2. Kollektive Biographie: Die Lebensläufe der sozialdemokratischen Parlamentarier

a) Beschreibung des Datensatzes

Es war nicht primäre Aufgabe des BlOSOP-Projekts, eine wissenschaftlich umfassende kollektive Biographie der Grundgesamtheit zu erarbeiten. BIOSOP will kollektiv-biographische Einzelforschung nicht vorwegnehmen; detaillierte kollektive Biographien über die Grundgesamtheit oder über größere Teilgrundgesamtheiten können nur Gegenstand künftiger weiterer Forschungsprojekte sein. (124)(124) Die kollektive Biographik für sozialdemokratische Personenkollektive im Allgemeinen hat in den letzten Jahren nur wenig Fortschritte gemacht; nur einige wenige Führungs- bzw. Funktionärsgruppen wurden bisher untersucht. Allen voran müssen hier die zeitgenössischen Untersuchungen von Robert Michels genannt werden, die methodisch, wenn auch nicht immer theoretisch und empirisch richtungsweisend für die Forschung gewesen sind, insbesondere: Robert Michels, Die deutsche Sozialdemokratie. Parteimitgliedschaft und soziale Zusammensetzung, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 23 (1906), S. 471-556; und sein »Klassiker“ der Politischen Soziologie mit vielen impressionistischen Randbemerkungen zur Struktur der zeitgenössischen sozialdemokratischen Parteiführung und der Parteiorganisation: ders., Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie. Untersuchungen über die oligarchischen Tendenzen des Gruppenlebens, 1. Aufl.: 1911; 2. Aufl.: Stuttgart 1925, Belege aus dem Neudruck: Stuttgart 1957. Frühe Versuche einer Analyse der SPD-Sozialstruktur bzw. der Sozialstruktur der SPD-Funktionäre nach dem Michelschen Vorbild unternahmen: Dietrich Bronder, Organisation und Führung der sozialistischen Arbeiterbewegung im Deutschen Reich, Diss. Göttingen 1952 (Masch.); Joachim Siemann, Der sozialdemokratische Arbeiterführer in der Zeit der Weimarer Republik, Diss. Göttingen 1956 (Masch.). Eine eingehende Kritik beider Arbeiten kann hier nicht g eleistet werden; Bronder untersucht 3200 und Siemann (der methodisch versiertere von beiden) 1838 Personen aus der Arbeiterbewegung, dabei bleiben z. B. die Auswahlkriterien der Personen (Repräsentativität!), Quellenlage sowie Erhebungs- und Auswertungsverfahren bei beiden unscharf; für den Vergleich wird unten über einige Ergebnisse von Siemann in den Anmerkungen berichtet werden. – Zur Zusammensetzung der SPD-Reichstagsfraktion u. a.: Erich Matthias/Eberhard Pikart, Die Reichstagsfraktion der deutschen Sozialdemokratie 1898 bis 1918, Düsseldorf 1966, S. LI-LXVI; Heinrich Potthoff, Einleitung, in: ders. und Hermann Weber, Die SPD-Reichstagsfraktion in der Nationalversammlung 1919-1920, Düsseldorf 1986, S. XI- LI. – Exemplarische kollektiv-biographische Ansätze zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung sind gesammelt in: Herkunft und Mandat (Frankfurt a. M., Köln 1976). – An neueren Studien vgl. u. a.: Christi Wickert (Unsere Erwählten. Sozialdemokratische Frauen im Deutschen Reichstag und im Preußischen Landtag 1919-1933, 2 Bde., Göttingen 1986) untersucht unter Einsatz der »biographischen Methode“ insgesamt 74 Parlamentarierinnen des Reichstages und des Preußischen Landtages in der Weimarer Republik; Jochen Loreck (Wie man früher Sozialdemokrat wurde, Das Kommunikationsverhalten in der deutschen Arbeiterbewegung und die Konzeption der sozialistischen Parteipublizistik durch August Bebel, Bonn-Bad Godesberg 1977, S. 103-254) beschreibt auf der Basis von 33 Autobiographien den Politisierungsprozeß von Sozialdemokraten vor 1914. Der Intention des BIOSOP-Handbuches entsprechend, wird nur eine Grundauswertung des Datenmaterials vorgenommen werden. Diese Grundauswertung soll den inhaltlichen und methodischen Zugang des Nutzers zum ausgebreiteten biographischen Material erschließen, exemplarische Forschungsprobleme aufwerfen und die Grundgesamtheit in einem deskriptiv-statistischen Kontext beschreiben. Um eine kollektiv-biographische Auswertung der Grundgesamtheit zu ermöglichen, wurden nach Abschluß der redaktionellen Arbeiten ausgewählte Informationen der Biographien nach einem Erhebungsschema codiert und maschinenlesbar aufbereitet. Der BIOSOP-Datensatz, der in der Folge kurz dokumentiert wird, enthält eine eng begrenzte Auswahl relevanter biographischer Merkmale und wurde unter Einsatz des Analysepakets SPSS (Statistical Package for the Social Sciences) am Großrechner des Datenarchivs für empirische Sozialforschung (Köln) ausgewertet. Auch im Hinblick auf die Datenerhebung und Datenverarbeitung wurde BIOSOP weitestgehend kompatibel zu BIOKAND angelegt. (125)(125) Kollektiv-biographische Teilergebnisse des BIOKAND-Projektes sind veröffentlicht worden: Wilhelm Heinz Schröder, Die Sozialstruktur der sozialdemokratischen Reichstagskandidaten 1898-1912, in: Herkunft und Mandat, Frankfurt a. M./Köln 1976, S. 72-96; ders., Probleme und Methoden der quantitativen Analyse von kollektiven Biographien. Das Beispiel der sozialdemokratischen Reichstagskandidaten, in: Heinrich Best, Reinhard Mann (Hrsg.), Quantitative Methoden in der historisch-sozialwissenschaftlichen Forschung, Stuttgart 1977, S. 88-125; ders., Quantitative Analyses of Collective Life Histories. The Case of the Social Democratic Candidates for the German Reichstag 1898-1912, in: Jerome M. Clubb, Erwin K. Scheuch (eds.), Historical Social Research. The Use of Historical and Process-Produced Data, Stuttgart 1980, S. 203-224; ders., Einleitung im BIOKAND-Handbuch, S. 9-39; ders., Die Lebensläufe der sozialdemokratischen Reichstagskandidaten: Ausgewählte Fragen und Materialien, in: Gerhard A. Ritter (Hrsg.), Der Aufstieg der deutschen Arbeiterbewegung, München 1990, S. 185-217.

Aufgrund der oben wiedergegebenen Definition eines »sozialdemokratischen Parlamentariers« konnten für die Zeit von 1867 bis 1933 (bzw. für Danzig bis 1938) zum Erhebungsbeginn insgesamt 2 420 (100%) Parlamentarier (Reichs- und Landtagsabgeordnete) nachgewiesen werden, darunter befinden sich 177 (7%) Frauen. Alle Aussagen der folgenden kollektiv-biographischen Grundauswertung beziehen sich auf diese 2 420 Analyseeinheiten; d. h. jeder Parlamentarier ging – unabhängig von Art und Zahl der Mandate – nur einmal in die Auswertung ein. Diese 2420 Parlamentarier übten allerdings insgesamt 6 997 Mandate aus, d. h. durchschnittlich erhielt jeder Parlamentarier 2.9 Mandate. Das Einzelmandat ist die Analyseeinheit auf der niedrigsten Aggregatebene; entsprechend wurden die folgenden Variablen für jedes Mandat eines Abgeordneten erhoben, d. h. der Datensatz umfaßt tatsächlich 6 997 Analyseeinheiten. Eine dadurch mögliche detaillierte Analyse auf Einzelmandatsebene kann in diesem Rahmen nicht erfolgen; eine Auswertung auf dieser Einzelmandatsebene erfolgt allerdings dennoch in Form der zahlreichen Fraktionsprofile innerhalb der BlOSOP-Chronik. Diese kollektiv-biographischen Profile für alle Reichstags- und Landtagsfraktionen enthalten knappe Angaben zu besonders relevanten (und dicht belegten) Merkmalen der Fraktionsmitglieder.

