Quellen und Methoden: Biographien

a) Forschungsstrategie

Das BIOSOP-Handbuch ist im Hinblick auf Quellen, Methoden und Darstellung kompatibel mit dem Handbuch »Sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete und Reichstagskandidaten 1898-1918« (BIOKAND) (1)(1) Wilhelm Heinz Schröder, Sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete und Reichstagskandidaten 1898-1918, Biographisch-statistisches Handbuch, Düsseldorf 1986 angelegt. Für die grundsätzliche Darstellung und Diskussion der Quellen und Methoden sei auf die ausführliche Einleitung des früheren BIOKAND-Hand-buches verwiesen. Dies gilt insbesondere für die Darstellung der allgemeinen und spezifischen Quellenlage; in Fortführung des BIOKAND-Handbuches enthält das BIOSOP-Handbuch eine ausführliche Auswahlbibliographie, die u. a. die biographische und autobiographische Literatur zu den sozialdemokratischen Parlamentariern dokumentiert. Dies gilt weitgehend auch für die systematische Erschließung von Quellen und für die Rekonstruktion der Lebensläufe; hier galt es nur die spezifischen Erfahrungen des BlOSOP-Projekts – insbesondere bei der punktuellen Erschließung von Quellen durch schriftliche Umfragen und bei der Modifizierung der Normalbiographie – eigens zu erläutern. Das BIOKAND-Handbuch enthielt dagegen noch keine Chronik; von daher wird ein Schwerpunkt der BIOSOP-Einleitung auf die Darstellung von Konzept und Struktur der »biographisch-statistischen« Chronik liegen.

Es kann nicht primäre Aufgabe eines biographischen Handbuches sein, eine detaillierte Analyse der Lebensläufe in Form einer kollektiven Biographie der Grundgesamtheit zu leisten; dies müßte am besten in Form einer separaten wissenschaftlichen Monographie geschehen. Die Beschreibung der biographischen Grundgesamtheit im BIOKAND-Handbuch reflektierte insbesondere die allgemeinen Rahmenbedingungen und den innerparteilichen Kontext der 700 Reichstagskandidaten, verzichtete aber auf eine kollektiv-biographische Darstellung der Grundgesamtheit und beschränkte sich auf die vereinzelte kontextuelle Wiedergabe von biographischen Informationen. BIOSOP präsentiert ebenfalls keine umfassende kollektive Biographie der Grundgesamtheit (d. h. aller Abgeordneten) und der zahlreichen Teilgrundgesamtheiten (der Abgeordneten des Reichstags oder von Einzellandtagen, von einzelnen Fraktionen etc.). Eine solche kollektiv-biographische Darstellung würde angesichts der Komplexität der Grundgesamtheit selbst den großen Rahmen des vorliegenden BIOSOP-Handbuchs sprengen. Dennoch soll zumindest auf einer deskriptiven Ebene und nur für wenige ausgewählte Lebenslaufmerkmale der kollektiv-biographische Anspruch eingelöst werden: im Mittelteil der Einleitung für die Grundgesamtheit aller Abgeordneten und im Rahmen der Chronik für alle Reichs- und Landtagsfraktionen.

Grundvoraussetzung für die systematische Durchführung des BlOSOP-Projektes bildete die Entwicklung einer BIOSOP-Forschungsstrategie und ihre konkrete forschungspraktische Umsetzung in eine angemessene BIOSOP-Arbeitsorganisation bei der Erstellung der Biographien und die Ausführung der hierzu notwendigen Vorarbeiten. Hierbei waren insbesondere Entscheidungen über Art, Funktion und Reihenfolge der dabei notwendigen Arbeitsschritte zu treffen. Die BIOSOP-Forschungsstrategie sah folgende Hauptarbeitsschritte vor:

  1. Konstituieren des BlOSOP-Projekts
  2. Entwickeln der BIOSOP-Forschungsstrategie
  3. Festlegen der BIOSOP-Editionsprinzipien und der BIOSOP-Normalbiographie
  4. Bereitstellen und Erschließen von Vorarbeiten
  5. Entwickeln und Einrichten des allgemeinen BIOSOP-Datenbanksystems
  6. Systematisches Erfassen, Beschaffen und Erschließen von publizierten Quellen
  7. Entwickeln und Einrichten spezieller BIOSOP-Datenbanken
  8. Systematisches Erfassen und Erschließen von archivalischen Quellen
  9. Einrichten des BIOSOP-Archivs
  10. Erstellen der BIOSOP-Basis-Biographien
  11. Maschinenlesbares Aufbereiten der BIOSOP-Basis-Biographien
  12. Punktuelles Erschließen von publizierten Quellen
  13. Punktuelles Erschließen von archivalischen Quellen
  14. Punktuelles Befragen von Nachkommen/Zeitzeugen
  15. Ergänzen der BIOSOP-Dossiers
  16. Uberprüfen, Ergänzen und Modifizieren der BIOSOP-Basis-Biographien
  17. Erstellen der BIOSOP-Handbuchbiographien
  18. Maschinenlesbares Aufbereiten der BIOSOP-Handbuchbiographien
  19. Integrieren aller BIOSOP-Datenbestände im Rahmen der allgemeinen BIOSOP-Datenbank (eingesetzte Computer-Software: zunächst GOLEM-PASSAT)(2)(2) Das von der Firma SIEMENS vertriebene Datenbanksystem GOLEM-PASSAT lief unter dem Betriebssystem BS2000 am Großrechner der TU Berlin und wies teilweise gravierende Schwächen auf. Spätestens seit 1985 wäre der Einsatz eines Personalcomputer-Systems zweifellos ökonomischer gewesen, für den Ankauf oder für die Anmietung eines solchen Systems aber standen der TU Berlin keine Mittel zur Verfügung. Erst nach dem Transfer der Datenbank/Datensätze nach Köln im Jahre 1988 erfolgte die BIOSOP-Arbeit weitestgehend am Personalcomputer.
  20. Erstellen der regionalbezogenen Wahlrechtsdokumentation
  21. Erstellen der regionalbezogenen Statistikdokumentation der Reichs- und Landtagswahlen
  22. Maschinenlesbares Aufbereiten der BIOSOP-Handbuchbiographien für die quantitative kollektive Biographie
  23. Durchführen der kollektiv-biographischen Analyse mit Hilfe eines Statistikprogrammpakets (eingesetzte Computer-Software: SPSS-X)(3)(3) Das Statistikprogrammpaket SPSS-X zählt zu den bewährtesten und weitverbreitesten Statistikpaketen; SPSS lief auf dem Großrechner sowohl an der TU Berlin als auch am Zentralarchiv für empirische Sozialforschung in Köln zur statistischen Auswertung der BIOSOP-Daten ohne schwerwiegende Probleme. Die Personalcomputer-Version von SPSS wäre frühestens 1988 eine realistische Alternative zum Einsatz der Großrechner-Version gewesen und kam daher im Rahmen des BIOSOP-Projekts nicht mehr zum Einsatz. – Vgl. u. a. Norman H. Nie et al. SPSS, »Statistical Package for the Social Sciences«, 2. Aufl., New York etc. 1975; Marija J. Norusis, SPSS-X Introductory Statistics Guide, New York etc. 1983; Marija J. Norusis, SPSS-X Advanced Statistics Guide, New York etc. 1985; Werner Schubö/Hans-Martin Uehlinger, SPSS-X: Handbuch der Programmversion 2.2, Stuttgart/New York 1986.
  24. Erstellen der kollektiv-biographischen Profile für die Chronik
  25. Erstellen der allgemeinen Chroniktexte
  26. Integrieren aller maschinenlesbaren Chroniktexte im Rahmen eines wissenschaftlichen Textverarbeitungssystems (eingesetzte Computer-Software: TUSTEP (4)(4) TUSTEP (»Tübinger System von Textverarbeitungsprogrammen«) ist ein modular aufgebautes System einzelner Programmbausteine, die der Benutzer selbst programmieren kann. TUSTEP wurde bislang auf dem Großrechner eingesetzt und läuft zur Zeit unter den Betriebssystemen MVS (IBM), VM/ CMS (IBM), VMS (DEC VAX); inzwischen gibt es aber auch eine umfassende Personalcomputer-Version unter MS-DOS (IBM-PCs und kompatible). Bislang sind u. a. mehr als 700 geisteswissenschaftliche Bücher mit TUSTEP publiziert worden, darunter viele Bände Lexika, Indizes, Konkordanzen, Bibliographien, Repertorien und Editionen. – Vgl. : Wilhelm Ott, Datenverarbeitung in den Geisteswissenschaften: Ein Rückblick aus aktuellem Anlaß, in: Historical Social Research/Historische Sozialforschung 16 (1991) 1, S. 103-114.
  27. Erstellen der BIOSOP-Handbuchregister
  28. Erstellen der BIOSOP-Handbucheinführung
  29. Erstellen der BIOSOP-Handbuchdokumentation
  30. Erstellen BIOSOP-Auswahlbibliographie
  31. Endbearbeiten des satzreifen BIOSOP-Handbuchs

Die notwendige Vernetzung dieser Arbeitsschritte wurde – zumindest idealtypisch – festgelegt und in ein entsprechendes Ablaufschema umgesetzt. Es würde an dieser Stelle zu weit führen, die komplexe Arbeitsorganisation des Forschungsprojektes und den für ihre praktische Umsetzung notwendigen Planungs-, Koordinations-, Arbeits- und Mittelbedarf zu erläutern; es sei nur eine Bemerkung zum EDV-Einsatz erlaubt. Zweifellos zählt die Erstellung eines umfangreichen biographischen Handbuchs zu den »Groß«-Projekten innerhalb der historischen Forschung. Der »Größe« des Projektes stehen aber – selbst bei großzügiger Bewilligung durch eine Förderungsinstitution – nur relativ geringe Ressourcen zu seiner Verwirklichung in einer knapp bemessen Projektlaufzeit gegenüber. Die Ressourcenknappheit zwingt zur Ökonomie der Kräfte, diese Ökonomie ist aber nur durch den umfassenden Einsatz von EDV möglich. Unter den gegebenen Voraussetzungen wäre es undenkbar gewesen, das BIOSOP-Handbuch ohne EDV-Einsatz in relativ kurzer Zeit zu erstellen. Allerdings hatte der EDV-Einsatz seine Tücken und die Projektgeschichte ist zugleich auch die Leidensgeschichte einer starken EDV-Abhängigkeit: häufige Probleme mit Hard- und Software, fremd- oder eigen verschuldete Systemzusammenbrüche (verbunden mit mehr oder weniger großen Datenverlusten) etc. begleiteten das Projekt während seiner gesamten Laufzeit. BIOSOP mußte gerade bei dem EDV-Einsatz Pionierarbeit leisten, da Erfahrungen aus vergleichbaren Projekten damals nicht zur Verfügung standen.

b) Definition der Grundgesamtheit

Für jede Projektplanung ist die Kenntnis des Umfangs der Grundgesamtheit, d. h. im vorliegenden Falle der Gesamtzahl aller sozialdemokratischen Parlamentarier im Untersuchungszeitraum, unerläßlich. Da zu Projektbeginn ein Gesamtverzeichnis der Parlamentarier nicht vorlag, mußte eine plausible Schätzung dieser Gesamtzahl vorgenommen werden. Während die Gesamtzahl der Reichstagsabgeordneten durch das MdR-Handbuch von Max Schwarz(5)(5) Max Schwarz, MdR, Biographisches Handbuch der Reichstage, Hannover 1965; zur Bewertung des MdR-Handbuches vgl. BIOKAND-Handbuch, S. 41 f. genau bestimmt werden konnte, lagen zum damaligen Zeitpunkt für Landtagsabgeordnete verläßliche Gesamtverzeichnisse nur für Baden, Württemberg und Hessen vor(6)(6) Für Baden und Württemberg: Jörg Schadt/Wolf gang Schmierer (Hrsg.), Die SPD in Baden-Württemberg und ihre Geschichte, Von den Anfängen der Arbeiterbewegung bis heute, Stuttgart 1979, S. 236- 351.- Für Hessen: Georg Ruppel/Birgit Gross (Bearb.), Hessische Abgeordnete 1820-1933, Biographische Nachweise für die Landstände des Großherzogtums Hessen (2. Kammer) und den Landtag des Volksstaates Hessen, Darmstadt 1980.. Ohne hier das Schätzverfahren, das sich wesentlich auf die Verhältnisse in Baden stützte, im einzelnen zu wiederholen, ergab die erste BlOSOP-Prognose: ca. 1800 MdL und 560 MdR, abzüglich ca. 200 MdR/MdL-Doppelmandatare, d. h. es wurde von ca. 2 160 Parlamentariern ausgegangen. Dies war offensichtlich eine zu niedrige Schätzung und mußte in der Projektlaufzeit mehrfach »nach oben hin« – es waren tatsächlich insgesamt 267 Parlamentarier mehr – korrigiert werden. Da die Projektressourcen nach der ursprünglich geschätzten Gesamtzahl bemessen wurden, führte dies u. a. zur Verlängerung des Projektes über die vorgesehene Laufzeit hinaus.

Das BIOSOP-Handbuch umfaßt die Kurzbiographien der insgesamt 2 427 nachweisbaren sozialdemokratischen Parlamentarier in den deutschen Reichs- und Landtagen in der Zeit von Februar 1867 (Wahlen zum Konstituierenden Reichstag des Norddeutschen Bundes) bis Juni 1933 (Verbot der Mandatsausübung für Sozialdemokraten im Reich) bzw. bis Januar 1938 (Verbot der Mandatsausübung für Sozialdemokraten in der Freien Stadt Danzig). Die in der Definition der BIOSOP-Grundgesamtheit benutzten Begriffe bedürfen der weiteren Erläuterung:

»Sozialdemokratische« Parlamentarier:
In die Grundgesamtheit wurden alle Abgeordneten aufgenommen, die während ihrer Mandatsausübung dauernd oder vorübergehend folgenden Parteirichtungen bzw. Parteien angehört haben: Allgemeiner Deutscher Arbeiterverein (ADAV; 1863-1875), Lassalle’scher Allgemeiner Deutscher Arbeiterverein (Hatzfeldt-Mende) (LADAV; 1867-1872), Sächsische Volkspartei (SVP; 1866-1869), Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP; 1869-1875), Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands (SAPD; 1875-1890), Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD; 1890-1917, 1922-1933), (Mehrheits-)Sozialdemokratische Partei Deutschlands (MSPD; 1917-1922) und Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD; 1917-1922).

Über die Schwierigkeiten, eine empirisch eindeutig objektivierbare Definition für »sozialdemokratisch« insbesondere in den ersten Jahrzehnten des Kaiserreichs zu finden, ist im BIOKAND-Handbuch ausführlich berichtet worden(7)(7) Vg. BIOKAND-Handbuch, S. 36 f.. Vor dem Hintergrund der repressiven Vereinsgesetzgebung beließ es die Partei bis 1905, die Parteimitgliedschaft nur grundsätzlich zu definieren: »Zur Partei gehörig wird jede Person betrachtet, die sich zu den Grundsätzen des Parteiprogramms bekennt und die Partei nach Kräften unterstützt.« (8)(8) Text des Organsationsstatuts von Halle zuerst in: Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands zu Halle a. S. vom 12. Oktober bis 18. Oktober 1890, Berlin 1890, S. 6-8 (hier: S. 6). Erst das Organisationsstatut von Jena 1905 präzisierte die Parteimitgliedschaft: »Zur Partei gehörig wird jede Person betrachtet, die sich zu den Grundsätzen des Parteiprogramms bekennt und die Partei dauernd durch Geldmittel unterstützt« (Paragraph l)(9)(9) Text des Organisationsstatuts von Jena zuerst in: Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Abgehalten zu Jena vom 17. bis 23. September, Berlin 1905, S. 5 9 (hier: S. 5)., weiterhin hatte jeder Parteigenosse formell seiner Reichstagswahlorganisation als Mitglied anzugehören; die Einführung von einheitlichen Mitgliedsbüchern – von den Gewerkschaften schon lange vorher praktiziert – war eine der organisatorischen Begleitmaßnahmen. Insgesamt aber ließen sich nur wenige »Grenzfälle« feststellen: prominente Beispiele dafür aus der Zeit nach Gründung der ersten nominell sozialdemokratischen Partei 1869 sind z. B. MdR Johann Jacoby oder MdL August Welke, die sowohl von den kleinbürgerlichen Demokraten als auch von den Sozialdemokraten als »Partei«-Kandidaten angesehen wurden. Auch in der Weimarer Republik ließen sich einige »Grenzfälle« beobachten: z. B. diejenigen Bremer Bürgerschaftsabgeordneten, die 1919 über berufsständische Wahllisten in die Bürgerschaft einzogen und im Parlament für die MSPD- bzw. USPD-Fraktion »optierten«, oder bei einigen Fraktionswechslern, die ursprünglich für eine andere Partei in das Parlament gewählt worden waren und bei denen der (behauptete) Fraktionswechsel zur SPD im Parlamentsprotokoll nicht eindeutig oder gar nicht belegt ist.(10)(10) Prominentes Beispiel dafür ist Dr. Arthur Rosenberg, der von Mai 1924 bis Mai 1928 MdR war. Rosenberg, der für die KPD in den Reichstag eingezogen war, trat im April 1927 aus der KPD aus; laut eigenen Angaben und laut Reichstagsakten blieb er in der restlichen Mandatszeit fraktionslos, ein formeller Beitritt zur SPD erfolgte nicht. Dagegen behauptet z. B. Max Schwarz (MdR, S. 740), Rosenberg sei im Februar 1927 zur SPD übergetreten. Aufgrund der unzutreffenden Angaben bei Max Schwarz wurde Rosenberg zunächst als »sozialdemokratischer« Abgeordneter in die BIOSOP-Grundgesamtheit aufgenommen, später aber nach Prüfung der Quellen wieder herausgenommen. Zu Rosenberg vgl. u. a. die Kurzbiographie in: Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, hrsg. v. Institut für Zeitgeschichte München und von der Research Foundation for Jewish Immigration New York, Bd. 1, München etc. 1980, S. 612.

