltsamen Reduktion der vielfältigen Facetten und Variationen individueller Lebensverläufe auf die schematisierte Form einer standardisierten Normalbiographie hervorrufen, bieten sie doch den Vorteil eines kontrollierten Zugangs zu unterschiedlichen Lebensläufen unter Vorgabe eines leitenden Forschungsinteresses. Nur auf diesem Wege werden Möglichkeiten zum Vergleich und damit zu strukturellen Hintergründen eröffnet; nur über diesen kontrollierten Zugang zu einer Vielzahl von Einzellebensläufen lassen sich schließlich auch Aussagen über das Individuelle und das Allgemeine, sprich die gesellschaftlichen Bedingungen individuellen Verhaltens, treffen. Demgegenüber werden in den biographischen Lexika klassischen Zuschnitts weder die Kriterien für die Auswahl der behandelten Persönlichkeiten noch die Bestimmungsgründe für die (in jedem biographischen Artikel unterschiedliche) Informationsauswahl sichtbar. Subjektive Einschätzungen der Autoren und Herausgeber bezüglich der Wichtigkeit (Relevanz) von Personen und biographischen Merkmalen, die Verfügbarkeit und Erreichbarkeit von Quellen oder auch schiere Zufallsentscheidungen lassen somit beim unvoreingenommenen Betrachter ein Bild über historische Persönlichkeiten entstehen, das einer wie auch immer gearteten Überprüfung kaum zugänglich ist. Darüberhinaus ist darauf hinzuweisen, daß die hier gewählten Relevanzkriterien durchaus Spielraum für eine angemessene Berücksichtigung individueller Besonderheiten eröffnen. Dies bedeutet etwa, daß gleiche oder ähnliche biographische Daten bei zwei verschiedenen Personen in ihrer Relevanz unterschiedlich bewertet werden können. So wird man etwa die Mitwirkung an diplomatischen Missionen oder zwischenstaatlichen Konferenzen hinsichtlich ihrer Relevanz bei Regierungsbeamten häufig anders zu bewerten haben als bei Personen, die außerhalb des engeren Staatsapparats hauptberuflich tätig waren: im Falle der Regierungsbeamten handelte es sich bei derartigen Aktivitäten zumeist um – nur in Ausnahmefällen berichtenswerte – Angelegenheiten des alltäglichen Dienstbetriebs, wohingegen unter den Bedingungen des Obrigkeitsstaats des frühen 19. Jahrhunderts die Mitwirkung von Privatpersonen an derartigen hoheitlichen Aufgaben durchaus als biographisch relevanter Ausdruck persönlicher Wertschätzung durch die Obrigkeit gesehen werden kann. Umgekehrt kann der Hinweis auf einzelne und verhältnismäßig harmlose dienstrechtliche Sanktionen (z. B. Strafversetzung, Pensionsentzug etc.) für das Verständnis der Biographie eines Staatsbeamten bedeutsamer sein als die detaillierte Auflistung sämtlicher Zwangs- und Repressionsmaßnahmen staatlicher Zensurbehörden (z. B. Publikationsverbot, Beschlagnahme, Geld- und Haftstrafen usw.) für das Verständnis des Lebenslaufs eines oppositionellen Journalisten.