Neben einer Reihe von Kenndaten enthält der BIOSOP-Datensatz für jede Analyseeinheit Angaben zu folgenden Variablen:

A. BIOSOP-Datensatz: Wahlunabhängige biographische Variablen

Personenstand und Sozialisation:

  • Geschlecht
  • Beruf des Vaters bzw. (bei Unehelichkeit) der Mutter
  • Geburtsdatum (Geburtsjahr und Geburtsmonat)
  • Geburtsregion
  • Sterbedatum (Sterbejahr und Sterbemonat) Sterberegion
  • Religionsbekenntnis
  • Bildung
  • »Erlernter« Beruf
  • Militärverhältnisse
  • Familienstand (Jahr der ersten Eheschließung)
  • Beitritt zur Arbeiterbewegung (Jahr des Ersteintritts)

Politische und Berufliche Karriere bis 1933:

  • Gesamtdauer der Mandatsausübung bis 1933
  • Kandidatur zum Reichstag
  • Mitgliedschaft im Reichstag 1867-1933
  • Mitgliedschaft in einem Landtag 1871-1933
  • Funktion in Politik und Verwaltung 1: Reichsregierung
  • Funktion in Politik und Verwaltung 2: Reichsverwaltung
  • Funktion in Politik und Verwaltung 3: Landesregierung
  • Funktion in Politik und Verwaltung 4: Landesverwaltung
  • Funktion in Politik und Verwaltung 5: Bezirks- und Kreisverwaltung
  • Funktion in Politik und Verwaltung 6: Kommunalverwaltung
  • Hauptamtliche Tätigkeit in den »freien« Gewerkschaften
  • Relevante regionale/überregionale Funktion in den »freien« Gewerkschaften
  • Hauptamtliche Tätigkeit in den Genossenschaften
  • Relevante regionale/überregionale Funktion in den Genossenschaften
  • Hauptamtliche Tätigkeit in den Krankenkassen
  • Relevante regionale/überregionale Funktion in den Krankenkassen
  • Hauptamtliche Tätigkeit in den »sozialdemokratischen« Parteiorganisationen
  • Relevante regionale/überregionale Funktion in den »sozialdemokratischen« Parteiorganisationen
  • Hauptamtliche Tätigkeit in der »sozialdemokratischen« Parteipublizistik

Informationen über die Zeit nach 1933:

  • Haft in der NS-Zeit
  • Emigration in der NS-Zeit
  • Relevante Funktion in Politik und Verwaltung nach 1945 in den Westzonen/BRD
  • Relevante Funktion in Politik und Verwaltung nach 1945 in der SBZ/DDR
  • Mitgliedschaft im Bundestag (BRD)
  • Mitgliedschaft in der Volkskammer (DDR)

B. BIOSOP-Datensatz: Wahlabhängige biographische Variablen

  • Art des Mandats (Reichstag oder Landtag)
  • Laufende Nummer des Mandats (bezogen auf den Mandatsträger)
  • Mandatsregion
  • Mandatsveränderungen (Nachrücken oder vorzeitiges Ausscheiden)
  • Fraktionszugehörigkeit (während der Mandatsperiode)
  • Wahljahr (bzw. Eintritts jähr ins Parlament)
  • Dauer der Mandatsausübung bis zum (erneuten) Mandatsantritt
  • »Ausgeübter« Beruf (bei Mandatsantritt)

In diesem Rahmen kann keine umfassende Dokumentation des Datensatzes (Erhebungssituation, Begriffsdefinitionen, Erläuterungen zur Codierung und Klassifizierung etc.) erfolgen. Soweit unbedingt notwendig enthält die folgende Auswertung einige ergänzende Erläuterungen zu den einzelnen Variablen, insbesondere die Angabe zur jeweiligen Datendichte.

b) Herkunft: Geburt, Vaterberuf, Religionsbekenntnis

Die Datendichte der Variable »Geburtsjahr« ist mit 94% im Hinblick auf die ursprüngliche Quellenlage überraschend hoch. Die Geburtsjahrgänge erstrecken sich über mehr als ein Jahrhundert: von Jahrgang 1805 bis 1906. Die häufigsten Geburtsjahre sind 1876 (94; 4%), 1881 (88; 4%), 1878 (86; 4%), 1873 (79; 3%), 1875 (77; 3%), 1880 (76; 3%) und 1874 (75; 3%). Die höchste Verteilungsdichte liegt zwischen den Jahrgängen 1868 und 1887, in diesen 20 Jahren wurden insgesamt 1 386 (57%) Parlamentarier geboren; der enger gefaßten Geburtsjahrgangskohorte 1873-1882 gehören noch 783 (32%) Parlamentarier an. (126)(126) BIOKAND: Mit Abstand die höchstfrequentiertesten Jahrgänge sind 1868 (35 Kandidaten) und 1866 (33 Kandidaten). Die höchste Verteilungsdichte liegt zwischen den Jahrgängen 1858 und 1875, diesen nur 18 (von insgesamt 5l) Jahrgängen gehören zwei Drittel (65,8%) der Reichstagskandidaten an. Inwieweit die Bildung von Geburtsjahrgangskohorten sinnvoll ist oder ob die Bildung anderer funktional definierter Kohorten (z. B. die »Generation des Sozialistengesetzes«, die »Organisationsgründergeneration von 1890- 1893« oder die »Parlamentariergeneration der verfassunggebenden Landesversammlungen 1918-1919«) angemessen sind, müssen erst weitere Analysen erbringen. (127)(127) Kohorten können definiert werden als Aggregate von Individuen, die ein zentrales Ereignis im Lebenszyklus oder eine Lebensphase zum ungefähr gleichen historischen Zeitpunkt erfahren. – Vgl. allgemein die frühen Ansätze bei: Arthur Dix, Die deutschen Reichstagswahlen 1871-1930 und die Wandlungen der Volksgliederung, Tübingen 1930, S. 34-35. Dix gliedert leider nur schematisch die Geburtsjahrgänge in 8 Kohorten mit jeweils 5 oder 10 Geburtsjahrgängen; orientiert an Dix, verfährt Siemann (S. 230 ff.) ebenso schematisch, beschränkt sich allerdings auf drei Geburtsjahrgangs-Kohor-ten (1850-1875, 1875-1890, 1890-1910). Bronder übernimmt die Kohorteneinteilung (1855-1870, 1870-1885, 1885-1900) von: Theodor Cassau, Soziologie der Gewerkschaftsbewegung, Halberstadt 1925, S. 124-170.- Vgl. zur Anwendung des Generationsansatzes im Rahmen der neueren Wahlforschung u. a.: Monika Neugebauer-Wölk, Wählergeneration in Preußen zwischen Kaiserreich und Republik, Versuch zu einem Kontinuitätsproblem des protestantischen Preußen in seinen Kerngebieten, Berlin 1987.