»Parlamentarier«:
In die Grundgesamtheit wurden alle Personen aufgenommen, die als Abgeordnete direkt bei einer der stattgefundenen Haupt-, Stich-, Ersatz- oder Nachwahlen gewählt bzw. durch das jeweilige Parlamentspräsidium offiziell als Mandatsnachrücker festgestellt worden waren.

Diese relativ weite Definition der Parlamentsmitgliedschaft trägt insbesondere der teilweise außergewöhnlichen Lage der gewählten Abgeordneten in der Weimarer Republik Rechnung. Als Entscheidungskriterium für die Aufnahme in die BIOSOP-Grundgesamtheit galt die offizielle Annahme der Wahl/des Mandats durch den Gewählten/den Nachrücker; diese offizielle Annahme läßt sich in der Regel in den Drucksachen/Verhandlungsprotokollen des Parlamentes nachweisen. Nicht dagegen wurde die Aufnahme in die BIOSOP-Grundgesamtheit z. B. von der Teilnahme des Parlamentariers an mindestens einer Parlamentssitzung abhängig gemacht; unter dieser Bedingung würden u. a. viele »offiziell« nachweisbare parlamentarische Nachrücker, aber auch direkt gewählte Abgeordnete am Ende der Weimarer Republik (z. B. Reichstagsabgeordnete, die im Juli 1932, November 1932 und März 1933 gewählt worden waren, oder offiziell festgestellte Mandatsnachrücker, die seit Juli 1932 in das Parlament berufen worden waren) nicht aufgenommen, da entweder keine reguläre Parlamentssitzung, an der sie noch hätten teilnehmen können, mehr stattgefunden hatte oder da eine Teilnahme aufgrund von Drohung und Gewalt seitens der Nationalsozialisten nicht mehr möglich war.

»Reichstage«:
Berücksichtigt wurden alle Reichstage des Norddeutschen Bundes und des Deutschen Reiches in der Zeit von Februar 1867 bis Juni 1933, einschließlich der verfassunggebenden Nationalversammlung 1919-1920.

Der Untersuchungszeitraum reicht demnach von der Neukonstituierung des Reichstages im Februar 1867 bis zum Verbot der Partei im Juni 1933 und der damit verbundenen Aberkennung der parlamentarischen Mandate. Da bei jeder Hauptwahl alle Reichstagsabgeordneten neu gewählt wurden, ergeben sich insgesamt 24 Mandatsperioden. Nur bei der Reichstagswahl vom Juni 1920 wurde eine Ausnahmeregelung getroffen. Angesichts der Volksabstimmungen in Nordschleswig (Abstimmung am 10.2. 1920), in Ost- und Westpreußen (Abstimmung am 11.7. 1920) und in Oberschlesien (Abstimmung am 20.3. 1921) wurde in diesen Gebieten zunächst nicht gewählt; die Mandate der bisherigen 42 Abgeordneten der Nationalversammlung für diese Gebiete wurden bis zur Klärung der Gebietsfragen verlängert. Erst im Februar 1921 und im November 1922 fanden dort Reichstagswahlen nachträglich statt.

»Landtage«:
Berücksichtigt wurden alle Länderparlamente (»Landtag«, »Abgeordnetenhaus«, »Zweite Kammer«, »Landesversammlung«, »Bürgerschaft«, »Volkskammer«, »Volkstag«, einschließlich der verfassunggebenden Landesversammlungen 1918-1919), deren Abgeordnete aufgrund eines »allgemeinen« Wahlrechtes oder im Kaiserreich auch aufgrund eines »beschränkten« Wahlrechts gewählt worden waren.

»Allgemeines« Wahlrecht heißt, »daß grundsätzlich alle Staatsbürger, unabhängig von Geschlecht, Rasse, Sprache, Einkommen oder Besitz, Beruf, Stand oder Klasse, Bildung, Konfession oder politischer Uberzeugung Stimmrecht besitzen und wählbar sind.« Davon unberührt bleibt es, daß »einige unerläßliche Voraussetzungen gefordert werden wie ein bestimmtes Alter, Staatsbürgerschaft, Wohnsitznahme, Besitz der geistigen Kräfte und der bürgerlichen Ehrenrechte und volle rechtliche Handlungsfähigkeit«. (11)(11) Bernhard Vogel/Dieter Nohlen/Rainer-Olaf Schultze, Wahlen in Deutschland, Theorie – Geschichte – Dokumente 1848-1970, Berlin/New York 1971, S. 20. An die Wählbarkeit können weitere Voraussetzungen geknüpft werden, z. B. ein höheres Alter oder die Unvereinbarkeit von Mandat und Staatsämtern. Bei allen »Landtags«-Wahlen der Weimarer Republik fand dieses »allgemeine« Wahlrecht in verschiedenen Varianten Anwendung. Dieses »allgemeine« Wahlrecht wurde im Kaiserreich bei allen »Landtags«-Wahlen durch den Ausschluß der Frauen vom Wahlrecht stark eingeschränkt und wäre dadurch definitionsgemäß nicht mehr »allgemein«. Trotz Ausschluß der Frauen spricht man aber zumindest in der zeitgenössischen Literatur von einem »allgemeinen« Wahlrecht: »Nach dem Wortlaut könnte man unter allgemeinem Stimmrecht eine Gestaltung des Wahlrechtes verstehen, nach welcher alle Staatsangehörige ohne Ausnahme zur Theilnahme an den Wahlen zugelassen würden. Ein solcher Rechtszustand hat jedoch niemals bestanden und kann niemals bestehen. Gewisse Personen müssen naturgemäss von den Wahlen ausgeschlossen werden . . . auch den Frauen wird die Zulassung dazu fast überall versagt.» (12)(12) Georg Meyer, Das parlamentarische Wahlrecht, hrsg. v. Georg Jellinek, Berlin 1901, S. 412. Wenn dennoch in der weiter unten folgenden Wahlrechtsdokumentation im Kaiserreich von »allgemeinem« Wahlrecht gesprochen wird, dann ist dies ausschließlich in einem »historischen« Sinne – analog zum zeitgenössischen Wortgebrauch – zu verstehen. Tatsächlich bestand im Kaiserreich ein »beschränktes« Wahlrecht. Dabei lassen sich hauptsächlich drei Varianten der »Beschränkung« differenzieren (13)(13) Vgl. u. a. Vogel/Nohlen/Schultze, Wahlen, S. 21.: l) direkter Ausschluß von Bevölkerungsgruppen mit bestimmten unveränderbaren Merkmalen (z. B. Ausschluß von Frauen, von ethnischen und religiösen Minoritäten); 2) Festlegung eines Zensuses (z. B. Besitzzensus, Steuerzensus, Einkommenszensus, etc.); 3) Erfordernis von Bildung (Bildungszensus).

»deutsche« Landtage:
Berücksichtigt wurden alle Länder in den jeweiligen Grenzen des Deutschen Reichs, einschließlich Elsaß-Lothringen (1911 bis 1918), aber auch der Freien Stadt Danzig (1920 bis 1938).

Die Subsumierung des »Volkstages«, der gesetzgebenden Körperschaft der Freien Stadt Danzig, unter den »deutschen« Landtagen ist zumindest im Sinne des damals geltenden Völkerrechts unzulässig: danach wäre der »Volkstag« weder »deutsch« noch ein »Landtag«. (14)(14) Zum Wahlrecht und zum »Volkstag« vgl. u. a.: Karl Braunias, Das parlamentarische Wahlrecht, Bd. I, Berlin und Leipzig 1932, S. 74-81.- Zur Entwicklung des Parlamentarismus und der »deutschen« Parteien in Danzig vgl. u. a.: Fritz Wertheimer, Von deutschen Parteien und Parteiführern im Ausland, 2. Aufl., Berlin 1930. Der Versailler Vertrag (Artikel 100-104) und weitere Folgeverträge (u. a. der Pariser Vertrag vom 9.11. 1920 und das Warschauer Abkommen vom 24.10. 1921) führten zur Abtrennung des Danziger Gebiets vom Deutschen Reich und zur Konstituierung eines unabhängigen Staatsgebildes, das unter dem Schutz des Völkerbundes stand. Von daher wäre der Danziger »Volkstag« auf eine Ebene mit dem Deutschen Reichstag und nicht mit den Länderparlamenten zu stellen; aber aufgrund seiner Gebietsgröße (l 950 qkm) und seiner Bevölkerungszahl (ca. 400 000 Einwohner) liegt es – zumindest quantitativ – nahe, Danzig mit einem deutschen entsprach mit Sicherheit nicht dem Willen der dort lebenden deutschsprachigen Bevölkerung, die neun Zehntel der Gesamtbevölkerung Danzigs umfaßte; die territoriale Abtrennung bedeutete keine Unterbrechung der gewachsenen Beziehungen zwischen Danzig und dem Reichsgebiet. In den Augen der Bevölkerungsmehrheit blieb Danzig zweifellos »deutsch«; diese zeitgenössische Perzeption und nicht das Völkerrecht gab den Ausschlag dafür, den »Volkstag« der Freien Stadt Danzig mit in die Grundgesamtheit einzubeziehen.

Dagegen wurden die Mitglieder des Landtages des Memelgebietes und die des Landesrats des Saargebietes nicht in die Grundgesamtheit aufgenommen. (15)(15) Zur Entwicklung des Parlamentarismus und der »deutschen« Parteien im Memelgebiet vgl. u. a.: Fritz Wertheimer, Von deutschen Parteien; zum Wahlrecht: Karl Braunias, Wahlrecht, Bd. I, S. 355-361.- Neuerdings grundlegend: Mads Ole Balling, Von Reval bis Bukarest, Statistisch-Biographisches Hand- buch der Parlamentarier der deutschen Minderheiten in Ostmittel- und Südosteuropa 1919-1945, 2 Bde., Kopenhagen 1991 (hier insbesondere: Bd. II, S. 689-742). – Die »Sozialdemokratische Partei des Memelgebietes« (SDPM) wurde 1925 begründet und ging 1935 in die »Memelländische Einheitsliste« bzw. »Memeldeutsche Einheitsliste« auf. Nach dem Handbuch von Balling gab es insgesamt die folgenden 8 Landtagsabgeordneten der SDPM: Michael Bertschus (1883-1943; Landarbeiter, später u. a. Gewerkschafts- und Behördenangestellter in Memel; MdL 1925-1932), August Kislat (1885-1941; Schneidemüller, später u. a. Gewerkschaftsangestellter in Heydekrug und Vorsitzender der SDPM; MdL 1925-1930, 1932-1935), Adolf Plennis (1894-1949; Landarbeiter in Truschellen; MdL 1925- 1927), Ernst Rausch (1892-?; Arbeiter in Tilsit-Übermemel; MdL 1925-1927), Martin Seewaldt (1876- 1951; Gewerkschaftsangestellter in Memel; MdL 1925-1930), Augustin Jöres (1883-1945; Schreiner, später u. a. Kontrollbeamter in Pogegen; MdL 1930-1932) und Georg Pannars (?-?; Arbeiter, später u. a. Gewerkschaftsangestellter in Memel; MdL 1930-1935). Das Memelgebiet (ca. 140 000 überwiegend deutschsprachige Einwohner) wurde ähnlich wie das Danziger Gebiet 1919 vom deutschen Reichsgebiet abgetrennt, ohne daß der Versailler Vertrag allerdings die Zukunft des Landes endgültig geregelt hätte. Zunächst unter französischer Besatzung wurde das Memelgebiet im Januar 1923 von litauischen Truppen besetzt; im Memelstatut vom 8. Mai 1924 verlor das Memelgebiet seine staatliche Souveränität, bildete fortan ein autonomes Gebiet von Litauen und wurde faktisch von einem litauischen Gouverneur regiert. Für den Nichteinbezug des Parlaments des Memelgebietes in die »deutschen« Landtage gelten daher ähnliche völkerrechtliche Erwägungen, wie sie zu Elsaß-Lothringen anzustellen wären, wenn es dort nach 1918 erneut einen Landtag gegeben hätte. Landtagswahlen im Memelgebiet (16)(16) Die Wahlergebnisse sind entnommen aus: Mads Ole Balling, Handbuch, S. 697; die Angaben unterscheiden sich leicht im Hinblick auf die Stimmenanteile, die bei Jürgen Falter (Wahlen und Abstimmungen in der Weimarer Republik, Materialien zum Wahlverhalten 1919-1933, München 1986,S. 114) genannt werden. fanden am 19. Oktober 1925 (Sozialdemokratische Partei: 17,2% und 5 Mandate), am 30. August 1927 (SP: 10,3% und 3 Mandate), am 10. Oktober 1930 (SP: 13,8% und 4 Mandate), am 4. Mai 1932 (SP: 6,9% und 2 Mandate) und am 29./30. August 1935 (SP kandidierte nicht mehr als eigenständige Partei) statt; die Sozialdemokratische Partei des Memelgebietes spielte im Verhältnis zur dominierenden Memelländischen Volkspartei bzw. zur Memelländischen Landwirtschaftspartei im politischen Leben nur eine periphere Rolle. Nach dem Memelstatut stand dem Landtag formal die Gesetzgebung zu; die Regierung, das sogenannte »Landesdirektorium«, war dem Landtag grundsätzlich verantwortlich, wurde aber vom litauischen Gouverneur ernannt. Faktisch konnte der Landtag seine gesetzgeberische Funktion nur unvollkommen ausüben, zudem wurde die Bildung eines parlamentarisch verantwortlichen Landesdirektoriums entweder verhindert oder im »litauischen Sinne« geregelt.

Im Versailler Vertrag mußte das Deutsche Reich auf die Ausübung der staatlichen Souveränität im Saargebiet (Gebietsgröße: 1 882 qkm; Bevölkerungsgröße: ca. 780 000) für 15 Jahre verzichten; erst nach Ablauf dieser Frist sollte das weitere Schicksal des Saargebietes durch eine Volksabstimmung entschieden werden. Eine sogenannte »Regierungskommission« übte im Saargebiet faktisch die alleinige Regierungsgewalt aus und war dabei keinem Parlament verantwortlich, sondern nur dem Völkerbund. Der durch Regierungsverordnung vom 27. März 1922 geschaffene »Landesrat« entbehrte daher der üblichen parlamentarischen Rechte eines Landtages und besaß nur beratende Funktion. Von daher wurden Mitglieder des »Landesrates« nicht mit in die BIOSOP-Grundgesamtheit einbezogen. Die Wahlen zum Landesrat (17)(17) Die Wahlergebnisse entnommen aus: Jürgen Falter, Wahlen, S. 116; zur Stellung des »Landesrats« vgl. u. a.: Karl Braunias, Wahlrecht, Bd. I, S. 120-122. fanden statt am 25. Juni 1922 (Sozialdemokratie: 16,5% und 5 Mandate), am 27. Januar 1924 (SP: 18,4% und 6 Mandate), am 25. März 1928 (SP: 15,6% und 5 Mandate) und am 13. März 1932 (SP: 9,9% und 3 Mandate); auch hier kam der Sozialdemokratischen Partei im Verhältnis zur dominierenden Zentrumspartei, aber auch zur stetig wachsenden Kommunistischen Partei (1932: 23,2%!) nur eine periphere Rolle im politischen Leben zu.

c) Festlegen der Editionsprinzipien

Wissenschaftlicher Begründungszusammenhang

Der wissenschaftliche Begründungszusammenhang auch des BlOSOP-Projekts ist schon im BIOKAND-Handbuch ausführlich dargestellt worden (18)(18) Vgl. BIOKAND-Handbuch, S. 39-41.; in der Folge seien nur noch kurz die leitenden Vorstellungen wiederholt. Einerseits leistet BIOSOP einen Beitrag zur Grundlagenforschung über die Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. (19)(19) Vgl. zur historischen Grundlagenforschung exemplarisch die »Annotierte Bibliographie 1953-1988« (bearbeitet von Martin Schumacher, Düsseldorf 1988) der Kommission für Geschichte des Parla- mentarismus und der politischen Parteien. Andererseits – und dies soll in der Folge hervorgehoben werden – versteht sich BIOSOP auch als ein Beitrag zur Erforschung politischer Eliten, insbesondere im Rahmen der interdisziplinär angelegten Wahl-, Parlamentarismus-, Parteien- und Verbändeforschung. Zum einen geht es bei der Elitenforschung darum, durch die Untersuchung der Zusammensetzung, der Rekrutierung, der Verflechtung, der Transformation usw. von Eliten Erkenntnisse zu gewinnen über die Sozialstruktur, das Schichtgefüge, die Mobilitätsprozesse einer Gesellschaft und den damit verbundenen Wandel. Zum anderen geht es darum, durch die Analyse der Herkunft, der Wertvorstellungen, der Kohärenz, der Zirkulation, der Machtstellung usw. von Eliten Erkenntnisse zu gewinnen über die sozialen Grundlagen und Bedingungen politischer Prozesse und über die Determinanten des politischen Handelns und Verhaltens von Eliten. Parlamentarische »Eliten« werden in diesem Zusammenhang im Sinne der Definition von »Funktionseliten« verstanden. »Funktionseliten« sind demnach »die mehr oder weniger geschlossenen sozialen und politischen Einflußgruppen, welche sich aus den breiten Schichten der Gesellschaft und ihren größeren und kleineren Gruppen auf dem Wege der Delegation oder der Konkurrenz herauslösen, um in der sozialen oder der politischen Organisation eine bestimmte Funktion zu übernehmen«. (20)(20) Otto Stammer, Das Elitenproblem in der Demokratie, in: Wilfried Röhrich (Hrsg.), Demokratische Elitenherrschaft, Darmstadt 1975, S. 202.