6. Vollständigkeit

Wie bereits dargelegt wurde, umfaßt das vorliegende Handbuch alle Personen, die an mindestens einer Sitzung des Frankfurter Parlaments als gewählte Abgeordnete teilgenommen haben. Im Gegensatz zu vielen anderen biographischen Lexika wurden hier gemäß den Editionsprinzipien massenbiographischer Handbücher die Biographien aller als relevant erachteten Personen aufgenommen, unabhängig davon, ob die zu den einzelnen Personen jeweils vorliegenden Daten einen bestimmten vorgeschriebenen Grad an Vollständigkeit und Gleichgewichtigkeit erreichen. Das hier gewählte Aufnahmekriterium hat somit zur Folge, daß die biographischen Artikel des vorgelegten Handbuchs sich hinsichtlich des Umfangs der jeweils präsentierten Informationen z. T. deutlich voneinander unterscheiden. Neben umfangreichen Lebensbeschreibungen mit einer Vielzahl relevanter biographischer Daten finden sich daher auch immer wieder biographische Kurzartikel, die sich auf die elementaren Grundinformationen beschränken. Wenn auch unterstellt werden kann, daß viele Abgeordnete „unbeschriebene Blätter“ waren und blieben, sind zahlreiche Lücken auch auf nicht unerhebliche Uberlieferungsstörungen zurückzuführen. Das zeigt sich etwa daran, daß Abgeordnete der Linken in den biographischen Standardwerken deutlich unterrepräsentiert sind. Überlegungen in diese Richtung machen aber auch klar, daß massenbiographische Informationen prinzipiell unabschließbar sind; eine vollständige Rekonstruktion und Wiedergabe sämtlicher als relevant definierter biographischer Merkmale ist nicht möglich. Neue biographische Informationen und Quellen zu einzelnen Personen werden sich stets auffinden lassen. (11) (11) Dies ist besonders dann der Fall, wenn bestimmte Personen oder Personengruppen über den engeren Kreis der Fachhistoriker hinaus an Interesse gewinnen. So konnten auf der Basis neu erschlossener Quellengruppen gerade zu den Lebensläufen der Abgeordneten der Frankfurter Nationalversammlung in den letzten Jahren im Rahmen von lokal- und regionalhistorischen Forschungen zahlreiche neue Informationen eruiert werden.

Dennoch wird man ab einem bestimmten Stand der biographischen Recherche davon ausgehen können, daß eine weitere Erschließung von Informationen nicht mehr sinnvoll ist, da der mögliche zusätzliche Erkenntnisgewinn den hierfür notwendigen hohen Arbeitsaufwand in keiner Weise rechtfertigt. Zudem steht zu erwarten, daß die dabei erhobenen neuen Daten im Hinblick auf den bereits erreichten Informationsstand – von Ausnahmen abgesehen – nur noch von geringer biographischer Relevanz oder redundant sind. Auch wenn neue Forschungen weitere relevante biographische Informationen zu Tage fördern werden, hat die dem vorliegenden Handbuch zugrundeliegende Datenbasis – auch im Hinblick auf den zeitlichen Umfang der Daten- und Materialsammlung (12) (12) 12 Mit den verschiedenen Vorarbeiten umfaßt die Informationserschließung und -beschaffung für das vorliegende Handbuch einen Zeitraum von über 15 Jahren. Es handelt sich mithin um eine zeitliche Spanne, die weit über die üblichen Projektlaufzeiten hinausreicht. ; -diesen Schwellenwert des „Grenznutzens von Vollständigkeit“ (W. H. Schröder) mit Sicherheit erreicht.

7. Wiedergabe von Informationen

Alle biographischen Informationen werden – soweit möglich – zeitlich und räumlich präzise verortet. Grundsätzlich ist der Grad der Präzison abhängig vom Informationsgehalt der vorhandenen Quellen. Auf die exakte Kennzeichnung aller Informationselemente mit genauen Tages-/Monats- und Jahresangaben wurde wegen der unterschiedlichen Informationsdichte der Quellen und der daraus resultierenden Ungleichgewichtigkeiten (insbesondere Beeinträchtigung der Vergleichbarkeit) zwischen den einzelnen Biographien bereits im vorhinein verzichtet. Aus diesem Grunde beschränkt sich die zeitliche Bestimmung bei der Mehrzahl der Informationselemente nur auf die Angabe der entsprechenden Jahreszahlen. Lediglich Informationen, die sich auf zeitlich verdichtete Handlungszusammenhänge beziehen (z. B. alle Angaben, die in einem besonderem Bezug zu den Jahren 1848/49 stehen), und Informationen, die ansonsten unklar bzw. irreführend wären, werden durch Hinzufügung von Monatsangaben präzisiert. Eine noch genauere zeitliche Verortung durch zusätzliche Nennung des Tagesdatums erfolgt nur bei den Informationselementen Geburts-/ Sterbedatum, Mandatszeit in der Frankfurter Nationalversammlung und Datum der Übernahme bzw. Dauer der Ausübung von Funktionen und Ämtern in der Frankfurter Nationalversammlung.