Während der BIOKAND-Datensatz den Geburtsort dem jeweiligen Reichstagswahlkreis (nach der gültigen Wahlkreisgeometrie des Kaiserreichs) zugeordnet hat, wurde bei BIOSOP eine höhere Aggregationsstufe gewählt. (128)(128) Ent sprechend erfolgte bei BIOSOP auch keine Klassifizierung des Geburtsortes nach der Bevölkerungsgröße; zweifellos spielte es für den weiteren Lebenslauf eine wichtige Rolle (insbesondere für Schul- und Berufsausbildung), ob der Abgeordnete auf dem Lande oder in einer Stadt geboren wurde. Siemann (Arbeiterführer, S. 31-32, 34) errechnet für die Weimarer Arbeiterführer folgende »sozialgeographische Herkunft“: 43% aus Landgemeinden bis 2 000 Einwohnern (aber 48% der Arbeiterführer mit Volksschulbildung), 27% aus Klein- und Mittelstädten von 2 000 bis 100 000 Einwohnern (aber 45% der Absolventen eines Universitätsstudiums) und 30% aus Großstädten mit über 100 000 Einwohnern (aber 56% der Absolventen weiterführender Schulen). Im BIOSOP-Datensatz wurde der Geburtsort dem jeweiligen deutschen Einzelstaat (nach der Ländereinteilung des Kaiserreichs) zugeordnet; damit wird zumindest die Vergleichbarkeit mit anderen Daten auf Länderebene ermöglicht. Bei außerdeutschen Geburtsorten wurde nur eine globale Zuordnung (Europa, Außerhalb Europas) durchgeführt. Die Datendichte der Variable »Geburtsregion« ist mit 93% ebenfalls sehr hoch; merkliche Defizite bestehen nur für die Landtagsabgeordneten einiger kleiner Bundesländer. Da das passive Wahlrecht bei allen beobachteten Wahlen die Reichsangehörigkeit bzw. die Staatsbürgerschaft eines Bundeslandes voraussetzte, sind erwartungsgemäß fast alle Parlamentarier innerhalb der Grenzen des Deutschen Reiches geboren. Unter den Parlamentariern befinden sich dennoch 22 (l%) Auslandsdeutsche bzw. eingebürgerte Ausländer und 20 (l%) Elsaß-Lothringer, die teilweise schon vor der Annektion von Elsaß-Lothringen durch das Deutsche Reich und somit in Frankreich geboren sind. Ansonsten sind die Parlamentarier innerhalb des Deutschen Reiches geboren: mind. 969 (40%) in Preußen (48 Ostpreußen, 35 Westpreußen + 49 Danzig, 69 Berlin, 77 Brandenburg, 39 Pommern, 26 Posen, 121 Schlesien, 117 Prov. Sachsen, 71 Schleswig-Holstein, 113 Prov. Hannover, 60 Westfalen, 55 Hessen-Nassau, 84 Rheinprovinz, 5 Hohenzollern), 198 (8%) in Bayern (28 Oberbayern, 14 Niederbayern, 32 Pfalz, 14 Oberpfalz, 31 Oberfranken, 35 Mittelfranken, 22 Unterfranken, 22 Schwaben), 184 (8%) in Sachsen (53 KH Dresden, 55 KH Leipzig, 60 KH Zwickau, 6 KH Bautzen, 10 keine KH-Zuordnung), 118 (5%) in Thüringen (25 Sachsen-Weimar, 20 Sachsen-Meiningen, 16 Sachsen-Coburg-Gotha, 15 Sachsen-Altenburg, 15 Schwarzburg-Rudolstadt, 9 Schwarzburg-Sondershausen, 8 Reuß jüngere Linie, 7 Reuß ältere Linie, 3 keine Einzelland-Zuordnung), 99 (4%) in Württemberg (44 Neckarkreis, 15 Schwarzwaldkreis, 16 Jagstkreis, 20 Donaukreis, 4 keine Kreis-Zuordnung), 93 (4%) in Mecklenburg-Schwerin, 81 (3%) in Hamburg, 76 (3%) in Baden, 75 (3%) in Hessen, 74 (3%) in Bremen, 56 (2%) in Braunschweig, 42 (2%) in Oldenburg, 26 (l%) in Lippe, 19 (l%) in Schaumburg-Lippe, 11 in Mecklenburg-Strelitz und 9 in Waldeck. Ein Vergleich zwischen der Verteilung der regionalspezifischen Gebürtigkeit der Abgeordneten und der Verteilung der Zahl der regionalspezifischen Abgeordneten aufgrund der Wahlergebnisse erfolgt für die einzelnen Länder weiter unten in der Chronik; hier zeigt es sich u. a., inwieweit die Landtagsabgeordneten im jeweiligen Lande geboren sein mußten und ob es z. B. »Uberschuß«-Länder gibt, in denen weit mehr Abgeordnete geboren waren, als es von der Gesamtzahl der Abgeordneten des »Überschuß«-Landes zu erwarten wäre. (129)(129) BIOKAND: Bei allen vier untersuchten Wahlen gibt es nur drei »Überschuß“-Regionen, die stets mehr eigene in der jeweiligen Region geborene Reichstagskandidaten stellten als ihnen nach der Zahl der regionalen Wahlkreise »zugemessen“ wären: die Provinz Brandenburg (einschließlich Berlin), das Königreich Sachsen und die hanseatischen Stadtstaaten – mithin frühe Zentren der deutschen Arbeiterbewegung.

Die soziale Herkunft wird üblicherweise durch den Beruf des Vaters indiziert; auf die in der Forschung vieldiskutierte Problematik beim Erheben und Verwenden dieses Indikators kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden. (130)(130) Vgl. u. a. die zusammenfassende Diskussion bei: Hartmut Kaelble, Historische Mobilitätsforschung, Darmstadt 1978. Eine im Hinblick auf Quellen und Methoden exemplarische historische Mobilitätsstudie, in der der Vaterberuf als Indikator eine wesentliche Rolle spielt, findet sich bei: Peter Lundgreen, Margret Kraul, Karl Ditt, Bildungschancen und soziale Mobilität in der städtischen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts, Göttingen 1988. Aber auch unter Ausblendung der Indikatorenprobleme sind aufgrund erheblicher Quellendefizite nur grobe Aussagen über die soziale Herkunft der Parlamentarier möglich. Hinzuweisen wäre in diesem Zusammmenhang insbesondere auf den starken Bias, der die einschlägigen Quellen regelmäßig prägt. Insoweit die Angabe zum Vaterberuf nicht den amtlichen Quellen (Kirchenbüchern, Standesamtsregistern) entnommen, sondern in einer Quelle von den Parlamentariern selbst gemacht worden sind, wird bevorzugt der vom Status her höchstrangige Beruf des Vaters (z. B. Schuhmachermeister, Zigarrenfabrikant, Kaufmann etc.) angegeben – unabhängig davon, wann, wie lange und mit welchem Resultat der Vater diesen Beruf ausgeübt hat – oder die Angabe eines Vaterberufs mit niedrigem Status wird bewußt weggelassen. Leider besitzen wir nur für gut die Hälfte (54%) der Parlamentarier verläßliche Informationen über den Vaterberuf. Klassifiziert man die Berufe nach nur 5 Statusgruppen, dann lassen sich die Väterberufe folgendermaßen zuordnen: mind. 265 (ll%) »Unselbständige ungelernte Arbeiter«, 406 (17%) »Unselbständige gelernte Arbeiter«, 119 (5%) »Untere/Mittlere Angestellte/Beamte« (u. a. 23 Eisenbahner), 387 (16%) »Selbständige« (u. a. 157 Handwerksmeister, 97 Bauern, 90 Kaufleute, 22 Kleinfabrikanten, 18 Gastwirte) und 109 (5%) »Bürgerliche Berufe« (u. a. 25 Lehrer, 25 Höhere Beamte, 9 Ärzte, 8 Geistliche). (131)(131) BIOKAND: Bei einer nur geringen Datendichte (34%) wären die Väter der Reichstagskandidaten zu zwei Zehntel (19%) als un- und angelernte Arbeiter/Tagelöhner/niederes Dienstpersonal, zu drei Zehntel (27%) als gelernte Arbeiter/Gehilfen/untere Angestellte/Beamte, ebenfalls zu drei Zehntel (33%) als (meist kleine) Selbständige im Handel und Gewerbe/mittlere Angestellte/Beamte und zu je einem Zehntel (7% bzw. 14%) als (meist kleine) Landwirte bzw. in einem bürgerlich-akademischen Beruf beschäftigt gewesen. – Siemann (S. 23-27) benutzt leider eine andere Klassifikation, so daß der Vergleich erschwert ist; danach kommen die Weimarer Arbeiterführer zu 43% aus dem »Arbeiterstand“, 31% aus dem »handwerklichen Mittelstand“, 5% aus dem »besitzenden und gewerblichen Mittelstand“, 14% aus dem »neuen Mittelstand“ und 7% aus der »bürgerlichen Oberschicht“. Differenziert man nach handwerklichen Einzelberufsgruppen, ergibt sich folgende Rangliste: 52 Weber (17 selbständig), 47 Schuhmacher (21 selbständig), 46 Schneider (26 selbständig), 45 Maurer (3 selbständig), 44 Tischler (18 selbständig), 27 Zimmerer (3 selbständig), 25 Schlosser (6 selbständig), 20 Töpfer (7 selbständig) und 19 Schmiede (8 selbständig).