Eine der Hauptquellen der Forschung über politische Eliten stellen die Lebensläufe der E litenmitglieder dar. Zur Auswertung von Lebensläufen im Hinblick auf die oben genannten Leitfragen wurde u. a. die Methode der »kollektiven Biographie« entwickelt. »Kollektive Biographie« kann man definieren als: »die theoretisch und methodisch reflektierte, empirische, besonders auch quantitativ gestützte Erforschung eines historischen Personenkollektivs in seinem gesellschaftlichen Kontext anhand einer vergleichenden Analyse der individuellen Lebensläufe der Kollektivmitglieder«. (21)(21) Wilhelm Heinz Schröder, Kollektive Biographien in der historischen Sozialforschung: Eine Einführung, in: ders. (Hrsg.), Lebenslauf und Gesellschaft, Zum Einsatz von kollektiven Biographien in der historischen Sozialforschung, Stuttgart 1985, S. 8.- Zur kollektiven Biographik und Biographieforschung vgl. u. v. a. die Ubersicht bei: Michael Harscheidt, Biographieforschung, Werden und Wandel einer komplexen Methode, in: Historical Social Research/Historische Sozialforschung 14 (1989) 4, S. 99-142. – Exemplarische Anwendung auf historische politische Eliten bei: Heinrich Best, Die Männer von Bildung und Besitz, Struktur und Handeln parlamentarischer Führungsgruppen in Deutschland und Frankreich 1848/49, Düsseldorf 1990. Die bekannteste Anwendung von kollektiver Biographie innerhalb der Erforschung politischer Führungsgruppen stellt der sogenannte karrieretheoretische Ansatz dar, der die Rekrutierung von politischem Führungspersonal »als einen kollektiven soziopolitischen Prozeß insgesamt zu erfassen« (22)(22) Dietrich Herzog, Politische Karrieren, Opladen 1975, S. 89. versucht. »Karriere« wird hier in einem engeren Sinne verstanden als »Sequenz von Positionen, die Personen typischerweise auf ihrem ‚Weg zur Spitze‘ durchlaufen« (23)(23) Dietrich Herzog, Karrieren, S. 89., oder in einem weiteren Sinne als »eine nach der Zeit geordnete Sequenz von Konfigurationspositionen zur Beobachtung eines einzelnen Phänomens« (24)(24) Wilhelm Heinz Schröder, Die Lehrkörperstruktur der TH Berlin 1879-1945, in: Reinhard Rürup (Hrsg.), Wissenschaft und Gesellschaft, Berlin/Heidelberg/New York 1979, Bd. 1, S. 59. im Lebenslauf.

Als Quellengrundlage für eine kollektive Biographie dienen die systematisch elaborierten und wissenschaftlich gesicherten Lebensläufe der jeweiligen Elitenmitglieder. Das BIO-KAND-Handbuch hat schon detailliert sowohl die allgemeine Quellenlage zu den Biographien deutscher Parlamentarier als auch die spezifische Quellenlage zu den Biographien sozialdemokratischer Parlamentarier und Funktionäre dargestellt und die unzureichende Informationssituation dokumentiert.(25)(25) Vgl. BIOKAND-Handbuch, S. 39-52. Seit 1986 sind eine Reihe von einschlägigen Forschungsprojekten begonnen bzw. abgeschlossen worden: z. B. das Kölner DFG-Forschungsprojekt »Biographisches Handbuch der Mitglieder deutscher Nationalparlamente 1848-1933« (26)(26) Das BIORAB-Forschungsprojekt wurde zunächst am Institut für angewandte Sozialforschung der Universität Köln durchgeführt (1986-1987), seit 1987 ist es am Zentrum für Historische Sozialfor- schung (im Zentralarchiv für empirische Sozialforschung, Universität Köln) angesiedelt. Das biogra- phische Handbuch wird gemeinsam von Heinrich Best und Wilhelm Heinz Schröder herausgegeben und soll in drei Teilbänden (l. 1848-1849 mit 809 Abgeordneten; II. 1867-1918 mit 2774 Abgeord- neten; III: 1919-1933 mit 1795 Abgeordneten) publiziert werden. Die Arbeiten am Band I (bearbeitet von Heinrich Best und Wilhelm Weege) sind inzwischen abgeschlossen, der Band wird voraussichtlich 1995 erscheinen; Band III wird voraussichtlich 1996 und Band II 1997 erscheinen können. Das BIOSOP-Archiv wurde – soweit es die darin enthaltenen sozialdemokratischen Reichstagsabgeord- neten betraf – 1988 in das BIORAB-Archiv integriert; BIOSOP konnte dadurch einen wesentlichen Beitrag zur BIORAB-Projektarbeit leisten. , das vom Deutschen Bundestag geförderte Forschungsprojekt »Lebensschicksale der ehemaligen Reichstagsabgeordneten der Weimarer Republik ab 1933« (27)(27) Der Bundestag beauftragte 1987 die Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der po- litischen Parteien mit der Erforschung der Lebensschicksale; in Kooperation mit der Zentralredaktion bei der Kommission (Leitung: Martin Schumacher) wurden die Lebensschicksale der sozialdemokra- tischen und kommunistischen Reichstagsabgeordneten von einem Team am Zentrum für historische Sozialforschung (Leitung: Wilhelm Heinz Schröder) erforscht. Die Ende 1989 dem Bundestag vorgelegte Forschungsdokumentation wurde 1990 von der Zentralredaktion für eine Handbuch-Publikation überarbeitet; das umfängliche Handbuch, das die Kurzbiographien von insgesamt 1795 MdR enthält, ist inzwischen erschienen: M.d.R. Die Reichstagsabgeordneten der Weimarer Republik in der Zeit des Nationalsozialismus, Politische Verfolgung, Emigration und Ausbürgerung 1933-1945, Eine biographische Dokumentation, hrsg. u. eingeh v. Martin Schumacher, bearbeitet von Katharina Lübbe und Martin Schumacher in Verbindung mit Wilhelm Heinz Schröder und unter Mitwirkung von Angela Joseph und Evelyn Richter sowie weiteren Mitarbeitern, Düsseldorf 1991. Das Handbuch mit den Kurzbiographien der insgesamt 2659 Landtagsabgeordneten ist inzwischen publiziert worden: Bernhard Mann unter Mitarbeit von Martin Doerry, Cornelia Rauh und Thomas Kühne, Biographisches Handbuch für das Preußische Abgeordnetenhaus 1867-1918, Düsseldorf 1988. – Auch zu diesem Handbuch konnte BIOSOP einen, wenn auch kleinen Beitrag durch die Lieferung der Kurzbiographien der (wenigen) sozialdemokratischen Abgeordneten leisten. Vgl. BIOKAND-Handbuch, S. 60-62. und das Tübinger Forschungsprojekt »Handbuch der Mitglieder des Preußischen Abgeordnetenhauses 1867-1918«. (28)(28) Das Handbuch mit den Kurzbiographien der insgesamt 2659 Landtagsabgeordneten ist inzwischen publiziert worden: Bernhard Mann unter Mitarbeit von Martin Doerry, Cornelia Rauh und Thomas Kühne, Biographisches Handbuch für das Preußische Abgeordnetenhaus 1867-1918, Düsseldorf 1988. – Auch zu diesem Handbuch konnte BIOSOP einen, wenn auch kleinen Beitrag durch die Lieferung der Kurzbiographien der (wenigen) sozialdemokratischen Abgeordneten leisten. Zumindest die Informationssituation für die deutschen Nationalparlamentarier hat sich inzwischen grundlegend verbessert. Das weite Feld der biographischen Forschung zu den deutschen Landtagsabgeordneten bleibt jedoch weiterhin unterbelichtet. Inzwischen wurde am Zentrum für Historische Sozialforschung mit einem Forschungsprojekt zur kollektiven Biographie der mehr als 6000 Landtagsabgeordneten 1918-1933 (BIOWEIL) begonnen; der Projektabschluß ist allerdings frühestens für 1998 zu erwarten; ähnliches gilt auch für die biographische Erforschung regionaler SPD-Eliten. Das vorliegende BIOSOP-Handbuch wird einen wesentlichen Beitrag zur weiteren Aufarbeitung der vorhandenen Forschungsdefizite leisten können.

Verwertungszusammenhang

Ein wissenschaftlichen Maßstäben verpflichtetes Handbuch muß sich vor Beginn der Editionsarbeit hinreichend Rechenschaft darüber ablegen, wer die künftigen Handbuchbenutzer sein werden und inwieweit und in welcher Form bei ihnen ein Informationsbedarf besteht. Im BIOKAND-Handbuch ist schon ausführlich über Ergebnisse einer solchen Bedarfsanalyse diskutiert worden. (29)(29) Vgl. BIOKAND-Handbuch, S. 60-62. Diese Überlegungen gelten gleichermaßen für BIOSOP; in der Folge wird daher nur die Entscheidung über den auch von BIOSOP angestrebten Verwertungszusammenhang vorgestellt, nicht berücksichtigte Alternativen dagegen bleiben hier ausgeblendet.

Insgesamt gesehen sind die Erwartungen der verschiedenen Benutzergruppen an ein biographisches Handbuch teils deckungsgleich, teils tendenziell oder sogar grundlegend verschieden. Ein Handbuch kann demnach in keinem Falle die Erwartungen aller Benutzergruppen optimal erfüllen, es müssen entsprechend klare Prioritäten gesetzt oder Kompromisse geschlossen werden. Diese Priorität soll beim BIOSOP-Handbuch eindeutig auf dem Bedarf der wissenschaftlichen Benutzergruppe liegen. Zweifellos knüpfen Hochschullehrer, Forscher und auch Doktoranden die höchsten Erwartungen an ein biographisches Handbuch, ihre Erwartungen lassen sich wie folgt beschreiben:

  • Vollständige Wiedergabe aller eruierten biographischen Informationen, d. h. auch solche Informationen, die für die Biographie eines Parlamentariers/Abgeordneten nur von peripherer Bedeutung sind, sollen einbezogen werden;
  • präzise Wiedergabe von biographischen Informationen, d. h. z. B. Berufs- und Amtsbezeichnungen sollen originalgetreu reproduziert und Berufstätigkeiten und Amtsausübungen zeitlich und räumlich verortet werden;
  • ballastfreie Wiedergabe von biographischen Informationen, d. h. auf allgemeine und redundante Informationen soll in der Individualbiographie weitestgehend verzichtet werden;
  • objektive Wiedergabe von biographischen Informationen, d. h. subjektive Einschätzungen und Wertungen des wissenschaftlichen Autors sollen unterbleiben oder deutlich abgehoben und ohne Einfluß auf die Vermittlung objektivierbarer Informationen sein;
  • transparente Rekonstruktion der individuellen Lebensläufe, d. h. durch einen umfänglichen wissenschaftlichen Anmerkungsapparat sollen alle Informationen quellenmäßig belegt und die Rekonstruktionsentscheidungen im einzelnen diskutiert und begründet werden;
  • dokumentarische Erschließung der biographischen Informationen, d. h. es sollten verschiedene Register (z. B. Orts-, Zeit-, Instituts-, Verbände-, Zeitschriften-, Fraktions-, Mandats-, Berufsregister) und Ubersichten (Wahldokumentationen, Tabellen etc.) erstellt werden.

Wenn all diese Erwartungen erfüllt würden, wären kollektive Biographien selbst mit äußerst spezifischen und komplexen Fragestellungen allein auf der Basis des Handbuchs und ohne die Notwendigkeit eigener Recherchen möglich. Im Regelfall allerdings wird die Gruppe der Wissenschaftler das Handbuch nicht im Ganzen oder in Teilen für eine kollektive Biographie, sondern zum Nachschlagen einzelner Biographien benutzen, die man als ergänzende Quelle im Rahmen von Forschung und Lehre braucht.

Diese Prioritätensetzung bedeutet aber nicht, daß das Handbuch auch den maximalen Bedarf dieser Benutzergruppe befriedigen kann und will. Das BIOSOP-Handbuch muß prinzipiell auf einen breiten Benutzerkreis zielen und kann spezialisierte Einzelforschung nicht ersetzen. Dies trifft vor allem auf die Arbeit der kollektiven Biographen zu; hier kann ein Handbuch wohl die allgemeine Quellenbasis bereitstellen, die kollektiven Biographen als Grundlage ihrer Forschung dienen kann, aber es kann sich weder auf die »vollständige« Erfassung und Erschließung, noch auf die »vollständige« Wiedergabe von peripheren biographischen Informationen einlassen, wobei die »Vollständigkeit« eines Handbuchs zudem auch nicht annähernd zu erreichen ist. Prioritätensetzung heißt nicht völlige Ausschaltung der Bedürfnisse anderer Benutzergruppen; ohne den entsprechenden Bedarf der wissenschaftlichen Benutzer allzusehr zu beeinträchtigen, bieten sich zumindest als denkbare Kompromisse an: neben der Reduktion der »Vollständigkeit« und der »Transparenz« auch ein größeres Maß an Allgemeinverständlichkeit; in welcher Form wird unten noch zu erläutern sein.

Gemäß den allgemeinen Vorgaben galt es bei der Edition des BIOSOP-Handbuchs folgende konkreten Editionsentscheidungen zu treffen:

  • Entscheidung über die Relevanz von Informationssegmenten,
  • Entscheidung über die Wiedergabe von Informationen (vollständig, präzise, ballastfrei, objektiv),
  • Entscheidung über die Transparenz der biographischen Rekonstruktion von Lebensläufen,
  • Entscheidung über die dokumentarische Erschließung der Informationen.

Die konkreten Editionserscheinungen mußten schließlich umgesetzt werden zur Festlegung der Struktur der BIOSOP-Normalbiographie. Diese Editionsentscheidungen sollen in der Folge kurz vorgestellt und erörtert werden.

Relevanz von Informationssegmenten (30)(30) Vgl. BIOKAND-Handbuch, S. 62 f.

Jede BIOSOP-Biographie enthält – soweit möglich – folgende Informationssegmente:

  • Personennamen:
    Familienname, Vorname(n), Namenszusätze.
  • Personenstandsangaben:
    Geburtsdatum, Geburtsort;
    Sterbedatum, Sterbeort;
    Beruf des Vaters (ggf. der Mutter);
    Religionsbekenntnis (ggf. Bekenntniswechsel bzw. Kirchenaustritt);
    Familienstand.
  • Sozialisation:
    Schul-, Weiter- und Hochschulbildung;
    Berufsausbildung (»erlernter« Beruf);
    Militärverhältnisse;
    Wanderschaft;
    Beitritt zur Arbeiterbewegung.
  • Berufstätigkeiten:
    Hauptamtliche Berufspositionen bzw. Positionen, die überwiegend zum Haupterwerb dienen;
    relevante nebenamtliche Berufspositionen.
  • Funktionen in Politik, Parteien, Verbänden, öffentlicher Verwaltung, Wirtschaft:
    Relevante Funktionen in den genannten Bereichen im Ehren- oder Nebenamt (im Hauptamt vgl. Berufstätigkeiten).
  • Parlamentarische Amter und Mandate:
    Relevante parlamentarische Amter;
    relevante parlamentarische Mandate.
  • Delegierungen:
    Mandate zu den nationalen SP-Parteitagen;
    Mandate zu den allgemeinen nationalen Kongressen der »freien« Gewerkschaften;
    Mandate zu den spezifischen nationalen Verbandstagen der gewerkschaftlichen Einzelverbände;
    Mandate zu den Kongressen der sozialistischen Internationalen.
  • Sonstiges:
    Nennung von persönlichen Besonderheiten (z. B. Verfasser einer Autobiographie oder anderer Publikationen, Lebensschicksal in der NS-Zeit, längere politische Haftstrafen).