Nicht einwandfrei abgesicherte oder belegte Jahresangaben werden durch spitze Klammern kenntlich gemacht (z. B. <1843>). Für den Fall, daß ein biographisches Datum oder Ereignis nur für einen gewissen Zeitraum verbürgt ist, über den tatsächlichen Beginn und das Ende dieses biographischen Merkmals aber keine genauen Daten vorliegen, werden die entsprechenden Zeitangaben ebenfalls mit spitzen Klammern versehen (z.B. (1843-1846)). Daneben werden noch eine Reihe anderer Möglichkeiten zur Verdeutlichung nicht exakt rekonstruierbarer Zeitangaben verwendet (u. a. Verwendung der der „ante quem-„/“post quem-“ Termini „vor“ / „nach“ und pauschale Jahrzehntbezeichnung). Sind überhaupt keine Jahresdaten zur zeitlichen Bestimmung von Informationselementen überliefert, wurde durch Verwendung entsprechender Zeit-Adverbien nach Möglichkeit versucht, zumindest die zeitliche Abfolge von biographischen Ereignissen zu verdeutlichen. Offenkundige Lücken im rekonstruierten Lebenslauf werden nicht kenntlich gemacht.

Nach Möglichkeit sind alle biographischen Daten auch räumlich genau spezifiziert. Dies geschieht durch Nennung der entsprechenden Orte. Grundlage für die Ortsangaben sind die gebietsrechtlichen Verhältnisse zur Zeit des Deutschen Bundes (1815-1866/67), d. h. spätere Eingemeindungen und Zusammenschlüsse von Gemeinden sind nicht berücksichtigt. Geburts- und Sterbeorte sowie alle unklaren bzw. mehrdeutigen Ortsbezeichnungen sind zusätzlich durch die Angabe einer übergeordneten politischen Gebietseinheit (oberhalb der Kreis- bzw. Bezirksebene) näher gekennzeichnet (Angabe von Provinz, Kronland, Staat usw. ). Die Zuordnung von Gemeinden / Städten zu politischen Gebietseinheiten erfolgt ebenfalls auf der Basis, der während der Ära des Deutschen Bundes geltenden gebietsrechtlichen Bestimmungen. Dies gilt auch dann, wenn ein Datum nicht in diesen Zeitraum fällt und tatsächlich zu dem entsprechenden Zeitpunkt andere gebietsrechtliche Bestimmungen gegolten haben.

Berufs-, Amts- und Organisationsbezeichnungen werden in der Regel im Original-Wortlaut wiedergegeben. Angesichts der Vielfältigkeit und Heterogenität der Lebensverhältnisse im territorial zersplitterten Deutschland des 19. Jahrhunderts sowie eines erst allmählich sich ausbildenden Verbandsund Organisationswesens war eine auf Vergleichbarkeit angelegte Vereinheitlichung der Terminologie nicht anwendbar. Nur bei eindeutig synonym verwendeten, aber wortverschiedenen Begriffen wird eine einheitliche Bezeichnung benutzt. Außer bei den Vornamen der Abgeordneten werden die derzeit gültigen Regeln der Orthographie befolgt. Dies gilt auch für die zahlreichen historischen Bezeichnungen und Begriffe. Im Interesse der Lesbarkeit des Textes werden Abkürzungen weitgehend vermieden. Auf die Wiedergabe von allgemeinen und redundanten Informationen, insbesondere auf die Wiedergabe eines verbalisierten Satzkontextes wird verzichtet (ballastfreie Wiedergabe). Statt dessen werden die verschiedenen Informationen zumeist im Nominalstil, der eine stärkere Formalisierung und Standardisierung der sprachlichen Form zuläßt, wiedergegeben. Da sich das vorliegende Handbuch in erster Linie an einen wissenschaftlich interessierten Benutzerkreis wendet, wird auf zusätzliche Erläuterungen und historische Hintergrundinformationen im allgemeinen verzichtet; lediglich bei irreführenden oder unklaren Bezeichnungen von Berufen, Funktionen und Organisationen werden mitunter erläuternde Hinweise gegeben (z. B. Leseverein „Maikäferbund“). Zum besonderen Verständnis einer Biographie und zur präzisen Wiedergabe von Informationen waren allerdings Wiederholungen von Informationselementen gelegentlich nicht zu vermeiden.