Die Zahl der nachweisbar unehelich geborenen Abgeordneten ist mit nur 47 (2%) sicherlich viel zu gering. Der Anteil der unehelich Geborenen an der Gesamtzahl der Geburten betrug vergleichsweise allgemein in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert z. B. in Preußen ca. 7%-8%, in Sachsen ca. 12%-15% und in Bayern ca. 13%- 20%. (132)(132) Vgl. William H. Hubbard, Familiengeschichte, Materialien zur deutschen Familie seit dem Ende des 18. Jahrhunderts, München 1983, S. 109 f. Für den hohen Anteil der illegitimen Geburten gibt es eine Reihe von Erklärungsfaktoren, die wichtigste Rolle spielten dabei die sozialökonomisch und die rechtlich bedingten Erschwernisse der Eheschließungen. Die nachträgliche Legitimierung (per matrimonium subsequens) der unehelichen Geburt war – wenn auch regional unterschiedlich – weitverbreitet, so wurden z. B. in Bayern in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ca. 13%-20% aller unehelichen Geburten nachträglich legitimiert. (133)(133) Vgl. William H. Hubbard, Familiengeschichte, S. 112. Bei den unehelich geborenen Parlamentariern ist nur von wenigen eine nachträgliche Legitimierung bekannt. Bei den Müttern handelte es sich weitgehend um Dienstmägde oder um Töchter, die im Haushalt des Vaters »mithelfend« tätig waren; entsprechend wurde in der Regel die uneheliche Herkunft der niedrigsten Statusgruppe zugeordnet. (134)(134) Die wohl spektakulärste Ausnahme unter den unehelich geborenen Abgeordneten bildete der MdR Louis Viereck. Viereck wurde als unehelicher Sohn der seinerzeit berühmten königlichen Hofschauspielerin Charlotte Viereck geboren; als mutmaßlicher Vater wird überwiegend Prinz Wilhelm von Preußen (der spätere Kaiser Wilhelm l) genannt. Die Vaterschaft konnte aber nie zweifelsfrei geklärt werden, z. B. wurden als Väter auch zwei andere Hohenzollern (Georg von Preußen und der ebenfalls aus einer illegitimen Beziehung stammende Louis von Prillwitz) in Betracht gezogen. – Vgl. Helge Berndt, Dokumentation zum 100. Jahrestag des Sozialistengesetzes, S. 248-253; Ulrich Heß, Louis Viereck und seine Münchner Blätter für Arbeiter 1882-1889, in: Dortmunder Beiträge für Zeitungsforschung, Bd. 6 (1961), S. 1-50 (die Frage der Abstammung: S. 43- 46).

Zweifellos gehört das Religionsbekenntnis zu den wichtigsten Variablen in der deutschen Wahlforschung. (135)(135) Vgl. z. B. die beiden Tabellen über Konfession und Wahlverhalten für 1871-1887 und für 1903 bei Gerhard A. Ritter/Merith Niehuss, Wahlgeschichtliches Arbeitsbuch, S. 99-101.- In der wissenschaftlichen Literatur spielt der »konfessionelle Faktor“ als Grunddeterminante des Wahlverhaltens eine wichtige Rolle; vgl. u. a. schon die zeitgenössischen Untersuchungen: Alois Klöcker, Die Konfession der sozialdemokratischen Wählerschaft, Mönchen-Gladbach 1913; und: Johannes Schauff, Das Wahlverhalten der deutschen Katholiken im Kaiserreich und in der Weimarer Republik. Untersuchungen aus dem Jahre 1928, hrsg. u. eingeh v. Rudolf Morsey, Mainz 1975. – Vgl. z. B. die zentrale Funktion von Religion/Konfession bei der Herausbildung und Entwicklung von »sozialmoralischen Milieus“ und deren Zusammenhang mit dem deutschen Parteiensystem: M. Rainer Lepsius, Parteiensystem und Sozialstruktur. Zum Problem der Demokratisierung in Deutschland, in: Gerhard A. Ritter (Hrsg.), Deutsche Parteien vor 1918, Köln 1974, S. 68 und öfters; die einschlägige Forschung zusammengefaßt bei: Gerhard A. Ritter, Die deutschen Parteien 1830-1914, Göttingen 1985, S. 49 ff. Bei der Erhebung wurde versucht, die Konfessionszugehörigkeit bei Geburt bzw. Taufe auch für solche Abgeordnete festzustellen, die später aus der Kirche austraten oder zu einer anderen Konfession/Religionsgemeinschaft überwechselten. Allerdings ließ sich die (ggf. ehemalige) Konfessionszugehörigkeit der Abgeordneten nur schwer und nicht immer zuverlässig feststellen. Ebenso ließ sich nur in den seltensten Fällen z. B. der Zeitpunkt des Kirchenaustrittes eruieren, eine Erhebung dieses Austrittsdatums unterblieb daher; unter diesen Umständen lassen sich z. B. Hypothesen, die u. a. politisch motivierte kollektive »Austrittswellen« behaupten, nicht überprüfen. Da Religion »als Privatsache« betrachtet wurde, fehlen z. B. in den meisten autobiographischen Quellen der Reichstagskandidaten die Angabe der (ehemaligen) Konfessionszugehörigkeit. Dennoch liegen hier für drei Viertel (74%) der Parlamentarier verläßliche Informationen vor.

Der ursprünglichen Konfession nach waren mind. 1 054 (44%) Parlamentarier Mitglied der evangelischen Kirche; von diesen protestantischen Parlamentariern traten in der Folge mindestens 338 (32% von 1 054) aus der Kirche aus. Der römisch-katholischen Kirche gehörten ursprünglich mind. 247 (10%) Parlamentarier an; von diesen katholischen Parlamentariern traten mind. 105 (43% von 247) aus der Kirche aus. Das heißt, bei der Kirchenaustrittsbewegung läßt sich – mit Vorbehalt – ein signifikanter Unterschied bei den Angehörigen der beiden christlichen Konfessionen beobachten: Katholiken neigten danach mehr zum Kirchenaustritt als Protestanten. (136)(136) BIOKAND: Bei einer Datendichte von 73% ergeben sich folgende Ergebnisse für die Reichstagskandidaten: etwa zwei Drittel (68,0% von 487) war ursprünglich Mitglied der evangelischen Kirche; von diesen protestantischen Reichstagskandidaten traten in der Folge mindestens fünf Zehntel (48% von 331) aus der Kirche aus. Nur ein Viertel (27,3% von 487) der Reichstagskandidaten gehörte ursprünglich der römisch-katholischen Kirche an; auch von diesen katholischen Reichstagskandidaten traten mindestens fünf Zehntel (49% von 133) aus der Kirche aus. Das heißt, bei der Kirchenaustrittsbewegung läßt sich im Falle von BIOKAND kein signifikanter Unterschied bei den Angehörigen der beiden christlichen Konfessionen beobachten. Die Angehörigen anderer Religionsgemeinschaften sind insgesamt nur relativ gering, bezogen aber auf ihren Anteil an der Gesamtbevölkerung, relativ stark vertreten. Dies gilt vor allem für die Angehörigen der jüdischen Glaubensgemeinschaft, die mit mind. 64 (3%) Parlamentarier vertreten ist; von diesen jüdischen Parlamentariern traten allerdings mind. 34 (53% von 64) aus der jüdischen Glaubensgemeinschaft aus. (137)(137) Vgl. u. a. die zeitgenössischen Erklärungen zum »Judentum als Rekrutierungsgebiet“ der »sozialistischen Führerschaft“ bei: Michels, Soziologie, 250-255; auch die biographisch orientierte Studie von Ernest Hamburger, Juden im öffentlichen Leben Deutschlands. Regierungsmitglieder, Beamte und Parlamentarier in der monarchischen Zeit, Tübingen 1968; kurzer Uberblick mit Literaturverweisen u. a. bei: Christi Wickert, Frauen im Parlament. Lebensläufe sozialdemokratischer Parlamentarierinnen in der Weimarer Republik, in: Wilhelm Heinz Schröder (Hrsg.), Lebenslauf, S. 210-240 (hier: S. 230-235). Nur 18 (l%) Parlamentarier gehörten sonstigen Glaubensgemeinschaften (überwiegend deutsch-katholisch) an. Insgesamt traten mind. 882 (36%, einschließlich der Abgeordneten, deren frühere Konfessionszugehörigkeit nicht bekannt war) der Abgeordneten im Laufe der Jahre aus den christlichen oder jüdischen Glaubensgemeinschaften aus und blieben konfessionslos bzw. freireligiös. (138)(138) BIOKAND: Der Dissidentenanteil ist etwas höher als bei BIOSOP, danach trat etwa die Hälfte (48% von 487) der Reichstagskandidaten im Laufe der Jahre aus den christlichen oder jüdischen Glaubensgemeinschaften aus und blieb konfessionslos bzw. freireligiös, aber umgekehrt verblieb ebenso etwa die Hälfte (52%) – zumindest formal – in den Amtskirchen. Siemann (S. 30-32) errechnet für die Weimarer Arbeiterführer einen noch höheren Dissidentenanteil von 57% .