Das Gebot von Arbeits-, Zeit- und Mittelökonomie setzt jedem Handbuch-Projekt enge Grenzen und zwingt zur Bestimmung des Machbaren einerseits und zur Abwägung des Verhältnisses zwischen Aufwand und Nutzen andererseits. Grenznutzenerwägungen betreffen nicht nur das Vollständigkeits-Postulat, sondern vor allem auch die Forderung nach Transparenz des wissenschaftlichen Rekonstruktionsprozesses zur Erstellung der Biographien. Unter den gegebenen Umständen wurde daher das Segment »Quellenverweise« ersatzlos gestrichen. Diese Streichung bedeutet gleichzeitig eine ablehnende Editionsentscheidung im Hinblick auf die Transparenz der Lebenslauf-Rekonstruktion im Handbuch. Der wissenschaftliche Nutzer des Handbuchs sollte später unmittelbar die archivierten Abgeordneten-Personendossiers, in denen die Hauptquellen (einschließlich der Unterlagen der schriftlichen Befragungen) zu dem jeweiligen Abgeordneten gesammelt sind, einsehen und dadurch die Möglichkeit besitzen, den Prozeß des Biographierens anhand der vorliegenden Quellen selbst kritisch nach-zuvollziehen.

Relevanz von Informationselementen (31)(31) Vgl. BIOKAND-Handbuch, S. 63.

Die Erschließung von Massenbiographien erlaubt, das Relevanzkriterium relativ niedrig und flexibel festzulegen, d. h. die Relevanz wird z. B. an bestimmten Funktionärspositionen und/ oder anderen Amtern und Funktionen festgemacht, und im Zweifelsfalle muß nicht gegen, sondern kann für die Aufnahme entschieden werden. Dagegen wird bei vielen biographischen Lexika weder deutlich, warum die aufgenommenen Personen ausgewählt und warum nicht noch weitere bzw. statt dessen andere aufgenommen worden sind, noch, warum bestimmte Informationen als relevant erkannt werden (und in die Biographie aufgenommen werden) und andere nicht. Die Biographien in diesem Handbuch enthalten die zeitlich verorteten »harten« Fakten der individuellen Lebensläufe, insoweit sie relevant für die Karriere eines politischen Funktionärs und insoweit sie – für eine Mindestzahl von Biographien – in Form von intersubjektiv vergleichbaren »Fakten« bei der Recherche objektivierbar gewesen sind. Das bedeutet den bewußten Verzicht auf die Wiedergabe von verfügbaren biographischen Informationen, die über jene »harten« Fakten hinausgehen und die z. B. Persönlichkeitsmerkmale, politisches Verhalten, ideologische Standpunkte etc. betreffen. Jeder Versuch, ein annähernd objektives Wertesystem zu entwickeln, das eine homogene und vergleichbare Einordnung entsprechender Informationen erlaubt, muß von vornherein an der Heterogenität und der Massenhaftigkeit der Biographien scheitern. Wenn auch durch diesen Verzicht manche Abgeordnete mit vielen »objektivierbaren« Fakten optisch gewichtiger erscheinen als solche, die wohl bedeutend waren, aber weniger »nachweisbare« Fakten aufweisen, so erhält der Benutzer des Handbuchs dennoch eine solide Grundlage, sich selbst von der Gewichtung ein Bild zu machen und möglicherweise die erhaltenen Informationen für weiterführende Recherchen zu nutzen.

Ein gewisser Ausgleich für jene »optische« Ungleichgewichtigkeit wurde – neben dem Informationssegment »Sonstiges« – mit der Einführung des editorischen Prinzips der »gleitenden« Relevanz geschaffen. Diese »gleitende« Relevanz bewirkt einerseits, daß bei besonders »relevanten« Abgeordneten mit vielen »relevanten« Informationselementen »weniger relevante« (aber dennoch »relevant« im obigen Sinn) Informationen nur ausnahmsweise mit in die Biographie einbezogen werden, während andererseits bei »weniger relevanten« Abgeordneten mit »weniger relevanten« Informationselementen ggf. auch »weniger relevante« bzw. (im obigen Sinn) »nicht-relevante« Informationen in die Biographie mit einbezogen werden können. Dieses Prinzip wurde insbesondere bei der Formulierung der Lebensläufe von Parlamentarierinnen genutzt. Da bei den Frauenbiographien – unabhängig von der politischen Bedeutung – sehr oft ein Mangel an »objektivierbaren« und »relevanten« Fakten bestand, wurde durch Hinzuziehung ergänzender Informationen (z. B. Zahl der Kinder, Beruf des Ehemanns) und durch allgemeine Tätigkeitsbeschreibungen der Lebenslauf »optisch gewichtiger« dargestellt.

Ein ähnliches »optisches« Ungleichgewicht kann sich auch innerhalb der Biographien selbst ergeben. Erstreckt sich z. B. die politische Karriere des Abgeordneten sowohl über das Kaiserreich als auch über die Weimarer Republik, so dominieren in der Biographie typischerweise die Funktionen in Weimar, wo die Sozialdemokraten besonders hohe Chancen hatten, relevante politische Amter wahrzunehmen. Auch hier wurde das Prinzip der »gleitenden« Relevanz angewandt, indem für Angaben zum Kaiserreich die Relevanzanforderungen gesenkt wurden; z. B. wurden für das Kaiserreich nicht nur – wie es noch bei BIOKAND geschah – bei den Amtern der »weiteren« Arbeiterbewegung (Genossenschaften, Krankenkassen, Ar-beiter-Abstinenten-Bund etc.) die leitenden Funktionen auf regionaler, sondern auch die auf lokaler Ebene erfaßt.

Grenznutzen von »Vollständigkeit« (32)(32) Vgl. BIOKAND-Handbuch, S. 64.

Analog der unterschiedlichen Relevanz und des ungleichen Informationsstandes reicht allgemein die Form der »Biographien« von der äußerst kurzen biographischen Annotation bis hin zum ausführlichen biographischen Essay. Damit wird ein zentrales Editionsprinzip massenbiographischer Handbücher deutlich: das massenbiographische Handbuch nimmt die Biographie jeder Person, die vorher als relevant erkannt worden ist, auf, ungeachtet dessen, ob und in welchem Ausmaße biographische Daten eruiert werden konnten. Dagegen versuchen viele biographische Lexika zumindest annähernd das Vollständigkeits- und Gleichgewichtigkeits-postulat für Biographien zu erfüllen, d. h. Personen, deren Biographien nicht in der erwünschten Vollständigkeit und Gleichgewichtigkeit vorliegen, werden – oft unabhängig von ihrer Relevanz – deshalb nicht in das Handbuch aufgenommen.

Wie die Akzeptanz von Unvollständigkeit und Ungleichgewichtigkeit schon deutlich macht, wird ein massenbiographisches Handbuch grundsätzlich nie »fertig« oder »vollständig«; Teilinformationen (oft allerdings nur redundant im Hinblick auf die schon vorhandenen) oder weitere Quellen (oft allerdings mit nur geringem biographischem Gehalt) lassen sich in der Regel immer finden. Bei jeder massenbiographischen Recherche ist nach einigen Jahren ein Stand erreicht, wo die systematische Erschließung von Quellen abgeschlossen ist und nur noch höchst aufwendige Recherchen in Quellen mit geringem biographischem Gehalt weitere Informationen ergeben könnten. Ein solcher Forschungsstand markiert den Schwellenwert des Grenznutzens, wenn der hohe Rechercheaufwand in keinem Verhältnis mehr zu dem immer spärlicher werdenden Rechercheergebnis steht.

Diesen Schwellenwert hat BIOSOP zweifellos erreicht, auch wenn vielleicht nach der deutschen Einigung eine nun unbehinderte Recherche in den Archiven der neuen Bundesländer sicherlich weitere ergänzende Informationen erbringen würde. Die eindeutige Aufgabe von BIOSOP lag auf der vollständigen Erfassung aller sozialdemokratischen Reichs- und Landtagsabgeordneten von 1867 bis 1933, unabhängig davon, wie »vollständig« sich die jeweiligen Lebensläufe haben rekonstruieren lassen.

Wiedergabe von Informationen (33)(33) Vgl. BIOKAND-Handbuch, S. 64 f.

Die Informationen werden nach Möglichkeit in ihren zeitlichen und räumlichen Bezügen präzise wiedergegeben. Für alle Funktionen werden Jahresangaben (auch wenn dem Bearbeiter präzisere Datumsangaben vorgelegen haben) gemacht. Darüber hinaus erfolgt bei allen hauptamtlichen Tätigkeiten und bei sehr hohen politischen Amtern (z. B. Regierungsmitgliedschaften) – soweit entsprechende Daten vorhanden sind – eine weitere Präzisierung der Zeitangabe durch die Nennung des Monats. Diese Monatspräzisierung entfällt in der Regel für das Jahr 1933; unabhängig von dem Abschluß des formalen Entlassungsprozesses, der sich teilweise bis in das Jahr 1934 hinzog, läßt sich hier nur selten exakt der faktische Zeitpunkt der Amtsenthebung sozialdemokratischer Funktionsträger feststellen. Soweit nicht anders angegeben (z. B. für solche Fälle, die 1933 nach »normaler« Erreichung der Altersgrenze in den Ruhestand gingen), erfolgte diese faktische Amtsenthebung zwischen März und Juni 1933.

Tätigkeiten/Funktionen in der NS-Zeit wurden aus grundsätzlichen Erwägungen heraus nicht in die Normalbiographie aufgenommen. Vor allem das Fehlen bzw. die geringe Verläßlichkeit von biographischen Informationen aus dieser Zeit lassen eine objektivierbare Rekonstruktion des Lebenslaufs von 1933 bis 1945 nur selten zu. In jedem Fall müßten die biographischen Angaben zur NS-Zeit in einem wissenschaftlichen Anmerkungsapparat quellenmäßig belegt und quellenkritisch diskutiert werden; dies hätte aber bei weitem die Möglichkeiten des BlOSOP-Projekts überstiegen. Inzwischen liegen mit dem MdR-Handbuch von Martin Schumacher zumindest für die SPD-Reichstagsabgeordneten der Weimarer Republik solcherart elaborierte Teilbiographien vor. Das BIOSOP-Handbuch aber beschränkt sich auf knappe Hinweise zu zwei hinreichend objektivierbaren Bereichen: Dauer und Länder der politischen Emigration (für ausführlichere Informationen kann in vielen Fällen das Handbuch der deutschsprachigen Emigration benutzt werden) und Dauer und Orte von Inhaftierungen in Gefängnissen, Zuchthäusern und Konzentrationslagern durch das NS-Regime.

Da im Sinne der Lebenslaufforschung Zeitangaben von grundlegender Bedeutung sind, werden auch solche Zeitangaben in die Biographie aufgenommen, die wohl belegt, aber nicht hinreichend bzw. präzise gesichert sind; solche Zeitangaben werden durch eckige Klammern (z. B. [1913]) gekennzeichnet.

Angesichts des uneinheitlichen Gebrauchs werden synonyme, aber wortverschiedene Berufs-, Amts- und Organisationsbezeichnungen nicht immer im Originalwortlaut reproduziert, sondern auf eine jeweils einheitliche Bezeichnung festgelegt (z. B. »Filiale« für Zweigstelle, Zweigverein, Ortsstelle. . .; »Zimmererverband« für Zentralverband der Zimmerer und verwandten Berufsgenossen Deutschlands). Originalbezeichnungen von Periodika oder Organisationen (z. B. »Hamburger Echo«) werden – wenn notwendig – in Anführungszeichen gesetzt. Allgemein benutzt der Text weitgehend ein kontrolliertes und standardisiertes Vokabular, um die Vergleichbarkeit und Verstehbarkeit der biographischen Texte zu erhöhen. Die Informationen werden möglichst ballastfrei wiedergegeben, d. h. es wird auf die Wiedergabe von allgemeinen und redundanten Informationen, insbesondere auf die Wiedergabe eines verbalisierten Satzkontextes verzichtet. Die Informationen werden objektiv wiedergegeben; subjektive Einschätzungen und Wertungen des Handbuch-Redakteurs sind weitgehend unterblieben.

Dokumentarische Erschließung der Biographien (34)(34) Vgl. BIOKAND-Handbuch, S. 65; auch das BIOSOP-Register wurde kompatibel zum BIOKAND-Register angelegt; im BIOSOP-Register wurden nur einige Umstrukturierungen vorgenommen und die Zahl der Deskriptoren relativ verringert.

Eine hohe und vielseitige Nutzbarkeit eines biographischen Handbuchs hängt u. a. davon ab, ob ein geeignetes Register vorhanden ist, das über den Standardzugriff (den Namen) hinaus den schnellen Zugriff zu den gewünschten Informationen aufgrund inhaltskennzeichnender Sachverhaltsbeschreibungen (Indizes) erlaubt; d. h. der Benutzer muß nicht nur Antwort finden auf die Frage »wie verlief das Leben des Abgeordneten X?« , sondern auch auf die Frage »bei welchem Abgeordneten findet sich im Leben der Sachverhalt Y?«.

Die Beantwortung solcher Fragen ist die genuine Aufgabe der BIOSOP-Datenbank, die im Zentrum für Historische Sozialforschung (Köln) archiviert ist; hier steht eigens dafür eine Vielfalt von Auswahltechniken zur Informationsrückgewinnung (Retrieval) zur Verfügung. Technisch nahezu unbegrenzt sind die Möglichkeiten der inhaltlichen Kennzeichnung der jeweiligen Informationen durch sogenannte freie Deskriptoren, die vom Redakteur für jede Biographie festgelegt werden können (subjektive Indizierung). Arbeitsökonomisch sind der subjektiven Indizierung durch den Handbuch-Redakteur jedoch wegen des hohen Arbeitsaufwandes enge Grenzen gesetzt; entsprechend galt es zu entscheiden, ob neben den üblichen Ortsregistern (Geburts-, Todes- und Tätigkeitsorte), die sich teilweise auch automatisch erstellen lassen, überhaupt noch andere sachverhaltsbezogene Register für das Handbuch erstellt werden sollten. Im Sinne einer hohen Benutzerfreundlichkeit des Handbuchs wurde ein differenzierter Registerthesaurus für 7 Situs-Bereiche entwickelt.

Vor allem die Methode der mehrdimensionalen Indizierung erlaubt den Benutzern den gezielten Zugriff auf die gesuchte Information, ohne allzuviel Ballastinformationen damit gleichzeitig in Kauf nehmen zu müssen. Die (einschließlich der Ortsregister) 11 Handbuchregister erlauben unter den gegebenen Umständen eine optimale Benutzer-Recherche und garantieren eine wesentlich erhöhte Verwertungschance der Biographien durch die Handbuchbenutzer. Die Handhabung der mehrdimensionalen Register setzt allerdings voraus, daß der Benutzer vorher die Register-Einführung gelesen hat; nur auf diese Weise kann die »Logik« der Registererstellung nachvollzogen und können insbesondere die Siglen entschlüsselt werden. Der »eilige« Benutzer muß sich dagegen mit der Nutzung der eindimensionalen Register begnügen.

Erläuterungen zur »Normalbiographie« (35)(35) Vgl. BIOKAND-Handbuch, S. 65-67.

Auf der Grundlage der vorangegangenen Überlegungen wurde die BIOSOP-Normalbiographie festgelegt. Unter »Normalbiographie« soll hier eine standardisierte Form des Lebenslaufs verstanden werden, die alle relevanten Informationselemente des »durchschnittlichen« (d. h. für ein Maximum an zu biographierenden Personen zutreffenden) Lebenslaufs enthält. Zusammen mit den editorischen Grundprinzipien bestimmt die Normalbiographie in entscheidender Weise die praktische Arbeit des Biographierens, indem sie Auswahl, inhaltliche Verortung und äußere Gestaltung der einzelnen biographischen Informationselemente festlegt.