8. Transparenz der biographischen Rekonstruktion

Das Gebot der Arbeits-, Zeit- und Mittelökonomie setzt jedem Handbuch-Projekt enge Grenzen und zwingt zur Bestimmung des Machbaren einerseits und zur Abwägung des Verhältnisses zwischen Aufwand und Nutzen andererseits. Grenznutzenerwägungen betreffen nicht nur das Vollständigkeits-Postulat, sondern vor allem auch die Forderung nach Transparenz des biographischen Rekonstruktionsprozesses. Unter den gegebenen Umständen wurde im vorliegenden Handbuch auf einen umfassenden Beleg- und Anmerkungsapparat verzichtet. Jeder biographische Artikel enthält aber im Informationssegment „Quellenverweise“ Angaben über einige wichtige Quellen. Hier werden u. a. die Standortkennung des entsprechenden Personendossiers in den biographischen Ausarbeitungen des Bundesarchivs in Frankfurt am Main, Kürzel der wesentlichen biographischen Nachschlagewerke sowie die Namen der jeweils angefragten Archive angeführt. Die in diesem Informationssegment enthaltenen Hinweise auf publizierte biographische Quellen liefern keinesfalls eine erschöpfende Bibliographie zu Leben und Werk des betreffenden Abgeordneten. Neben ihrem bibliographischen Informationswert haben die hier angeführten Verweise auf die biographischen Standardquellen vor allem die Funktion, die Sichtbarkeit bzw. die zugeschriebene Bedeutung einzelner Abgeordneter bei Zeitgenossen und Nachwelt transparent zu machen. Eine umfassende Übersicht über die benutzten Quellen und Publikationen vermittelt die Auswahlbibliographie im Anschluß an diese Einleitung. Für weitergehende Informationsbedürfnisse und zur kritischen Bewertung unserer biographischen Rekonstruktionsentscheidungen steht interessierten Forschern der Zugang zu den archivierten Personaldossiers, die alle zu einem Abgeordneten vorliegenden Quellen enthalten, grundsätzlich offen.

9. Dokumentarische Erschließung der Biographien

Der Gebrauchswert eines Handbuchs bestimmt sich auch dadurch, daß über geeignete Register ein rascher Zugriff auf gewünschte Informationen ermöglicht wird. Darüberhinaus lassen sich differenzierte inhaltliche Register als Instrumente für eine kollektivbiographische Analyse verwenden. Die im vorliegenden Handbuch enthaltenen Register sind bewußt in Hinblick auf diese methodische Perspektive erstellt worden. So kann man etwa anhand der verschiedenen Register besonders deutlich die informellen Bezüge und Vernetzungen der Abgeordneten der Frankfurter Nationalversammlung (z. B. über die Mitarbeit an den gleichen Zeitungen oder die Mitwirkung in den selben Vereinen) rekonstruieren, was für die Formierung und Strukturierung von Eliten in einer Zeit, in der formelle regionenübergreifende Organisationen und Institutionen nur schwach ausgebildet waren, ohne Zweifel von besonderer Bedeutung war. Eine weitere Analysemöglichkeit eröffnet z. B. das Studienortsregister. Die hierüber zu ermittelnden Studienaufenthalte von Abgeordnetengruppen an bestimmten Hochschulen können etwa die Mechanismen des Formierungsprozesses einer nationalen politischen Elite transparent machen, die über das Hochschulsystem des vormärzlichen Deutschlands vermittelt wurden. Neben den üblichen Ortsregistern (Geburts-, Todes- und Tätigkeitsortsregister) enthält das vorliegende Handbuch folgende inhaltlichen Register:

  • Register der Studienorte
    Register der Hauptberufe bei Mandatsübernahme
  • Register der religiösen Minderheiten und Sekten
    Register der Vereine und Verbände (inklusive Teilnahme an besonderen Versammlungen und Tagungen)
  • Register der Zeitungen und Zeitschriften
  • Register der Zielländer von Flucht und Emigration
  • FMandatsregister: Mitgliedschaft in der Frankfurter Nationalversammlung (Wahlkreis, Vorparlament, Fünfzigerausschuß, Rumpfparlament, Ausschüsse, Fraktionen)
  • Mandatsregister: Mitgliedschaft in Parlamenten der deutschen Einzelstaaten
  • Mandatsregister: Mitgliedschaft im Norddeutschen Reichstag, Zollparlament und Deutschen Reichstag.