c) Bildung und »Erlernter« Beruf

Die Datenbasis für die Variable »Höchster erreichter Bildungsabschluß« beträgt 75% der Fälle, aber die fehlenden Angaben lassen sich anhand anderer Indikatoren (vor allem anhand des erlernten Berufs) mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit rekonstruieren. Die Variable wurde nach 9 Klassen differenziert erhoben: »Volksschule«, »Mittelschule ohne Abschluß«, »Mittelschule mit Abschluß / ‚Tertia‘-Abschluß«, »Höhere Schule ohne ‚Einjähriges’«, »Höhere Schule mit ‚Einjährigem‘ (Obersekundareife)«, »Höhere Schule mit Abitur«, »Lehrerseminar mit Abschluß«, »Universität ohne Abschluß« und »Universität mit Abschluß«. (139)(139) Die Klassifikation der Bildungsqualifikation folgt weitgehend der von Lundgreen et al. (siehe oben) für das Projekt »Bildungsbeteiligung und soziale Mobilität in preußischen Städten des 19. Jahrhunderts“ entwickelten und begründeten Klassifikation. Die Parlamentarier können aufgrund ihrer Schul- bzw. Hochschulausbildung in drei klar voneinander abgrenzbare Gruppen gegliedert werden: Absolventen der Volksschule, Absolventen der Mittelschulen (und vergleichbarer Klassenstufen in höheren Schulen) und – im weitesten Sinne – die »Akademiker« (zumindest mit dem »Einjährigen«, mit Abitur, mit Studium oder mit dem Abschluß von Präparandenanstalt/Lehrerseminar). (140)(140) Siemann (Arbeiterführer, S. 20 ff.) sieht in der Bildungsqualifikation das entscheidende soziographische Strukturierungs- bzw. Differenzierungsmerkmal seines Personenkollektivs; entsprechend gruppiert er konsequent nach dem jeweils absolvierten Bildungsgang die Grundgesamtheit »Arbeiterführer“ ebenfalls in drei Gruppen (l. mit Volksschulabschluß, II. mit weiterführender Bildung, III. mit Universitätsstudium).

Von allen Abgeordneten haben mind. 1 297 (54%) nur die Volksschule besucht. (141)(141) BIOKAND: Von allen Reichstagskandidaten haben mehr als vier Fünftel (max. 83,8%) nur die Volksschule besucht. – Siemann erhält bei den Weimarer Arbeiterführern einen Anteil von 86% . Über die beträchtlichen Unterschiede in der Qualität der vermittelten elementaren Schulbildung läßt sich nur vermuten, da nur selten in den Quellen Informationen darüber vorhanden sind. Bei den »Volksschulen« wäre es z. B. wünschenswert gewesen, die einklassigen Volksschultypen (z. B. die traditionale »Dorfschule«) von den mehrklassigen Volksschultypen (vor 1914 keine 8-klassigen, sondern maximal 6-klassige Volksschulen) zu unterscheiden. Dies hätte sich aufgrund der Quellenlage nur in den seltensten Fällen zuverlässig nachweisen lassen. Nur die in den Biographien zahlreichen Hinweise auf ergänzende meist berufsbezogene Fortbildung, z. B. der (derzeit meist freiwillige) Besuch von Fortbildungs- und Gewerbeschulen oder anderer Fortbildungseinrichtungen, ließe hier präzisere Rückschlüsse auf die Bildungssituation der Volksschulabsolventen zu.

Eine besondere Art von Zusatzqualifikation bot sich z. B. vor 1914 durch den Besuch der zentralen Parteischule und/oder Gewerkschaftsschule in Berlin. Die Parteischule wurde 1906 eingerichtet; bis 1914 fanden 7 Halbjahres-Kurse mit insgesamt 203 Teilnehmern statt. (142)(142) Vgl. Dieter Fricke, Handbuch, Bd. I, S. 691-696. Der Besuch der Parteischule sicherte den Teilnehmern in der Regel die anschließende Neueinstellung als »Arbeiterbeamter« bzw. die Förderung der bisherigen Karriere als »Arbeiterbeamter«. Auch für den Einstieg in eine parlamentarische Karriere war dieser Besuch offensichtlich von Nutzen: mind. 41 Parlamentarier absolvierten die zentrale Parteischule, d. h. umgekehrt, daß ca. 20% aller Parteischulabsolventen später ein parlamentarisches Mandat erhielten. Dabei scheinen die Absolventen des Kurses 1907/1908 (mind. 8 Parlamentarier) und des Kurses 1912/13 (mind. 7 Parlamentarier) besonders erfolgreich gewesen zu sein. Der Besuch der zentralen Gewerkschaftsschule in Berlin spielte für die Parlamentarier dagegen nur eine geringe Rolle. Die Gewerkschaftsschule wurde ebenfalls 1906 eingerichtet; bis 1914 fanden 22 Vier- bzw. Sechswochen-Kurse mit insgesamt 1417 Teilnehmern statt. (143)(143) Vgl. Dieter Fricke, Handbuch, Bd. I, S. 696 f. Nur 13 Parlamentarier besuchten nachweislich die gewerkschaftlichen Unterrichtskurse.

Insgesamt mind. 191 (8%) Parlamentarier haben Mittelschulen, (höhere) Bürgerschulen, Realschulen, Lateinschulen oder die Unter- bzw. Mittelstufe von Gymnasien (ohne »Einjähriges«) besucht. (144)(144) BIOKAND: Mindestens 53 (7,8% von 674) Reichstagskandidaten haben Mittelschulen, (höhere) Bürgerschulen, Realschulen, Lateinschulen oder die Unter- bzw. Mittelstufe von Gymnasien (ohne »Einjähriges“) besucht. – Siemann errechnet für die Weimarer Arbeiterführer mit »weiterführender Schulbildung“ einen Anteil von 4%. Unter »Mittelschulen« wurden alle Schultypen subsumiert, die wohl über die Qualifikation der normalen Volksschule hinausführten, jedoch nicht über das Recht zum »Einjährigen«-Abschluß verfügten. Leider wissen wir in den meisten Fällen nicht, ob die Schulen bis zu einer bestimmten Klassenstufe oder bis zum normalen Abschluß besucht wurden. Die immerhin 42 Gymnasiasten ohne »Einjähriges« verließen in der Regel das Gymnasium – oft durchaus plangemäß mit Quarta-Abschluß (dem sogenannten »Handwerker-Abitur«) oder mit Tertia-Abschluß (für den Eintritt in den Postdienst); diese Gymnasiasten als »Schulabbrecher« zu bezeichnen, entspricht zumindest nicht dem zeitgenössischen Verständnis, das nicht nur im »Einjährigen« und im »Abitur« einen regelgerechten Schulabschluß sah.