Die BIOSOP-Normalbiographie folgt grundsätzlich der BIOKAND-Normalbiographie, weist aber einige Ergänzungen bzw. Modifikationen auf. Die Darstellung der Informationen in der Normalbiographie zum Lebenslauf erfolgt grundsätzlich in chronologischer Reihenfolge, insoweit sich die Informationen überhaupt präzise zeitlich verorten lassen. Dabei werden nach einer vorgegebenen Prioritätenliste inhaltlich homogene Teil-Lebensläufe nacheinander dargestellt. Primär sollen die zu bearbeitenden Lebensläufe – soweit wie möglich – nach den relevanten Geschichtszeiträumen (Bis 1890, 1890-1918, 1918-1933, 1933-1945, Nach 1945) strukturiert dargestellt werden. Sekundär sollen diese Lebensläufe – soweit wie möglich – nach den zeitlichen und örtlichen Vorgaben der hauptamtlichen Berufstätigkeit strukturiert dargestellt werden.

BIOSOP-Normalbiographie Teil 1: Personenstandsangaben und Sozialisation

BIOSOP-Normalbiographie Teil 2: Berufliche und politische Karriere

BIOSOP-Normalbiographie Teil 3: Gesonderte Informationsleisten

d) Quellenrecherche

Systematisches Erfassen, Beschaffen und Erschließen von Quellen

Ziel dieses Arbeitsschritts war zunächst die bibliographische Erfassung relevanter publizierter amtlicher Quellen (Wahlpublikationen, Protokolle der Verhandlungen der Reichs- und Landtage, Staatshandbücher, Parlamentshandbücher, Verzeichnisse unterschiedlichster Art usw.) und nichtamtlicher publizierter Quellen (Primär- und Sekundärliteratur mit Biographien o der Listen/Verzeichnisse von Abgeordneten) sowie allgemeiner biographischer Nachschlagewerke und Sammlungen und sonstiger allgemeiner Quellen mit biographischem Gehalt. Die dabei nachgewiesenen Titel, die auch tatsächlich für die Quellenerschließung genutzt wurden, sind unten in der Handbuch-Bibliographie aufgeführt.

Die bibliographische Erfassung konnte sich zunächst auf eine Reihe von gedruckten Vorarbeiten stützen: insbesondere auf die einschlägigen Bibliographien zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung (69)(69) Periodischer Nachweis: Bibliographie zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, hrsg. v. der Bibliothek des Archivs der Sozialen Demokratie, Bonn/Bad Godesberg 1976 ff. – Abgeschlossene Bibliographien: Hans-Josef Steinberg, Die deutsche sozialistische Arbeiterbewegung bis 1914, Eine bibliographische Einführung, Frankfurt a. M. 1979; Dieter Dowe, Bibliographie zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, sozialistischen und kommunistischen Bewegung von den Anfängen bis 1863, 3. Aufl. (bearbeitet von Volker Mettig), Berlin/Bonn 1981; Klaus Tenfelde/Gerhard A. Ritter, Bibliographie zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung 1863-1914, Berlin/Bonn 1980; Kurt Klotzbach, Bibliographie zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung 1914-1945, 3. Aufl. (bearbeitet von Volker Mettig), Berlin/Bonn 1981; Klaus Günther/Kurt Thomas Schmitz, SPD, KPD/ DKP, DGB in den Westzonen und in der Bundesrepublik Deutschland 1945-1975, Eine Bibliographie, 2. Aufl. (bearbeitet von Volker Mettig), Bonn 1980., auf die wahlgeschichtlichen Arbeitsbücher im Rahmen der Beckschen „Statistischen Arbeitsbücher zur neueren deutschen Geschichte“ (70)(70) Gerhard A. Ritter (unter Mitarbeit von Merith Niehuss), Wahlgeschichtliches Arbeitsbuch, Materialien zur Statistik des Kaiserreichs 1871-1918, München 1980; Jürgen Falter, Wahlen. – Dazu zur Ergänzung: Gerhard A. Ritter/Merith Niehuss, Wahlen in der Bundesrepublik Deutschland, Bundestags- und Landtagswahlen 1946-1987, München 1987., auf die beiden umfassenden Bibliographien zu Wahlen und Parlamentaria von Martin Schumacher (71)(71) Martin Schumacher, Wahlen und Abstimmungen 1918-1933, Eine Bibliographie zur Statistik und Analyse der politischen Wahlen in der Weimarer Republik, Düsseldorf 1976; ders., Deutsche Parlamentsbücher, Bibliographie und Standortnachweis, Düsseldorf 1986. und auf die Literaturzusammenstellung zum Wahlrecht sowie den (nicht publizierten) statistischen Anhang der Studie von Eberhard Schanbacher. (72)(72) Eberhard Schanbacher, Parlamentarische Wahlen und Wahlsystem in der Weimarer Republik, Wahlgesetzgebung und Wahlreform im Reich und in den Ländern, Düsseldorf 1982; der unveröffentliche statistische Anhang der Dissertation dokumentiert (ähnlich wie Falter et al.) die Ergebnisse aller Reichs- und Landtagswahlen in der Weimarer Republik: ders., Parlamentarische Wahlen in der Weimarer Republik, Wahlgesetzgebung und Wahlentwicklung im Reich und in den Ländern, Eine historische Untersuchung mit statistischem und bibliographischem Anhang, Phil. Diss. Tübingen 1979, S. 339-510. Leider erschien ein Teil dieser Vorarbeiten erst während der Projektlaufzeit, so daß BIOSOP zunächst eine nicht unbeträchtliche Parallelarbeit leisten mußte, um eine systematische Arbeit von Beginn an zu ermöglichen. Insgesamt erwies sich die bibliographische Erfassung darüber hinausgehender Literatur als äußerst mühsam. Vor allem die zeitgenössische Literatur vor 1918 erschien in den Vorarbeiten nur lückenhaft erfaßt, man hätte z. B. mehr Literatur zu den Landtagswahlen, mehr Parlamentaria der Einzellandtage oder mehr publizierte Dokumentationen zur politischen Statistik erwarten können. Aber trotz intensiver Suche zeigte es sich, daß über die vorgenannten Arbeiten hinaus z. B. nur noch verhältnismäßig wenige einschlägige Titel mit hohem biographischen Gehalt nachzuweisen und die meisten dieser Titel im Bereich der »grauen« Literatur anzusiedeln waren. Unter diesen Umständen legte BIOSOP den Schwerpunkt der bibliographischen Erfassung auf allgemeinere Titel mit relativ geringem biographischen Gehalt und insbesondere auf die neueste Literatur.

Die Quellenlage im Hinblick auf gedruckte Quellen ist ausführlich in den beiden Bibliographien von Martin Schumacher dargelegt und braucht an dieser Stelle nicht wiederholt zu werden. (73)(73) Insbesondere: Martin Schumacher, Parlamentshandbücher, S. 13-25. Das Defizit an einschlägigen informativen gedruckten Quellen betrifft ganz besonders das Kaiserreich. Die gängigen Bücherverzeichnisse (Kayser, Heinsius, Gesamtverzeichnis des deutschsprachigen Schrifttums etc.) verzeichnen z. B. unter Stichworten wie »Landtage«, „Handbuch“, »Landtagshandbuch“, »Almanach“, »Biographien« usw. nur wenige für BIOSOP relevante Titel. Ergänzende Recherchen in regionalbezogenen Bibliographien ergaben ein ebenso spärliches Resultat. Für den Berliner Gesamtkatalog und für die Kataloge der Staatsbibliothek Berlin gelten z. B. ähnliche Erfahrungen. Hinweise auf Landtagsabgeordnete des Kaiserreichs waren noch am ehesten in den Hof- und Staatshandbüchern für die jeweiligen Länder zu finden oder allgemein in dem seit 1888 erscheinenden Staats-, Hof- und Kommunalhandbuch von Kürschner. (74)(74) Kürschner, Staatshandbücher, 1888 ff. Häufig jedoch gibt es die Staatshandbücher nur für einzelne Jahre, die Informationen über die Abgeordneten sind zudem meist minimal (ggf. Name, Vorname, Berufsbezeichnung, Wohnort, Mandat, kaum dagegen Partei- bzw. Fraktionszugehörigkeit). Während die Reichstagshandbücher mit Kurzbiographien der Abgeordneten seit 1867 publiziert wurden, bilden Landtagshandbücher nur Ausnahmen.

Zweifellos ist die Quellenlage für die Weimarer Republik wesentlich besser als die für das Kaiserreich, dies trifft ganz besonders für den Bereich der politischen Statistik zu. (75)(75) Vgl. die Übersichten bei: Martin Schumacher, Wahlen und Abstimmungen, und Jürgen Falter, Wahlen (Anhang). Dennoch sind auch in der Zeit der Weimarer Republik Landtagshandbücher, die auch biographische Informationen über die Abgeordneten, Fraktionslisten oder sogar die Kandidatenlisten enthalten, eher Ausnahmen. Relativ ausführliche und periodisch erscheinende Landtagshandbücher (76)(76) Für Einzelnachweise vgl. unten das Literaturverzeichnis. gibt es nur für Mecklenburg-Schwerin, Preußen und Bayern; weniger ausführliche und oft nur gelegentlich erscheinende Landtagshandbücher bzw. Abgeordnetenverzeichnisse mit biographischen Annotationen sind vorhanden für Hamburg, Danzig, Baden, Hessen, Württemberg und Thüringen.

Diese Handbücher konnten in der Regel relativ leicht beschafft werden, da sie entweder am Projektort Berlin vorhanden oder durch die Fernleihe in angemessener Frist beschaffbar waren. Besondere Probleme bei der Beschaffung ergaben sich vor allem bei der Literatur zu den thüringischen Kleinstaaten, zu Thüringen selbst, zu Anhalt und zu Mecklenburg-Strelitz, da entweder keine einschlägigen Titel nachweisbar waren oder die nachgewiesenen Titel erst nach mehreren Monaten im Leihverkehr mit der ehemaligen DDR beschaffbar waren bzw. nicht beschafft werden konnten. Um unter den gegebenen Umständen sicher zu gehen, daß BIOSOP keine relevanten Titel übersehen hatte, wurden die regionalbezogenen Teile der BIOSOP- Bibliographie in die damalige DDR an die für die jeweilige Region zuständige (Groß-)Bibliothek geschickt mit der Bitte um Uberprüfung und ggf. Modifikation und Ergänzung der BIOSOP-Bibliographie. Dieser Bitte kamen – im Gegensatz zur Restriktion der Staatsarchive – fast alle DDR-Bibliotheken in ausführlicher Form nach, so daß davon ausgegangen werden konnte, daß zumindest die ältere regionalspezifische Literatur für den Bereich der ehemaligen DDR (Erhebungsstand: 1984) fast vollständig erfaßt werden konnte.

Die vordringlichste Aufgabe des Arbeitsschritts bestand in der systematischen Erschließung der Parlamentsprotokolle der deutschen Landtage, um einerseits Name, Mandat und Mandatsdauer der sozialdemokratischen MdL zuverlässig feststellen zu können und um andererseits nach weiteren biographischen Angaben (Personalinformationen in den Protokollen und Drucksachen) zu forschen. Die Durchsicht von weit mehr als 1000 großformatigen Protokoll- und Drucksachenbänden der 29 Landtage ist nur am Bibliotheksstandort möglich, eine Fernleihe in diesem Umfang ist ausgeschlossen. Hier erwies sich der Projektstandort Berlin als von unschätzbarem Vorteil: Die Staatsbibliothek verfügt über einen in seiner Vollständigkeit wohl einmaligen Bestand an gedruckten bzw. vervielfältigen Verhandlungsprotokollen/Drucksachen der deutschen Landtage – allerdings existieren auch hier teilweise beträchtliche Lücken vor allem bei den Protokollen/Drucksachen der deutschen Kleinstaaten. (77)(77) Vgl. das hektographierte Gesamtverzeichnis der Staatsbibliothek Berlin(-West): Deutsche Parlamentaria, Ein Bestandsverzeichnis der bis 1945 erschienen Druckschriften, Berlin 1970.

Sieht man von den spezifischen Bestandslücken und Benutzungsrestriktionen der Staatsbibliothek ab, wurde die BIOSOP-Erschließungsarbeit der Landtagsprotokolle hauptsächlich durch folgende Faktoren erschwert:

  • Viele Landtagsprotokolle (insbesondere die der kleineren Landtage) sind dokumentarisch nicht erschlossen; oft wurde für die Einzelbände noch nicht einmal ein Inhaltsverzeichnis erstellt, darüber hinaus fehlen meist Sach-, Sprech- oder Personenregister.
  • Viele Landtagsprotokolle enthalten keine Abgeordneten- bzw. Fraktionslisten; wer Abgeordneter war, mußte oft anhand der im Protokoll erwähnten Namen (und dort ohne Vornamen und Fraktions- bzw. Parteizugehörigkeit!) mühsam und nicht immer vollständig rekonstruiert werden.
  • In vielen Landtagsprotokollen fehlen Zusammenstellungen über Ausscheiden/Neueintritt/ Fraktionswechsel von Abgeordneten; entsprechend mußte die Tagesordnung sämtlicher Parlamentssitzungen nach solchen Hinweisen durchgesehen werden.
  • In den meisten Landtagsprotokollen bis zum Ende des Kaiserreichs, aber auch teilweise noch in der Weimarer Republik fehlen generell Angaben zur Partei- und Fraktionszugehörigkeit der Abgeordneten.
  • In einer Reihe von Landtagsprotokollen fehlen bei den Abgeordnetenlisten die Angaben über Vornamen, Berufsstellung, Wohnort und Wahlkreis/Mandat des Abgeordneten.

Obwohl bei BIOSOP ständig zwei Hilfskräfte/Mitarbeiter mit der Erschließung der Parlamentaria beschäftigt waren, wäre eine komplette Durchsicht von jeweils 63 bzw. 50 Jahrgängen Parlamentsprotokolle für jeden deutschen Landtag auch mit einem Vielfachen an Personal in der vorgegebenen Projektlaufzeit nicht möglich gewesen. Eingedenk der nur beschränkt verfügbaren Ressourcen von BIOSOP galt es Prioritäten zu setzen, die die Bearbeitung der Protokolle in einem hinreichenden Umfang und mit einem vertretbaren Aufwand erlaubte:

  • In der Weimarer Republik war die SPD in allen Landtagen, in allen Wahlperioden und meist quantitativ erheblich vertreten, insgesamt 1 876 Abgeordnete übten in dieser Phase ein Mandat aus; von daher wurden in der Regel alle Landtagsprotokolle systematisch ausgewertet.
  • Im Kaiserreich dagegen war die SPD in vielen Landtagen erst spät, in manchen Landtagen überhaupt nicht und zumindest in allen Landtagen relativ gering vertreten; nur insgesamt 378 Abgeordnete übten in dieser Phase ein Mandat aus. Nur die Landtagsprotokolle der größeren Länder wurden daher für die Zeit des Kaiserreichs systematisch erschlossen. Für alle übrigen Landtage galt ein modifiziertes Erschließungsverfahren: die wenigen MdL dieser Landtage wurden zunächst anhand anderer allgemeiner Quellen (z. B. Kürschners Staatshandbuch, Parteipublikationen) zumindest nominell festgestellt; die Parlamentsprotokolle wurden dann im Hinblick auf weitere Informationen (z. B. Mandatsdauer, Berufsbezeichnung) gezielt für den einzelnen Abgeordneten überprüft, die aufwendige Gesamtdurchsicht konnte dadurch entfallen.
  • Bei allen Landtagen, für die ein gedrucktes/ungedrucktes Gesamtverzeichnis der MdL (Baden, Coburg, Hamburg, Hessen, Oldenburg, Schaumburg-Lippe, Waldeck und Württemberg) oder ein Teilverzeichnis für 1919-1933 (Bremen, Lippe) vorlag, wurde ebenfalls auf eine vollständige Durchsicht der Protokolle verzichtet. Hier wurden nur Stichproben im Hinblick auf die Zuverlässigkeit der Verzeichnisse gemacht; eventuell feststellbare Unstimmigkeiten wurden geklärt bzw. dahingehend überprüft, ob es sich möglicherweise um einen ( folgenreichen) systematischen Fehler handelt.

Die Reichstagsprotokolle wurden ebenfalls systematisch und vollständig ausgewertet, obgleich mit der Dokumentation von Specht/Schwabe und insbesondere mit dem Handbuch von Max Schwarz ein Teil- bzw. ein Gesamtverzeichnis aller Reichstagsabgeordneten vorlag. (78)(78) Fritz Specht/Paul Schwabe, Die Reichstagswahlen von 1867-1907, Eine Statistik der Reichstagswahlen nebst den Programmen der Parteien und einem Verzeichnis der gewählten Abgeordneten, 3.Aufl., Berlin 1908; Max Schwarz, MdR, Biographisches Handbuch der Reichstage, Hannover 1965. Die Ergebnisse der Protokolldurchsicht wurden mit den Angaben bei Max Schwarz verglichen, dabei konnten zahlreiche kleine, aber auch einige schwerwiegende Fehler bei Max Schwarz nachgewiesen werden.

Die zweite Hauptaufgabe des Arbeitsschritts bestand in der systematischen Erschließung der in der BIOSOP-Bibliographie aufgeführten Quellen. Diese Erschließung führte einerseits zum Aufbau des BIOSOP-Archivs: die Quellen wurden nach relevanten Informationen durchgesehen, ggf. ganz oder teilweise kopiert und in die jeweilige Abteilung des BIOSOP-Archivs einsortiert. Das BIOSOP-Archiv hat einen beachtlichen Umfang angenommen und umfaßte bei Projektende:

  • BIOSOP-Hauptsammlung:
    Die Hauptsammlung speichert die 2 427 Personendossiers der sozialdemokratischen Reichs- und Landtagsabgeordneten. Die Dossiers enthalten in Kopie- und Notizform alle bislang verfügbaren biographischen Informationen über den jeweiligen Abgeordneten. Durch die kompakte Verfügbarkeit der Quellen (»Quellen-Nähe«, »Quellen-Unmittelbarkeit«) ließ sich relativ leicht und unter Beachtung quellenkritischer (insbesondere quellenvergleichender) Vorgaben die erwünschte Kurzbiographie herstellen. Kamen nach redaktioneller Bearbeitung und EDV-Speicherung der Kurzbiographie neue (möglicherweise widersprüchliche) Quellen hinzu, ließen sich unter diesen Umständen die neuen Quellen angemessen im Kontext aller verfügbaren Quellen und nicht nur im Vergleich mit der erstellten Biographie, die in der Regel schon das Produkt biographischer Entscheidungen darstellt, integrieren.
  • BIOSOP-Regionalsammlung:
    Die Regionalsammlung speichert die Kopien regionalspezifischer Quellen zu den einzelnen Länderparlamenten (biographische Handbücher, Ausschnitte aus Parlamentsprotokollen, Fraktions- und Kandidatenlisten, Wahlstatistik, wissenschaftliche Literatur zur Parlamentsgeschichte und zur Geschichte der sozialdemokratischen Partei usw.).

Andererseits führte die systematische Erschließung der gedruckten Quellen zur Erstellung der umfangreichen BIOSOP-Kartothek. Die darin enthaltenen Karteien dienten als entscheidende Grundlage für die Erfassung »formaler« Funktionen der Parlamentarier in den dafür vorgesehenen Informationssegmenten und allgemein als schier unerschöpfliche Hilfs- und Fundkarteien zum Auffinden weiterführender Hin- und Verweise bei der biographischen Recherche. Ergänzt wurde die BIOSOP-Kartothek durch die Integration weiterer Großkarteien aus dem BIOKAND-Forschungsprojekt. Leider stand zur Datenerfassung in der Kernphase des Projekts (1983-1986) keine Personalcomputer-Anlage zur Verfügung; nur zwei Spezialkarteien wurden (relativ aufwendig) auf dem Großrechner in eine maschinenlesbare Form transformiert. Die BIOSOP-Kartothek umfaßt folgende Karteien:

Die Informationsdichte und -qualität der einzelnen Karteien hängen unmittelbar von der Qualität und Kontinuität der zur Auswertung herangezogenen Quelle ab: so fehlen z. B. bei den Parteitagsprotokollen oder bei der amtlichen Statistik teilweise die Vornamen oder die Wohnorte der Delegierten bzw. Kandidaten, so daß die einzelnen Angaben in der Kartei stets durch weitere Quellen bestätigt bzw. ergänzt werden müssen.

Alle relevanten archivalischen Quellen mit hohem oder vermutet hohem biographischen Gehalt wurden erfaßt und in einer Quellenkartei dokumentiert. Diese Erfassung erfolgte – wie üblich – anhand der systematischen Durchsicht verfügbarer archivalischer Findbücher bzw. Spezialinventare und/oder durch postalische Anfragen bei den Archiven. Es kann nicht Aufgabe eines biographischen Handbuchs sein, die äußerst umfangreichen archivalischen Bestände insbesondere zum Personenstandswesen (Kirchenbücher, Standesamts- und Melderegister), zum Gerichts- und Polizeiwesen sowie zum Regierungs-, Verwaltungs- und Vereinswesen (vor allem Berichte der Landräte, Akten/Materialien zu den Reichs- und Landtagstagswahlen) zu dokumentieren. Dies gilt um so mehr, als nicht nur zahlreiche allgemeine Findbücher/Bestandsaufnahmen der deutschen Staatsarchive und vieler deutscher Stadtarchive verfügbar sind, sondern sowohl für die Staatsarchive der ehemaligen DDR als auch für viele BRD-Staats- und Stadtarchive einschlägige Spezialinventare vorhanden sind.

Nach Abschluß der Erfassungsarbeiten wurde jeweils festgelegt, welche archivalischen Bestände sich für die systematische Erschließung lohnten und welche nur punktuell benutzt werden sollten. Systematisches Erschließen bedeutet auch hier, daß die jeweiligen archivalischen Quellenbestände vollständig nach biographischem Material durchgesehen wurden. Angesichts des hohen Kosten- und Arbeitsaufwands für Archivstudien wurden bei der Auswahl strenge Relevanz- und Effizienzkriterien angelegt. Systematische Erschließungsarbeiten erfolgten daher vorrangig in den staatlichen Archiven, die u. a. über einen einschlägigen Bestand zur Geschichte des jeweiligen Landtages verfügen: so im Staatsarchiv Bremen, Staatsarchiv Hamburg, Generallandesarchiv Karlsruhe, Hauptstaatsarchiv München und Staatsarchiv Wolfenbüttel.

Die meisten anderen staatlichen Archive wurden nur punktuell (d. h. in der Regel durch schriftliche Befragung) erschlossen. Eine Benutzererlaubnis für die staatlichen Archive der DDR wurde vor der »Wende« nicht erteilt; da die Projektrecherche (einschließlich von umfänglichen Mahnaktionen) spätestens im Frühjahr 1989 abgeschlossen war, konnte die Öffnung der DDR-Archive für Recherchen vor Ort nicht genutzt werden, nur eine Reihe von früheren Anfragen aus den Jahren 1987 und 1988 wurde nun bearbeitet und beantwortet. Die fehlende systematische Erschließung der in den ehemaligen DDR-Archiven lagernden Quellen ist primär für die Informationsdefizite bei einer Reihe von Kurzbiographien von Reichs- und Landtagsabgeordneten aus Brandenburg, (Provinz und Königreich) Sachsen, Thüringen, Mecklenburg und Anhalt verantwortlich. Dieses Defizit konnte nur teilweise durch die Erschließung anderer verfügbarer (Ersatz-)Quellen und durch die wachsende Bereitschaft von DDR-Archiven/Behörden, schriftliche Anfragen im beschränkten Rahmen (und oft nur gegen Entgelt) zu bearbeiten und zu beantworten, ausgeglichen werden. Städtische Archive wurden generell nur punktuell erschlossen; Ausnahmen bildeten hier insbesondere die größeren Stadtarchive, insbesondere Stadtarchive wie z. B. Braunschweig und Lübeck, wo früher ein Landtag bzw. eine Bürgerschaft angesiedelt war. Der umfangreiche Bestand »Personalia« des Archivs für Soziale Demokratie wurde systematisch ausgewertet, enthält aber schwerpunktmäßig relevante und zahlreiche biographische Informationen nur für die Zeit der Bundesrepublik. (94)(94) Das Archiv für soziale Demokratie verfügt inzwischen über einen umfangreichen Bestand an Nachlassen von sozialdemokratischen Politikern. Grundstock für den Bestand »Personalia« bildet dagegen hauptsächlich das Zeitschriftenausschnittsarchiv der ehemaligen sozialdemokratischen Berliner Tageszeitung »Telegraf«, die u. a. von Paul Lobe mitherausgegeben wurde und die ihr Erscheinen Anfang der 1970er Jahre einstellte. Dieser Grundstock ist inzwischen durch zahlreiche weitere personenbezogene Quellen ergänzt worden.

Punktuelles Erschließen von Quellen

Punktuelles Erschließen von publizierten Quellen bedeutete, daß aufgrund bestimmter biographischer Vorinformationen/Hinweise die jeweilige Quelle nicht vollständig, sondern nur ausschnittsweise und gezielt nach biographischem Material durchgesehen wurde. Dies betraf vor allem zahlreiche Massenquellen: z. B. bei Kenntnis des exakten Todesdatums eines Abgeordneten wurden die in Frage kommenden Ausgaben der (regional) zuständigen Zeitung im Hinblick auf einen eventuell vorhandenen Nachruf überprüft. Das punktuelle Erschließungsverfahren galt grundsätzlich für alle publizierten Quellen mit geringem biographischen Gehalt.

Punktuelle Erschließung von archivalischen Quellen bedeutete, daß aufgrund bestimmter biographischer Vorinformationen/Hinweise (z. B. Kenntnis von Geburtsort und Geburtsdatum bzw. des Tätigkeitsortes) bei Archiven, Standesämtern, Meldebehörden, arbeitgebenden Einrichtungen (z. B. Allgemeine Ortskrankenkassen, Genossenschaften, Gewerkschaftsverbände) usw. gezielt nach biographischen Informationen postalisch angefragt wurde. Dieses Erschließungsverfahren galt grundsätzlich für alle archivalischen bzw. nicht-publizierten Quellenbestände, die entweder aufgrund ihres geringen biographischen Gehalts für eine systematische Recherche ausfielen oder auf die – wie z. B. auf die personenbezogenen Quellen von Standes- und Meldeämtern – nicht unmittelbar zugegriffen werden konnte. Bei jeder punktuellen Anfrage wurde routinemäßig auch um den Nachweis von Nachkommen der Abgeordneten gebeten.

Die punktuelle Anfrage bei Nachkommen setzt einerseits voraus, daß überhaupt Nachkommen vorhanden und diese noch am Leben sind, und andererseits, daß die Nachkommen auch zur Auskunft bereit sind bzw. daß sie überhaupt über biographische Informationen zum Lebenslauf des Vaters, Großvaters, Onkels etc. verfügen. Der systematische Nachweis und das Befragen von Nachkommen sind äußerst arbeits- und kostenintensive Recherchemethoden; im Rahmen des BlOSOP-Projekts wurden daher Nachkommen nur dann befragt, wenn nach der Auswertung aller anderen Quellen relevante biographische Informationen immer noch fehlten oder wenn – als Nebenprodukt der punktuellen Erschließung von archivalischen Quellen – bei Anfragen konkrete Hinweise auf noch lebende Nachkommen gegeben wurden. Diese Nachkommensbefragung erfolgte in der Regel auf postalischem Weg anhand eines teilstandardisierten Fragebogens, nur in besonderen Ausnahmefällen wurde auch eine ergänzende mündliche Befragung durchgeführt. Der wissenschaftliche Ertrag der Nachkommensbefragung hielt sich in recht engen Grenzen, insbesondere war erwartungsgemäß die Memorierbarkeit von Ereignissen/Tatsachen, die teilweise viele Jahrzehnte zurücklagen, nur eingeschränkt und selten exakt möglich; hier hätten Unterlagen/Materialien aus früherer Zeit hilfreiche Gedächtnisstützen bieten können, aber auch (oder gerade) im Privatbereich sind vor allem in der NS-Zeit (aus Angst vor Verfolgung) weit überwiegend die Quellen, die für die Rekonstruktion der jeweiligen Lebensläufe ergiebig hätten sein können, prophylaktisch von den Betroffenen selbst oder durch Fremdeinwirkung (Polizei, Bombardierung etc.) vernichtet worden. (95)(95) Vgl. BIOKAND-Handbuch, S. 49-50 und 59.

Plangemäß wurde das punktuelle Erschließen von Quellen in Form von schriftlichen Befragungen im Frühjahr 1989 abgeschlossen. Die BIOSOP-Anfragestatistik wies bei Abschluß folgenden Stand auf: auf ca. 6200 Anfragen (ca. 1400 Mahnungen wurden verschickt) kamen insgesamt ca. 4 600 Antworten, d. h. die Rücklaufquote betrug knapp 75% – ein vergleichsweise gutes Ergebnis. Die Rücklaufquote wurde wesentlich durch zwei Befragungsbereiche beeinträchtigt: sowohl Anfragen an Behörden der DDR als auch Anfragen im Rahmen der Telefonbuchrecherchen wurden bestenfalls in einem Viertel der Fälle beantwortet; läßt man diese beiden Anfragebereiche unberücksichtigt, ergibt sich eine Rücklaufquote von mehr als 90%. Eine hohe Rücklaufquote ist um so wichtiger, als jedes massenbiographische Handbuch wesentlich auf Umfrageantworten als einer der Hauptquellen biographischer Forschung angewiesen ist. Wie aber u. a. aus der Befragungstechnik der empirischen Sozialforschung bekannt, wirft die wissenschaftliche Nutzung von Umfrageantworten bzw. -daten nicht nur eine Reihe von methodischen, sondern insbesondere auch von quellenkundlichen Problemen auf. Der folgende Versuch einer Antworttypologie am Beispiel der BIOSOP-Umfrage soll exemplarisch diese Probleme veranschaulichen.

Bezogen auf die Art des Inhalts/Informationsgehalts, lassen sich u. a. folgende Antworttypen unterscheiden:

  • Antworten mit (kurzem) Negativbescheid (Grund: unzutreffende Anfrage, keine Informationen, keine Zeit …);
  • Antworten mit der Angabe biographischer Standardinformationen (in der Regel Daten aus den Meldeamts-und Standesamtsunterlagen);
  • Antworten mit Informationen über diesen biographischen Standard hinaus (Daten aus anderen Quellen, Daten aufgrund der Befragung älterer Mitbürger/Nachkommen . . .);
  • Antworten ohne elaborierten Lebenslauf, aber mit (teils umfänglichen) Quellenbeilagen;
  • Antworten mit mehr oder weniger vollständigen, systematisch und arbeitsaufwendig bearbeiteten Lebensläufen.

Bezogen auf die Erwartungshaltung des Antwortenden, lassen sich u. a. folgende Antworttypen unterscheiden:

  • Antworten mit der Bitte um Informations- und Quellentausch (bezogen auf die Biographie von Abgeordneten, aber auch auf Biographien anderer Personen, die nicht als Abgeordnete fungiert hatten);
  • Antworten mit der Bitte um Nennung des Antwortgebers als Informanten bzw. als Quellennachweis beim späteren Handbuchdruck;
  • Antworten mit der Bitte um Übersendung eines (kostenlosen) Belegexemplars des ganzen Handbuchs bzw. einer Belegkopie der jeweils durch den Antwortgeber mitgetragenen Biographie;
  • Antworten mit der Bitte um Benachrichtigung, wann und wo das Handbuch erscheinen und käuflich zu erwerben sein wird, bzw. mit der Bitte, den betreffenden Schreiber in eine Subskriptionsliste aufzunehmen:
  • Antworten mit der Bitte oder mit der Forderung, für die angefallenen Recherchearbeiten dem Antwortgeber Kostengebühren zu erstatten.

Bezogen auf die Erhebungsquantität und -qualität der Antwortenden lassen sich u. a. folgende Antworttypen vermuten:

  • Antworten mit optimaler Erhebungsqualität und -quantität (alle relevanten Quellen werden unter wissenschaftlichen Kriterien gesichtet, ausgewertet und mitgeteilt);
  • Antworten mit geringer Erhebungsquantität (nur ein Teil der relevanten Quellen wird – meist aus Zeitmangel – gesichtet und ausgewertet; die Informationsangaben sind demnach von vorneherein lückenhaft bzw. beruhen auf der Auswertung lückenhafter Daten);
  • Antworten mit geringer Erhebungsqualität (die verfügbaren Quellen werden wohl gesichtet, aber nur unzureichend – aus welchen Gründen auch immer – ausgewertet; die Informationsangaben sind demnach von vorneherein fehlerhaft bzw. beruhen auf fehlerhaft ausgewählten und/oder ausgewerteten Daten);
  • Antworten ohne Erhebungsqualität und -quantität (entweder sind Quellen/Informationen nicht verfügbar oder – aus welchen Gründen auch immer – werden vorhandene Quellen/ Informationen nicht ausgewertet; dieses Informationsdefizit hat oft gravierende Folgen für den weiteren Verlauf der personenbezogenen Recherche).

Nicht immer entsprechen die Antworten »idealtypisch« einem der vorgenannten Antworttypen, sondern oft liegt eine Gemengelage von Antworttypen vor. Zweifellos erfordert die wissenschaftliche Nutzung der unterschiedlichen Antworttypen bei der Erstellung der Handbuchbiographien ein Höchstmaß an quellenkritischer Vorgehensweise.