Im Rahmen des »Berechtigungswesens« im Kaiserreich war zweifellos das Recht des »Einjährigen-Abschlusses das entscheidende Kriterium für die Statusdifferenzierung der unterschiedlichen Schultypen. Diese Bedeutung des »Einjährigen« trifft grundsätzlich – wenn auch in abgeschwächter Form – noch für die Weimarer Republik zu. Unter »höhere Schulen« wurden daher alle Schultypen subsumiert, die zumindest zum »Einjährigen«-Abschluß bzw. zur »Obersekundareife« führten; z. B. »Gymnasium«, »Oberrealschule«, »Realgymnasium«, »Lateinschule«. Die Eingangs-Barriere zum »Berechtigungswesen« im Kaiserreich, das »Einjährige«, überwanden immerhin mind. 230 (10%) der Abgeordneten; darunter befinden sich 10 Frauen (6% von 177). (145)(145) BIOKAND: Diese Eingangs-Barriere zum »Berechtigungswesen“ überwanden immerhin 50 (7,4% von 674) Reichstagskandidaten. Hinzu kommen noch 104 (4%) Volksschullehrer (146)(146) BIOKAND: Unter den Reichstagskandidaten befanden sich nur 6 (ehemalige) Volksschullehrer (l% von 674). , die in der Regel Präparandenanstalt und Lehrerseminar absolviert hatten und die im Kaiserreich bei der Ausübung des Militärdienstes vergleichbare Sonderbedingungen wie die Absolventen des Einjährigen-Freiwilligendienstes vorfanden. Unter den Volksschullehrern befinden sich mind. 14 Frauen (8% von 177). Die Volksschullehrer wurden in der zeitgenössischen SPD vereinfacht mit zu den »Akademikern« gezählt. (147)(147) Die Subsumierung der Volksschullehrer unter den »Akademikern“ z. B. auch bei Bronder, Organisation, S. 122. – Zur »Akademikerfrage“ vgl. u.a. Michels, Soziologie, S. 236-256, 300-315; in soziographischer Hinsicht ausführlich bei: Siemann, Arbeiterführer, S. 126-191; jüngste Gesamtdarstellung bei: Gustav Auernheimer, Genosse Herr Doktor, Zur Rolle von Akademikern in der deutschen Sozialdemokratie, Marburg 1985. 26 (l%) Abgeordnete verließen die höhere Schule mit dem »Einjährigen« und 11 mit dem Abitur (ohne anschließendes Studium). 193 (8%) Abgeordnete (darunter 9 Frauen) absolvierten ein Universitätsstudium, davon verließen 44 (Frauen: 3) die Universität ohne erkennbaren Abschluß. (148)(148) BIOKAND: 2 Reichstagskandidaten verließen das Gymnasium nur mit dem »Einjährigen“, 48 (7,7% von 674) dagegen mit dem Abitur. 43 (6,9% von 674) Reichstagskandidaten absolvierten eine Universitätsstudium, davon verließen nur 12 die Universität ohne erkennbaren Abschluß. – Siemann (Arbeiterführer, S. 21) errechnet für die Weimarer Arbeiterführer mit akademischer Bildung einen relativ hohen Anteil von 10%. Hier sollte man zumindest bei Absolventen von Fächern, die keine formalen staatlichen Abschlüsse aufwiesen, zurückhaltend mit der Bezeichnung »Studienabbrecher« sein. Das Anstreben eines förmlichen Abschlusses eines Universitätsstudiums war insbesondere im Kaiserreich nicht selbstverständlich, d. h. »ohne Abschluß« mußte nicht gleichbedeutend sein mit einem »Studienabbruch« und »ohne Qualifikation«, sondern konnte durchaus berufsqualifizierend sein. Dies galt insbesondere für Studierende mit dem Berufsziel des Journalisten bzw. des »Schriftstellers«. Umgekehrt bedeutet das allerdings auch nicht, daß jeder »Studienabbruch« planvoll und berufsbedingt vollzogen wurde; aber im Verhältnis zur großen Zahl der Akademiker mit formalen Studienabschluß bilden jene Abgeordnete, die aus vorrangig politischen Gründen die Universität vorzeitig verlassen mußten, nur eine kleine Minorität. Insgesamt 89 (4%) Abgeordnete schlossen ihr Universitätsstudium mit der Promotion ab; dem zumindest noch im Kaiserreich weitreichenden Promotionsrecht der Philosophischen Fakultät entsprechend, dominieren die Parlamentarier mit dem Abschluß »Dr.phil.« (35), allerdings dicht gefolgt von denen mit »Dr.jur.« (28) und denen mit »Dr.med.« (15) und »Dr.rer.pol.« (ll). (149)(149) BIOKAND: 23 (3,4% von 674) Reichstagskandidaten schlossen ihr Universitätsstudium mit der Promotion ab; darunter promovierten 13 zum »Dr.phil.«, 5 zum »Dr.jur.«, 3 zum »Dr.med.« und 2 zum »Dr.rer.pol.«. Aber auch eine Reihe von Nicht-Akademikern unter den Abgeordneten erlangte die Doktorwürde; mind. 23 (l%) Parlamentariern wurde in Anerkennung ihrer Verdienste – überwiegend nach 1945 und im fortgeschrittenen Alter – die Ehrendoktorwürde verliehen.

Unter »erlernter« Beruf wird diejenige Tätigkeit verstanden, die der jeweilige Abgeordnete unmittelbar nach seiner Schul- bzw. Universitätsausbildung zumindest eine bestimmte Zeit (d. h. i.d.R. 2 bis 4 Jahre) ausgeübt hat. Die »erlernten« Berufe der Abgeordneten wurden zwar äußerst differenziert erhoben, aber in unserem Zusammenhang aus analytischen Gründen in nur vier Berufsklassen zusammengefaßt: »Ungelernte Arbeiter«, »Gelernte Arbeiter«, »Angestellte« und »Bürgerliche Berufe«. Die Datendichte der Variable »Erlernter Beruf« ist mit 93% der Fälle sehr hoch. Soziale Herkunft und Schulverhältnisse prägten wesentlich die Möglichkeiten der Berufsausbildung: die »Volksschulabsolventen« und die »Mittelschulabsolventen« blieben bestenfalls auf handwerkliche und kaufmännische Lehrberufe verwiesen, nur den »Akademikern« standen die »bürgerlich-akademischen Berufe« offen. Die un- und angelernten Arbeiter, insbesondere Tagelöhner (ohne Spezifikation), Land-, Fabrik- und Bauarbeiter, sind mit einem Anteil von knapp einem Zehntel (mind. 214; 9%) nur gering unter den Parlamentariern repräsentiert. (150)(150) BIOKAND: Die un- und angelernten Arbeiter, insbesondere Tagelöhner, Land-, Fabrik- und Bauarbeiter, sind mit einem Anteil von einem Zehntel (76 = 11,3% von 674) ebenfalls nur gering unter den Reichstagskandidaten repräsentiert. Dieser Anteil wäre noch wesentlich geringer, wenn die Sondergruppe der Tabakarbeiter, die sich nach ihrem Selbstverständnis gern zu den handwerklich gelernten Berufen zählten, nicht amtlicherweise zu den un- und angelernten Arbeiter gerechnet würde. Insgesamt sind die Tabakarbeiter mit einem Anteil von 2% (57) unter den Parlamentariern vertreten, wobei die zahlenmäßige Bedeutung der Tabakarbeiter nur bis 1919/20 (verfassunggebende Landesversammlungen) anhielt und dann stetig abnahm. Die hohe politische Überrepräsentanz der Tabakarbeiter insbesondere im Kaiserreich (151)(151) BIOKAND: Insgesamt sind die Tabakarbeiter mit einem Anteil von 4,3% (29 »gelernte“ Tabakarbeiter) bzw. 4,6% (31, einschl. von 2 »umgeschulten“ Tabakarbeitern) unter den Reichstagskandidaten vertreten. Bezogen auf die Wahlen sank allerdings der Anteil der Tabakarbeiter von 6,9% (= 19, 1898) auf 3,6% (=13, 1912) und bezogen auf die Reichstagsfraktion von 16,1% (1898) auf 6,4% (1912). ist sicherlich eines der auffälligsten Ergebnisse bei der Analyse der erlernten Berufe – eine Überrepräsentanz, die zweifellos ein Ergebnis einer eigentümlichen deutschen Entwicklung darstellt und bestenfalls in der besonderen Bedeutung der amerikanischen Zigarrenmacher für die Gewerkschaftsbewegung in den USA ein Pendant in anderen Ländern findet. Bereinigt man die Zahlen für die ungelernten Arbeiter im Hinblick auf die Tabakarbeiter, dann ergibt sich ein entsprechend geringerer Anteil für die Ungelernten: 6% (mind. 157). Ob bereinigt oder unbereinigt, die un- oder angelernten Arbeiter blieben unter den Parlamentariern eine Ausnahmeerscheinung und waren – gemessen an dem vermuteten Gesamtanteil der un- und angelernten Arbeiter an der Wählerschaft – stark unterrepräsentiert.