Abschließend sei noch angemerkt (worauf schon bei der punktuellen Erschließung von Periodika hingewiesen worden ist), daß sich hier – wie bei der systematischen und punktuellen Erschließung von Quellen überhaupt – die Wirksamkeit des sogenannten »Matthäus-Effekts« (so in Anlehnung an Bibel und an Wissenschaftssoziologie) (96)(96) Zum »Matthäus-Effekt« in der Wissenschaftssoziologie vgl. u. a. Robert K. Merton, The Matthew Effect in Science, in: Science 159 (1968), S. 56-63. beobachten ließ. Bei Matthäus 25, Vers 29 heißt es: »Denn jedem, der hat, wird gegeben, und er wird im Überfluß haben; wer aber nicht hat, dem wird auch, was er zu haben scheint, genommen werden.« Auf die BIO-SOP-Umfrage übertragen, bedeutete das: Zu Abgeordneten, über deren Lebenslauf BIOSOP schon vorher relativ viel Material sammeln konnte („Die Reichen“), erhielt man durch die Umfrageantworten meist weiteres (umfängliches) Material („Die Reichen werden reicher“); zu Abgeordneten, über deren Lebenslauf BIOSOP vorher wenig oder gar kein Material sammeln konnte („Die Armen“), erhielt man auch durch die Umfrageantworten meist nur wenig oder gar kein Material, so daß im schlimmsten Fall selbst die wenigen Informationen, die man hatte, sich noch nicht einmal bestätigen ließen und man daher auf wahrscheinliche Schätzungen angewiesen blieb oder auf Angabe von Informationen überhaupt verzichten mußte („Die Armen werden ärmer oder bleiben arm“).

Biographische Recherchen in dem Ausmaß, wie sie von BIOSOP betrieben worden sind, erfordern notwendig die Unterstützung zahlreicher »stiller« Mitarbeiter an allen Orten der Recherche, so von Archivaren, Behördenangestellten und Privatleuten unterschiedlichster Art. Im Sinne einer optimalen Kosten-Nutzen-Relation bei massenbiographischen Recherchen wäre folgendes Verfahren wünschenswert:

  • Eine mit relativ wenig Arbeitsaufwand erstellte standardisierte Anfrage erreicht den richtigen Empfänger; der Empfänger weiß, welche Informationen von ihm erwartet werden, beantwortet die Anfrage nach bestem Wissen und Gewissen so vollständig wie möglich und schickt möglichst schnell die Antwort an BIOSOP; die Bearbeitung der Anfrage kann erneut mit relativ geringem Arbeitsaufwand standardisiert erfolgen, Rückfragen, Validitätsüberprüfungen etc. sind nicht notwendig. Diesen Befragungsablauf kann man als »professionelle« Variante charakterisieren, er ist typisch für die Befragung von hauptamtlich verwalteten Archiven und Behörden.

Diese Variante ist – zumindest auf den ersten Blick – »kostengünstig« angelegt; dementsprechend (aber z. B. auch aus Gründen hoher Informationsvalidität) wurde dieser Variante absolute Priorität bei der schriftlichen Befragung eingeräumt. Die oft einseitige Rolle als Informationsgeber, ohne dafür eine adäquate Gegenleistung vom Informationsnehmer (BIOSOP) zu erhalten, entspricht durchaus dem Rollenverständis der weit überwiegenden Mehrheit der beteiligten Archivare und Behördenangestellten, die die Informationsvermittlung als (kostenfreie) Dienstleistung für die historische Forschung begreifen und sich damit durchaus im Einklang mit ihren einschlägigen dienstlichen Vorschriften befinden. Für eine Minderheit allerdings schien diese Form der Dienstleistung nicht selbstverständlich, diese erbat oder forderte bestimmte Gegenleistungen, die sofort oder später von BIOSOP zu erbringen seien, u. a.:

  • Direkte Bezahlung der erbrachten Leistung (typisch für viele DDR-Archive, gelegentlich auch bei Pfarrämtern und ähnlichen Einrichtungen);
  • Indirekte Bezahlung der erbrachten Leistung, z. B. durch die Bitte oder Aufforderung, »unaufgefordert« bei Erscheinen des gedruckten Handbuchs ein kostenloses Belegexemplar zu schicken (typisch für größere, häufiger befragte Archive, weniger für kleinere Archive);
  • Gegenanfragen und Informationstausch (typisch z. B. für historisch interessierte Verwaltungen kleinerer Kommunen). Diese »professionelle« Befragungsvariante ist – auf den zweiten Blick – bei einer Minderheit der Befragten mit teilweise erheblichen Folgekosten verbunden. Diese Folgekosten sollten daher vorher in der Projektplanung berücksichtigt werden.

Bei allen anderen Befragungsvarianten sind eine ganze Reihe von restriktiven Faktoren wirksam, die die Befragung beeinträchtigen, verzögern, verhindern etc., so daß sich die Kosten-Nutzen-Relation entsprechend verschlechtert. An solchen restriktiven Faktoren könnte man u. a. nennen:

  • Eine Anfrage erreicht nicht den Adressaten (z. B. bei Verwendung überholter oder unrichtiger Adressen, so daß die Rückmeldung erfolgt »Adressat verzogen“, »Adressat verstorben“, »Adressat unbekannt« . . .); dieser Fall tritt häufig bei Telefonbuch- und Heimatortskarteienrecherchen auf, aber auch bei Verwendung amtlicher Adressenangaben.
  • Eine Anfrage erreicht nicht unmittelbar den Adressaten (z. B. bei pauschaler Adressierung an Behörden); hier sind oft zumindest Verzögerungen, nicht selten aber auch »Totalverluste« (keiner fühlt sich zuständig oder die Anfrage gerät in die falsche Geschäftsverteilung und »versickert«) zu befürchten.
  • Der Befragte ist nicht auskunftsbereit (Beantwortung zu lästig, Befragungen werden grundsätzlich abgelehnt, Antwort aus Gründen des Schutzes personenbezogener Daten verweigert, keine Information verfügbar . . .); in diesem Fall unterbleibt meistens eine Rückmeldung des Befragten, so daß der Befragte einige Zeit später im Rahmen der BIOSOP-Mahnaktion unnötigerweise eine erneute Anfrage erhält, die dann ebenfalls ohne Antwort bleibt bzw. nun explizit abschlägig beschieden wird.
  • Der Befragte ist auskunftsbereit, hat aber Probleme mit der Beantwortung (Fragenkatalog wird nicht verstanden oder mißverstanden, Informations- und Quellendefizite, für die Beantwortung im Augenblick keine Zeit. . .); in diesem Fall müssen von BIOSOP »zusätzliche« Aufwendungen für schriftliche und/oder fernmündliche und/oder mündliche Kommunikation mit dem Befragten geleistet werden.
  • Der Befragte ist »kontaktfreudig« (persönliches Interesse an der Projektarbeit, »Wichtigtuerei«, »geselliges Wesen« . . .); diese »Kontaktfreudigkeit« äußerte sich meist in Form von längeren und wiederholten Telefonaten, die – im Sinne einer effizienten Projektarbeit! – »oft störend« wirkten und manchmal auch zum Alptraum gerieten, wenn sich die »Geister«, die man gerufen hatte, nicht mehr abschütteln ließen.

Diese Beispiele mögen verdeutlichen, wie wenig sich der zu erwartende Aufwand für solche »Imponderabilien« massenbiographischer Recherche vorher exakt in Mann/Monate berechnen läßt.

Für die weit überwiegende Mehrheit der befragten Nachkommen galt ein ähnliches Rollenverständnis, wie es oben bei der »professionellen« Variante beschrieben worden ist. Die Informationsvermittlung wurde als (kostenfreie) Dienstleistung für die historische Forschung begriffen; vor allem der Stolz, einen (»unseren«) Parlamentarier »in der Familie zu haben«, und die Verpflichtung gegenüber dem Andenken des Vaters, Bruders, Onkels etc. begründen die gern erfüllte Auskunftsleistung. Aber auch bei den Nachkommen gab es eine Minderheit, die für ihre Leistung ein »Honorar« – in der Regel den kostenfreien Bezug des BIOSOP-Handbuchs – erwarteten und/oder forderten.

Viel stärker, als es noch bei BIOSOP geschehen konnte, müssen in Zukunft schon bei der Projektplanung die während der Projektlaufzeit entstehenden »Verpflichtungen« und die noch innerhalb der Projektlaufzeit zu leistenden »Entpflichtungsmaßnahmen« berücksichtigt werden. Es wäre sicherlich nicht im Sinne künftiger biographischer Forschung, wenn künftige Forschungsprojekte sich auf den Standpunkt stellten, daß nach Ende der Förderungsdauer bzw. nach formalem Abschluß des jeweilgen Projektes auch alle direkt oder indirekt während der Projektlaufzeit entstandenen »Verpflichtungen« hinfällig geworden seien. Zur »ordentlichen« Abwicklung des Projekts sollte in jedem Fall gehören:

  • das Feststellen von manifest gewordenen und begründeten »Verpflichtungen«,
  • die Festlegung eines Katalogs von angemessenen, aber auch machbaren „Entpflichtungs“-Maßnahmen und
  • die Durchführung von notwendigen »Entpflichtungs«-Maßnahmen. An »Entpflichtungsmaßnahmen« kämen grundsätzlich in Betracht:
  • Kostenfreie Lieferung des gedruckten BIOSOP-Handbuchs nach Erscheinen,
  • Informationsabgleich für die angefragten Parlamentarierbiographien und
  • Vermittlung von Informationen über andere Personen.

Alle diese »Entpflichtungsmaßnahmen« setzen aber voraus, daß ein Projekt zu ihrer Durchführung über ausreichende materielle und personelle Ressourcen verfügt. Als »Nebentätigkeit« im laufenden Projekt kann diese »Entpflichtung« nur ausnahmsweise (bei besonders massivem Druck der fordernden Informanten) geleistet werden.

„In die Pflicht genommen“, wurde BIOSOP allerdings nicht nur durch seine unmittelbaren Informanten bzw. »stillen Mitarbeiter«, sondern auch durch biographische Anfragen an BIOSOP von Archiven, wissenschaftlichen und politischen Institutionen, Einzelforschern, Laienhistorikern bis hin zu Familienforschern. Seit BIOSOP durch Publikationen und Vorträge einer breiten Öffentlichkeit bekannt geworden war, hatte sich die Zahl solcher Anfragen ständig gesteigert. Schon aus arbeitsökonomischen Gründen mußte die BIOSOP-Redaktion prinzipiell die Bearbeitung an sie gerichteter Anfragen ablehnen, insoweit sie Personen betrafen, die nicht zur BIOSOP-Grundgesamtheit gehörten. Allerdings gab es auch hier eine Reihe von gravierenden Ausnahmen; die wohl spektakulärste Ausnahme bildete 1985 eine vorläufige Bestandsaufnahme und Dokumentation über »Die Reichstagsabgeordneten der Weimarer Republik als Opfer des Nationalsozialismus«, die im wesentlichen aus Beständen des Privatarchivs Schröder erarbeitet wurde und die in der Öffentlichkeit durch Presse, Rundfunk und Fernsehen weitestgehende Beachtung und Anerkennung fand. (97)(97) Vgl. Wilhelm Heinz Schröder/Rüdiger Hachtmann, Die Reichstagsabgeordneten der Weimarer Republik als Opfer des Nationalsozialismus, Vorläufige Bestandsaufnahme und biographische Dokumentation, in: Historical Social Research/Historische Sozialforschung 36 (1985), S. 55-98. Ausnahmen wurden hier vor allem im schon oben beschriebenen Informationstausch mit »Informanten« gemacht.

Die Ablehnung der Bearbeitung von Anfragen, die den BlOSOP-Personenkreis betrafen, war dagegen problematisch. In der Regel wurden alle Anfragen bearbeitet, die einen Informationsgewinn für BIOSOP bzw. einen Informationsabgleich erwarten ließen; hier fand teilweise ein für beide Teile höchst nützlicher Informationstausch (meist mit Doktoranden/Examenskandidaten) statt. Ebenso wurden berechtigte kleinere Anfragen nach Einzelpersonen nach Möglichkeit bearbeitet. Größere Anfragen nach mehreren Personen (gelegentlich nach mehr als einhundert Personen!) wurden dagegen in der Regel nicht bearbeitet. Aber selbst das Nichtbearbeiten einer Anfrage war aufwendig, d. h. es mußte zumindest ein Antwortschreiben verfaßt oder ein entsprechendes Telefonat geführt werden, um die Nichtbearbeitung kurz zu begründen.

Es ist sicherlich eine der wichtigen Schlußfolgerungen, die man aus der BlOSOP-Projektarbeit ziehen muß: so nützlich die allgemeine Popularität eines Forschungsprojektes für die biographische Recherche und wissenschaftliche Reputation auch ist, so belastend sind auch die Neben- und Spätfolgen einer solchen Popularität. Diese in ihrem Ausmaß vorher unwägbaren Folgewirkungen sind – dies kann man nun in der Retrospektive feststellen – bei der ursprünglichen Kalkulation der Projektressourcen unterschätzt worden, sie haben spürbar mehr Projektkapazität beansprucht als vorgesehen war. Bei der Projektplanung müßte der Arbeitsfaktor »Dienstleistung« und »Öffentlichkeitsarbeit« stärker berücksichtigt werden. Daher sollte bei künftigen biographischen Groß-Projekten explizit von Beginn an ein bestimmtes Arbeitskontingent für derartige »Dienstleistungen« vorgesehen werden.

Bewertung des Recherchestands

Die Qualität eines biographischen Handbuchs hängt zunächst wesentlich von dem erreichten Informationsstand beim redaktionellen Erstellen der Biographien ab; entsprechend wurde der individualbiographischen Recherche innerhalb der BlOSOP-Projektarbeit höchste Priorität eingeräumt. Diese Prioritätensetzung galt jedoch nur bedingt: solange in der individualbiographischen Recherche nicht ein Informationsstand erreicht wurde, der zumindest die Anforderungen des »biographischen Standards« erfüllte, solange wurde der fallweisen biographischen Recherche – zumindest prinzipiell – höchste Priorität gewährt.

Die Frage nach dem Grenznutzen von individualbiographischer Recherche stellte sich erst dann:

  • wenn trotz durchschnittlichem Rechercheaufwand kein ausreichender Informationsstand erreicht werden konnte, der den »biographischen Standard« gewährleistete,
  • wenn wohl ein ausreichender Informationsstand erreicht werden konnte, aber die besondere Relevanz der zu biographierenden Person einen adäquat guten Informationsstand erforderlich machte.
    Abhängig von zugemessener Relevanz, erreichtem Informationsstand, verfügbaren Arbeitsressourcen und vorhandenen Recherchemöglichkeiten fand die Frage nach dem Grenznutzen recht unterschiedliche Antworten.

Der allgemeine biographische Informationsstand läßt sich nur schwer in meßbare Größen fassen, um den »Erfolg« der biographischen Recherche angemessen beurteilen zu können. Die langjährigen Projekterfahrungen haben aber erwiesen, daß die durchschnittliche Datendichte der Geburts- und Sterbedaten zweifellos den bewährtesten und verläßlichsten Indikator des allgemeinen Informations- und Recherchestands darstellt. Die Kenntnis der Geburts- und Sterbedaten der Parlamentarier ist gleichermaßen für die biographische Recherche und für eine kollektive Biographie wichtig, da sie den gezielten Zugriff erlauben auf alle Quellen, die in irgendeiner Form Personenstandsdaten enthalten, und sie Grundvorausetzungen bilden für zentrale Fragestellungen der Lebenslaufforschung. Für alle 2 427 Fälle beträgt die spezifische Datendichte für das Geburtsjahr 93,9%, für den Geburtsort 92,7%, für das Todesjahr 80,5% und für den Todesort 79,5%, d. h. die durchschnittliche Datendichte beträgt 86,7%. Gemessen an dem Indikator »Durchschnittliche Datendichte«, können die durchgeführten BIOSOP-Recherchen als außergewöhnlich erfolgreich bezeichnet werden. Die ursprünglich bei Projektbeginn optimistisch geschätzten Erwartungswerte gingen von einer durchschnittlichen biographischen Datendichte bei Projektende in Höhe von ca. 75% – 80% aus, d. h. selbst diese hohen Erwartungswerte konnten tatsächlich noch um 6% – 11% übertroffen werden. Die Erwartungswerte wurden im Hinblick auf die Biographien der insgesamt 177 Parlamentarierinnen noch deutlicher übertroffen: mit einer durchschnittlichen Datendichte von 83,7% konnte – trotz der üblichen erschwerten Recherchesituation bei Lebensläufen von Frauen – fast (- 3,0%) der allgemeine Durchschnitt erreicht werden. (98)(98) Die Arbeit von Christi Wickert (Unsere Erwählten, Sozialdemokratische Frauen im Deutschen Reichstag und im Preußischen Landtag 1919-1933, 2 Bde., Göttingen 1986) enthält einen biographischen Anhang (Bd. 2, S. 152-189) mit den Kurzbiographien von 73 sozialdemokratischen Parlamentarierinnen (es fehlen allerdings einige nachgerückte Abgeordnete); Wickert beschreibt ausführlich die frauenspezifische Quellenlage und stellt fest: daß die »Informationen über die einzelnen Lebensabschnitte . . . von unterschiedlicher Dichte und Tragfähigkeit bzw. Genauigkeit« seien (Bd. 1, S. 15).