Zweifellos ist der gelernte Arbeiter der typische sozialdemokratische Parlamentarier: mind. 1 482 (61%) Abgeordnete haben eine handwerkliche Lehre oder eine Ausbildung als industrielle Facharbeiter absolviert. (152)(152) Dies gilt um so mehr für BIOKAND: Zweifellos ist der gelernte Arbeiter auch der typische sozialdemokratische Reichstagskandidat: insgesamt 78,5% ( = 529 von 674) der Kandidaten haben eine handwerkliche Lehre oder eine Ausbildung als industrielle Facharbeiter absolviert. Ordnet man die erlernten Berufe nach Einzelberufsgruppen, ergibt sich folgende obere Rangliste: 199 (8%) Schlosser (einschl. Klempner und Maschinenbauer), 186 (8%) Tischler (einschl. Klaviermacher), 133 (5%) Buchdrucker (Schriftsetzer), 122 (5%) Maurer (einschl. Stukkateure), 57 (2%) Schuhmacher, 53 (2%) Dreher, 50 Weber (einschl. Wirker), 48 (2%) Schneider, 44 (2%) Maler (einschl. Lackierer und Anstreicher), 42 (2%) Former, 40 (2%) Schmiede und 36 (l%) Zimmerer. Klassifiziert man die erlernten Berufe (nur gelernte Arbeiter) nach der Organisationsstruktur des freigewerkschaftlichen Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) am Ende der Weimarer Republik (1931), dann ergibt sich folgende obere Rangliste: 402 (17%) im Metallarbeiter-Verband, 261 (ll%) im Holzarbeiter-Verband, 145 (6%) im Baugewerksbund, 133 (5%) im Buchdrucker-Verband, 90 (4%) im Bekleidungsarbeiter-Verband, 66 (3%) im Nahrungsmittel- und Getränkearbeiterverband, 57 (2%) im Schuhmacher-Verband und 53 (2%) im Textilarbeiterverband. (153)(153) BIOKAND (Verteilung nach Industrie- und Gewerbegruppen): Holz (1898: 17,9%; 1912: 16,7%); Metall (1898: 13,2%; 1912: 16,1%); Druck und Papier (1898: 10,7%; 1912: 6,6%); Bekleidung/Schuh/ Leder (1898: 13,6%; 1912: 11,2%); Bau (1898: 4,6%; 1912: 12,3%).

Die relativ schwache Repräsentanz der un- und angelernten Arbeiter und die Dominanz der »gelernten« Arbeiter unter den Abgeordneten spiegelt auch in der Grundtendenz die allgemeine Berufsstruktur (nach dem erlernten Beruf) der Parteimitgliedschaft wider. Die sozialdemokratische Partei war im Kaiserreich zweifellos eine Arbeiterpartei, Schätzungen gehen z. B. für die sozialdemokratische Parteimitgliedschaft vor 1914 von einem Anteil der Arbeiter von 80%-90% und einem der »Nicht-Arbeiter« von 5%-20% aus. (154)(154) Vgl. u. a. Adelheid von Saldern, Wer ging in die SPD? Zur Analyse der Parteimitgliedschaft in wilhelminischer Zeit, in: Gerhard A. Ritter (Hrsg.), Aufstieg, S. 161-183; dort findet sich eine komprimierte Übersicht über die soziale und berufliche Herkunft der sozialdemokratischen Parteimitglieder (klassen- und schichtenbezogene sowie berufsspezifische Merkmale) und über die sozio-kultu-rellen Dispositionen (Bildung und Ausbildung, Alter, Gewerkschaften, Zuwanderer, Parteizentren und Parteiprovinzen, begrenzter Stadtaufenthalt, sozialkatholisches Milieu, überdimensionaler Kultursprung, Pendler, Frauen etc.). – Vgl. allgemein zu den »latenten“ und »manifesten“ Determinanten des Organisationsverhaltens: Wilhelm Heinz Schröder, Arbeitergeschichte, passim. Diese Aussage gilt sicher – wenn auch modifiziert – ebenso für die Parteimitgliedschaft in der Weimarer Republik; eine parteieigene Erhebung z. B. ergab am Ende der Weimarer Republik für die sozialdemokratische Parteimitgliedschaft einen Anteil der Arbeiter von 60%, der Angestellten von 10%, der Hausfrauen von 17% und der »Nicht-Arbeiter/Angestellten« von 13%. (155)(155) Die Erhebung wurde 1930 reichsweit durchgeführt; erhoben wurden folgende Merkmale: Beruf, Alter und Dauer der Parteizugehörigkeit der Parteimitglieder. Es wurde eine geschichtete Stichprobe nach Ortsvereinsgröße gezogen; in die Stichprobe gingen 393 Ortsvereine mit 117 247 Mitgliedern ein (bei einer Gesamtmitgliederzahl von 1037 384 Mitgliedern). Im streng statistischen Sinne dürfte diese Stichprobe allerdings nicht als repräsentativ bewertet werden. Die Ergebnisse sind u. a. veröffentlicht worden in: Jahrbuch der Deutschen Sozialdemokratie für das Jahr 1930, Berlin 1930, S. 193-196. Gemessen am erlernten Beruf, wurde die SPD als »Arbeiterpartei« in den deutschen Parlamenten auch weitgehend von »Arbeitern« vertreten.

Die Anzahl der Abgeordneten, die zumindest ursprünglich einen bürgerlich-akademischen Beruf (im oben definierten »weiteren Sinn«) erlernt hatten, ist mit mind. 300 (12%) erwartungsgemäß gering. (156)(156) BIOKAND: Die Anzahl der Kandidaten, die zumindest ursprünglich einen bürgerlich-akademischen Beruf erlernt und ihn meist auch für eine bestimmte Zeit ausgeübt hatten oder noch ausübten, betrug insgesamt 9,2% (62) und blieb – von kleinen Schwankungen abgesehen – bei allen Wahlen absolut konstant (zwischen 34 und 37), entsprechend sank der relative Anteil von 12,1% (1898) auf 10,1% (1912) ab. Ordnet man die erlernten Berufe nach Einzelberufsgruppen, ergibt sich folgende obere Rangliste der »Akademiker«: 141 (6%) Lehrer, 58 (2%) Schriftsteller (Journalisten), 45 (2%) Rechtsanwälte, 19 (l%) Ärzte und 16 (l%) Höhere Beamte. (157)(157) BIOKAND: Auch hier sind nur wenige Einzelberufe zahlenmäßig bedeutsamer vertreten; allen voran die »akademischen“ Redakteure/Schriftsteller (13 oder 14 Vertreter bei jeder Wahl), Rechtsanwälte (zwischen 4 und 10), die Lehrer (zwischen 3 und 6) und noch die Ärzte (2 oder 3). Der Anteil der »Akademiker« wäre jedoch wesentlich geringer, wenn die Gruppe der Lehrer, die sich weitestgehend aus Volksschullehrern ohne eigentliche »akademische« Ausbildung rekrutierte, nicht hinzugerechnet würde. Die Gruppe der »Akademiker« unter den Abgeordneten würde dann nahezu halbiert auf 159 (7%). Ob um die Volksschullehrer »bereinigt« oder nicht, die »Akademiker« blieben unter den sozialdemokratischen Parlamentariern eher Ausnahmeerscheinungen.

Die Verteilung der »erlernten« Berufe der weiblichen Abgeordneten unterscheidet sich erwartungsgemäß von den vorgenannten allgemeinen Ergebnissen. Leider ist die Datendichte mit nur 74% deutlich schlechter als die für alle Abgeordneten. Insbesondere nennen Parlamentarierinnen, die in den Quellen ihren Beruf/Stand mit »Hausfrau« angegeben, oft keinen »erlernten« Beruf; dies hatte offensichtlich vor allem seinen Grund darin, daß viele Frauen ihre früheren Tätigkeiten (z. B. als Dienstmädchen oder als ungelernte Fabrikarbeiterin) nicht als »Beruf« einschätzten und daher auf entsprechende Angaben verzichteten. Ordnet man die erlernten Berufe nach Einzelberufsgruppen, ergibt sich folgende frauenspezifische obere Rangliste: mind. 36 (20% von 177) »Hausangestellte« (Dienstmädchen), 21 (12%) Lehrerinnen, 17 (10%) Handlungsgehilfinnen (Verkäuferinnen), 10 (6%) gelernte Arbeiterinnen in der Bekleidungsindustrie (u. a. 7 Schneiderinnen) und 10 (6%) ungelernte Textilarbeiterinnen.

d) Militärverhältnisse, Eintritt in die Arbeiterbewegung, Familienstand

Die Datendichte der Variable »Militärverhältnisse« ist mit 37% aller Fälle sehr gering. Insgesamt liegen Angaben nur über 901 Abgeordnete (177 militärfreie Frauen und 724 Männer) vor; hinzurechnen kann man noch ca. 30 weitere Abgeordnete, die den Jahrgängen 1900 und jünger angehörten und in der Regel nicht mehr von der Wehrpflicht betroffen gewesen sein dürften. Erfaßt werden sollten alle Parlamentarier, die »gedient« und ggf. an einem der Kriege 1870-1871, 1914-1918 und (vom Lebensalter her nur eingeschränkt) 1939-1945 teilgenommen hatten. Ähnlich wie schon bei der Angabe der Religionszugehörigkeit fehlen in den meisten autobiographischen Quellen der Parlamentarier im Kaiserreich bewußt die Angaben zu den Militärverhältnissen. Erst in den Quellen der Weimarer Zeit wird meist zumindest die Weltkriegsteilnahme erwähnt. Die relativ geringe Datendichte, die auch durch weitere Recherchen nicht sichtbar hätte verbessert werden können, mindert wesentlich die Aussagekraft dieser Variablen. Eine verläßliche Schätzung für die Grundgesamtheit ist nicht möglich.