Zur spezifischen Quellenlage für die Erstellung der Biographien von Reichstagsabgeordneten ist im BIOKAND-Handbuch ausführlich berichtet worden. (99) (Vgl. BIOKAND-Handbuch, S. 45-52.) Der herausragenden Bedeutung des Reichstags als nationales Parlament angemessen, galt zunächst das vorrangige Interesse des BlOSOP-Projektes der Recherche nach Informationen zu den Biographien der insgesamt 562 sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten. Schließlich konnte für die Lebensläufe der Reichstagsabgeordneten mit 97% eine »sehr hohe« durchschnittliche biographische Datendichte erzielt werden. Datenlücken blieben insbesondere bei einer kleinen Gruppe von Reichstagsabgeordneten der Weimarer Republik, deren Verbleib nach 1933 trotz intensivster Bemühungen nicht definitiv geklärt werden konnte. Eine wesentliche Grundlage für das Erreichen einer sehr hohen Datendichte bildete die Auswertung der kontinuierlich erschienen amtlichen/nicht-amtlichen Reichstagshandbücher, in denen sich zumindest für die bei den Hauptwahlen gewählten Abgeordneten Kurzbiographien finden lassen. Hier sind vor allem die Parlaments-Almanache von Hirth bzw. die Reichstagshandbücher von Kürschner und die erst seit 1890 erschienen amtlichen Reichstagshandbücher hervorzuheben. (100)(100) Vgl. u. a.: Hirth’s Parlaments-Almanach, 1. Ausgabe: 2. Februar 1847, Berlin 1867; Hirth führte seine Handbücher (einschließlich der Nachträge) unter dem Titel »Deutscher Parlaments-Almanach« bis 1888 fort. – Joseph Kürschner, Der neue Reichstag, Stuttgart/Leipzig/Berlin/Wien 1890; Kürschner bzw. seit 1919 Hermann Hillger führten diese populären Handbücher (u. a. seit 1903 unter dem Titel „Deutscher Reichstag. Biographisch-statistisches Handbuch“, seit 1907 »Kürschners Deutscher Reichstag“, seit 1930 »Kürschners Volkshandbuch Deutscher Reichstag“) bis 1933 fort. – Amtliches Reichstags-Handbuch, 8. Legislaturperiode 1890-95, hrsg. v. Reichstags-Bureau, Berlin o. J.; dieses amtliche Reichstagshandbuch (nebst zahlreichen Nachträgen) wurde vom Reichstagsbüro bis 1933 (bzw. 1943) fortgeführt. – Alle Handbücher bibliographiert bei: Martin Schumacher, Parlamentshand- bücher, S. 41-59. Daneben zählen zweifellos die Zeitgenossen-Handbücher von Degener zu den wichtigsten biographischen Quellen (seit 1905); die Handbücher nahmen zumindest die Reichstagsabgeordneten in den Kreis der wichtigen Zeitgenossen auf, oft auch noch nach Ende des Mandats. (101)(101) Hermann A. L. Degener, Wer ist’s (Unsere Zeitgenossen), 10 Ausgaben, Leipzig 1906-1935; Ausgaben für 1905, 1906, 1907, 1908, 1910, 1912, 1914, 1922, 1928, 1935; vgl. BIOKAND-Handbuch, S. 43. Ein umfassendes – wenn auch nicht immer fehlerfreies – Gesamtverzeichnis aller Reichstagsabgeordneten (mit knappen biographischen Annotationen) liegt mit dem MdR-Handbuch von Max Schwarz vor. (102)(102) Zur Bewertung des MdR-Handbuches von Max Schwarz vgl. BIOKAND-Handbuch, S. 41 f. Spezifisch für die sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten finden sich zahlreiche Biographien in einer Reihe von einschlägigen Handbüchern: allen voran im BIOKAND-Handbuch (hier sind die Kurzbiographien von 216 Reichstagsabgeordneten des Kaiserreichs enthalten), im Biographischen Lexikon des Sozialismus von Franz Osterroth und im Biographischen Lexikon zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung aus der ehemaligen DDR. (103)(103) F ranz Osterroth, Biographisches Lexikon des Sozialismus, Bd. 1: Verstorbene Persönlichkeiten, Hannover 1960 (Bd. 2 nicht erschienen); Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED (Hrsg.), Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung: Biographisches Lexikon, Berlin (Ost) 1970. Unter den zahllosen weiteren wissenschaftlichen Publikationen, die Informationen zu den Biographien der Reichstagsabgeordneten enthalten, sind vor allem noch die Handbücher hervorzuheben, die sich mit dem Schicksal der Abgeordneten in der NS-Zeit beschäftigen: das MdR-Handbuch von Martin Schumacher, das Handbuch der deutschsprachigen Emigration und die frühe Zusammenstellung von Walter Hammer. (104)(104) Martin Schumacher, MdR, a.a.O.; Handbuch der deutschsprachigen Emigration, Bd. 1: Politik, Wirtschaft, Öffentliches Leben; Walter Hammer, Hohes Haus in Henkers Hand, Rückschau auf die Hitlerzeit, auf Leidensweg und Opfergang Deutscher Parlamentarier, 2. Aufl., Frankfurt a. M. 1956.

Die durchschnittliche Datendichte wird wesentlich durch den regionalen Faktor bestimmt. Im Rahmen dieser Einleitung kann keine ausführliche regional differenzierte Darstellung der Datendichte vorgenommen werden; das Hauptergebnis für die Einzellandtage sei nur kurz angemerkt. Wie die hohe allgemeine Datendichte schon erwarten läßt, konnte für 14 Landtage – ähnlich wie für den Reichstag – eine »sehr hohe« durchschnittliche biographische Datendichte (d. h. eine Dichte zwischen 90%-100%) erzielt werden:

Für nur einen Landtag konnte eine »hohe« durchschnittliche biographische Datendichte (d. h. eine Datendichte zwischen 80% und 89%) erzielt werden:

  • (15) Preußen (86%):
    Zu den insgesamt 361 sozialdemokratischen Landtagsabgeordneten in Preußen war die Quellensituation äußerst unterschiedlich: diese reichte von mangelhaft bis hervorragend. Quellendefizite betreffen vor allem die Abgeordneten aus den preußischen O^tprovinzen, aber auch aus solchen Provinzen, die im Bereich der ehemaligen DDR lagen. Um diese Defizite halbwegs auszugleichen, wurde – neben einer äußerst aufwendigen schriftlichen Umfrage – eine Reihe von Spezialrecherchen durchgeführt, z. B. eine umfangreiche Adressbuch- und Telefonbuchrecherche für West-Berlin, eine langwierige und mühsame Recherche auf der Basis der kirchlichen Heimatortskarteien und eine Recherche in dem überlieferten personenbezogenen Urkundenbestand des deutschen Ostens. Einschlägige Recherchen in den staatlichen polnischen Archiven erbrachten nur relativ wenige Informationen. Für unmittelbare Recherchen vor Ort in den staatlichen Archiven der ehemaligen DDR wurde während der gesamten Projektlaufzeit keine Genehmigung erteilt. Da für Preußen kontinuierlich amtliche Landtagshandbücher mit Kurzbiographien der Abgeordneten herausgegeben wurden (118)(118) Vgl. Martin Schumacher, Parlamentshandbücher, S. 92-98., betreffen die Quellendefizite insbesondere Informationen über den Verbleib der Abgeordneten nach Mandatsende.

Für 8 Landtage lag eine »ausreichende« durchschnittliche biographische Datendichte (d. h. eine Datendichte zwischen 70% und 79%) vor; entsprechend lagen in der Regel für diese Landtage weder besonders ergiebige biographische Publikationen noch biographisch ergiebige Quellenbestände vor, auf eine Kommentierung der Quellensituation wird daher für die folgenden Landtage verzichtet:

Für 5 Landtage lag nur eine »geringe« durchschnittliche biographische Datendichte (d. h. eine Datendichte zwischen 50% und 69%) vor:

Für 3 Landtage lag nur eine »unzureichende« durchschnittliche biographische Datendichte (d. h. eine Datendichte unter 50%): vor:

  • (29) Sachsen-Altenburg (40% für 28 MdL).
  • (30) Gotha 1919/20 (34% für 11 MdL).
  • (31) Mecklenburg-Strelitz (31% für 58 MdL).

Die Datendichte für die einzelnen Länder entwickelte sich in der Projektlaufzeit höchst unterschiedlich. Während die Recherche in einigen Ländern zu hohen Steigerungsraten bei der Datendichte führte, konnte bei anderen Ländern – selbst bei hohem zusätzlichen Aufwand -die Datendichte nur relativ gering verbessert werden. Als besonders positives Beispiel für eine besonders hohe Steigerungsrate darf die Recherche zu den Abgeordneten der Bremer Bürgerschaft gelten (auf mehr als 90% ; selbst Bremer Experten prognostizierten ursprünglich nur max. 50%-60%). Dieser Rechercheerfolg präsentiert das Resultat einer unter den gegebenen Umständen optimalen Forschungsstrategie, die – bei entsprechend erhöhtem Arbeits- und Mitteleinsatz – alle Hauptarten der biographischen Recherche integriert anwendete. Folgende Recherchen wurden für Bremen durchgeführt:

  • BIOSOP-Archivrecherche vor Ort (Staatsarchiv, Bürgerschaft),
  • Anfragen an Behörden vor Ort (Standesamt, Einwohnermeldeamt),
  • Anfragen (Nachfragen) an das Archiv vor Ort (Staatsarchiv),
  • Adressbuchrecherchen,
  • Anfragen an (bekannte) Nachkommen und
  • Telefonbuchrecherchen (zur Feststellung und Befragung von Nachkommen).

Allerdings wurde – wie negative Erfahrungen an anderen Orten gezeigt haben – der besonders hohe Rechercheerfolg nur möglich durch die umfassende Bereitschaft aller beteiligten Personen und Institutionen (auch der Standesämter!), die Recherchen in jeder Hinsicht zu unterstützen. Im Sonderfall Bremen kam hinzu, daß viele Bürgerschaftsabgeordnete (vor allem in Bremen-Land) im Besitz kleiner Wohnhäuser waren und daß in vielen Fällen in diesen Wohnhäusern zur Zeit der BIOSOP-Recherche noch Nachkommen des jeweiligen Abgeordneten wohnten, die meist bereitwillig Auskunft erteilten.

Sieht man vom Bremer Beispiel einmal ab, dann hatten sich in der Projektlaufzeit allerdings die Voraussetzungen für erfolgreiche biographische Recherchen deutlich verschlechtert:

  • Das sogenannte »Frankenthal-Urteil« aus dem Jahre 1985, das der wissenschaftlichen Forschung grundsätzlich das Einsichtsrecht in personenbezogene Daten der Zeitgeschichte verwehrt, zeigte zunehmend Folgen bei den Standesamts-Recherchen. (122)(122) Vgl. aus der Sicht des unmittelbar durch das »Frankenthal-Urteil« betroffenen Forschers: Jürgen Kocka, Übertriebener Datenschutz behindert historische Forschung, in: Historical Social Research/ Historische Sozialforschung 40 (1986), S. 96-99. Immer mehr Standesämter verweigerten mit Hinweis auf dieses (nur erstinstanzliche!) Urteil die Auskunft, selbst eine Bestätigung der schon vorher bekannten Personenstandsdaten wurde oft nicht mehr gegeben. Besonders hart wurde BIOSOP durch die Auskunftsverweigerung der Berliner und Hamburger Standesämter betroffen.
  • Die nach zähen Verhandlungen mit dem Berliner Senat überraschend erteilte Benutzungserlaubnis für das Berlin Document Center wurde nach Maßgabe der damaligen Restriktions-Praxis wieder zurückgenommen. Damit verblieben BIOSOP nur indirekte und informelle Wege, um doch zumindest einige Personenrecherchen im Document Center zu veranlassen.
  • Noch härter betroffen wurde BIOSOP durch die totale Restriktionspolitik des »International Tracing Service« (ITS) des Internationalen Roten Kreuzes in Arolsen. ITS verweigerte derzeit anfragenden Wissenschaftlern die Auskunft mit dem Hinweis auf interne Datenschutzanweisungen – eingestandenermaßen auf Kosten der Forschung, insbesondere der NS-Forschung. Diese Restriktion betraf allerdings nur die BIOSOP-Recherche zu den Landtagsabgeordneten; für die Reichstagsabgeordneten konnten sowohl die in den 1950er-und 1960er-Jahren durchgeführten ITS-Recherchen von Max Schwarz (enthalten im Nachlaß Schwarz im Archiv für soziale Demokratie, Bonn) als auch die neuerdings durchgeführten ITS-Recherchen für das MdR-Handbuch von Martin Schumacher ausgewertet werden.

Wenn auch die Daten der Einwohnermeldeämter (falls vorhanden) in der Regel für die Forschung noch abfragbar blieben, so bedeuteten die Restriktionen für BIOSOP das verstärkte Ausweichen auf arbeitsaufwendigere und nicht immer erfolgreiche Ersatzrecherchestrategien.

Diese Ersatzrecherchestrategien haben in vielen Fällen die Datendichte überhaupt und meist auch deutlich erhöht, aber gleichzeitig die durchschnittliche Kosten-Nutzen-Relation der biographischen Recherche verschlechtert. So wurde z. B. für die Abgeordneten des deutschen Ostens systematisch auf die Daten der verschiedenen deutschen Heimatortskarteien zurückgegriffen. (123)(123) BIOSOP nutzte hauptsächlich die Bestände der Heimatortskartei »Nordosteuropa« (darin enthalten die Abteilungen »Deutsch-Balten“, »Pommern“, »Danzig-Westpreußen« und „Ostpreußen“; Standort: Lübeck) und der Heimatortskartei »Schlesien« (Abteilung »Niederschlesien« in Bamberg; Abteilung »Oberschlesien« in Passau). Diese Heimatortskarteien, die von den Kirchen seit Kriegsende geführt werden, enthalten (nach Orten, Straßen, Hausnummer geordnet, nicht nach Namen!) die Namen der Ortseinwohner, die 1939 dort ihren Wohnsitz hatten, und ggf. Hinweise auf deren weiteren Verbleib nach 1944/45. Da 40 Jahre nach Kriegsende dieser Suchdienst nur noch relativ selten benutzt wurde, wurden die meisten Hinweise nicht mehr aktualisiert und gaben in der Regel den Stand der 1950er und 1960er Jahre wieder, d. h. um die gewünschten Informationen zu erhalten, mußten nun weitere Recherchen (bei überlebenden Verwandten, Nachbarn .. . und/oder bei den üblichen Amtern) durchgeführt werden. Wenn auch auf den ersten Blick dieses Verfahren wenig erfolgversprechend und sehr aufwendig erschien, so waren doch die Rechercheerfolge, die BIOSOP mit Hilfe der äußerst kooperativen Heimatsortskarteien erzielen konnte, entgegen aller anfänglichen Skepsis überraschend hoch und erbrachten Informationen, die sonst durch keine andere Quelle/Recherche hätte gewonnen werden können. Nicht zuletzt dieser Art von Recherche ist es zu verdanken, daß BIOSOP die nicht erwartete »hohe« durchschnittliche Datendichte für die preußischen Abgeordneten erreichen konnte.

Ahnliches galt für die systematischen oder punktuellen Nachkommens- und Telefonbuchrecherchen, die für »westliche« Landtage, insbesondere für Braunschweig, Bremen, Hamburg, Lippe, Lübeck, Oldenburg und die Westprovinzen Preußens (einschließlich der »Berlin-Fälle«) unternommen worden sind. Vergleicht man die (große) Zahl der BIOSOP-Anfragen mit der (relativ kleinen) Zahl der „Treffer“, dann schien auch hier die durchschnittliche Kosten-Nutzen-Relation sich deutlich zuungunsten des Nutzens verändert zu haben, aber hier galt noch viel mehr als bei den Heimatortskarteirecherchen: zu dieser Art von Informationsgewinnung gab es oft keine ernsthafte Alternative; die hervorragenden Ergebnisse für Braunschweig, Bremen und Hamburg wären ohne diese Art von Recherche undenkbar. Umgekehrt war es selbstverständlich, daß Nachkommens- und Telefonbuchrecherchen nur dann eingesetzt wurden, wenn alle anderen Arten von (kostengünstigen) Recherchen die notwendigen Informationen nicht beschaffen konnten.

Diese wenigen Beispiele mögen an dieser Stelle genügen, um zu verdeutlichen, daß BIOSOP einerseits überdurchschnittlich erfolgreiche biographische Recherchen durchführte, daß aber andererseits auch der zu leistende Rechercheaufwand aus unterschiedlichen Gründen überdurchschnittlich hoch sein mußte.