Nachweisbar »militärfrei« waren nur 63 (3%) männliche Abgeordnete; hinzu kommen die 177 militärfreien weiblichen Abgeordneten und die oben erwähnten ca. 30 »jungen« Abgeordneten, so daß insgesamt mind. 270 (ll%) Abgeordnete militärfrei blieben. Dagegen hatten mind. 661 (27%) Parlamentarier »gedient«; davon nahmen mind. 11 am Deutsch-Französischen Krieg 1870-1871, mind. 479 (20%) am Ersten Weltkrieg 1914-1918 und noch mind. 25 (l%) am Zweiten Weltkrieg 1939-1945 teil; mind. 19 (l%) Abgeordnete nahmen sogar an beiden Weltkriegen teil. Welche militärischen Ränge die Parlamentarier bekleideten, ließ sich nur selten feststellen; nachweisbar dienten im Ersten Weltkrieg mind. 36 Parlamentarier als Offiziere und 26 als Unteroffiziere. Mind. 5 Abgeordnete fielen im Felde (158)(158) BIOKAND: Hier standen nur in gut einem Viertel aller Fälle gesicherte Angaben zur Verfügung. Nachweisbar »militärfrei“ waren nur 30 (4,5%) Reichstagskandidaten. Dagegen hatten mindestens 142 (21,1%) »gedient“; davon nahmen mindestens 9 (l,3%) am Deutsch-Französischen Krieg 1870-1871 und mindestens 54 (8%) am Ersten Weltkrieg 1914-1918 teil. Mindestens 4 Reichstagskandidaten, die am Ersten Weltkrieg teilnahmen, fielen im Felde. ; in insgesamt mind. 67 (3%) Fällen hinterließ die Kriegsteilnahme bei den betroffenen Abgeordneten schwere dauerhafte Kriegsbeschädigungen. Sowohl die Kriegsteilnahme als auch die Kriegsbeschädigung spielten mittelbar in einer Reihe von Fällen eine bedeutsame Rolle für die politische bzw. parlamentarische Karriere. Die Kriegsteilnehmer waren in der Regel im Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold und die Kriegsbeschädigten im Reichsbund der Kriegsbeschädigten organisiert und versahen dort meist führende Funktionen zumindest auf der Lokal-, aber auch auf der Regionalebene. Führende Funktionen in beiden (sozialdemokratisch orientierten) Massenorganisationen scheinen offensichtlich mitentscheidend auch bei der Auswahl der P arlamentskandidaten gewesen zu sein.

Die Datendichte der Variable »Jahr des Beitritts zur Arbeiterbewegung« ist mit 33% sehr gering. Die verläßliche Feststellung des Eintrittsdatums der Parlamentarier in Partei und ggf. Gewerkschaften wird durch eine Reihe gravierender Probleme erschwert. Vor dem Hintergrund der repressiven Vereinsgesetzgebung im Kaiserreich wurde bis 1904 die Mitgliedschaft in der SPD nur vage definiert: »Zur Partei gehörig wird jede Person betrachtet, die sich zu den Grundsätzen des Parteiprogramms bekennt und die Partei nach Kräften unterstützt.« Erst später wurden z. B. einheitliche Mitgliedsbücher eingeführt, was die einfache formale Objektivierung der Parteimitgliedschaft erlaubt. (159)(159) Vgl. oben die Definition eines »sozialdemokratischen“ Abgeordneten. Die notwendigerweise nur vage Definition der Partei-Mitgliedschaft öffnete gerade in den 1880er und 1890er Jahren Tor und Tür für »selbsternannte« Sozialdemokraten. In der Regel hing es in dieser frühen Phase von der subjektiven Einschätzung eines Sozialdemokraten ab, wann er sich zur Partei »zugehörig« gefühlt hat; entsprechend liegen selten die Angaben präziser Eintrittsdaten vor, sondern meistens die Bestimmungen von »Eintritts-Zeiträumen«. Oft machten die Parlamentarier ihren »Eintritt« erst mit der Übernahme der ersten Parteifunktion fest.

Da die Gewerkschaften schon frühzeitig Unterstützungsbücher für Mitglieder, Mitgliedsbücher etc. führten, ist hier eine genauere Bestimmung des Eintrittsdatums möglich. Allerdings unterlag es für die Zeit vor 1890 meist der subjektiven Einschätzung, ob z. B. der »Schlosser-Fachverein« oder der »Reiseunterstützungsverein« schon als »Gewerkschaft« betrachtet wurde oder nicht. Viele Gewerkschaftsmitglieder geben als Eintrittsdatum zu den Gewerkschaften erst das Beitrittsdatum zu einem der großen gewerkschaftlichen Einzelverbände nach 1889/90 an. Die Erhebung sollte den Ersteintritt in eine Organisation der Arbeiterbewegung registrieren, d. h. lagen unterschiedliche Eintrittsjahre für den Eintritt in die Partei und für den Eintritt in die Gewerkschaften vor, dann wurde das früheste Eintrittsjahr erfaßt.

Die meisten Angaben zum Eintrittsdatum sind autobiographische Angaben. Während ein Teil der »älteren« Parlamentarier nur das Jahr oder die Zeitphase angibt, als sie gesinnungsmäßig (nicht unbedingt als aktives Parteimitglied) zur Sozialdemokratie kamen, gibt ein anderer Teil dagegen als Eintrittsdatum z. B. das Gründungsdatum des nominell »sozialdemokratischen« Parteivereins an, während vorhergehende Aktivitäten in »Arbeiter«-Vereinen oder für die noch nicht organisatorisch verfestigte Sozialdemokratie unberücksichtigt bleiben. Je später der Beitritt erfolgte, um so präziser und objektivierbarer ließ sich das Beitrittsdatum eruieren. Ingesamt liegen für die weit überwiegende Mehrheit der Parlamentarier solche autobiographischen Angaben vor.

Bei der Analyse wurden jedoch nur solche Angaben berücksichtigt, die zumindest das präzise Jahr des Eintritts in die Arbeiterbewegung enthielten; dadurch gingen nur noch ein Drittel (795; 33%) aller Fälle in die Analyse mit ein. Danach traten mind. 220 (9%; 28% von 795) der Parlamentarier schon vor dem Fall des Sozialistengesetzes (1890) der Partei oder einer Gewerkschaft bei, mind. 455 (19%; 57% von 795) zwischen dem Fall des Sozialistengesetzes und dem Beginn des Ersten Weltkrieges (1890-1914) und mind. 120 (5%; 15% von 795) erst nach Beginn des Ersten Weltkrieges. (160)(160) BIOKAND: Hier lag das präzise Jahr des Eintritts in die Arbeiterbewegung nur in knapp der Hälfte (44%) aller Fälle vor. Danach traten knapp drei Zehntel (28%) der Reichstagskandidaten schon vor dem Sozialistengesetz der Partei oder einer Gewerkschaft bei und jeweils ein gutes Drittel während des Sozialistengesetze (36%) bzw. nach dem Fall des Sozialistengesetzes (36%). Vor dem Sozialistengesetz gibt es Maxima in den Jahren 1867, 1872 und 1876, während des Sozialistengesetzes in den Jahren 1885, 1887 und 1888, und nach dem Sozialistengesetz in den Jahren 1890 und 1891. Etwa die Hälfte (45%) aller Eintritte erfolgte in dem Jahrzehnt 1884-1893. Die häufigsten Eintritts jähre sind für die Phase bis 1890 die Jahre 1888 (22 Fälle), 1887 (18) und 1885 (15), für die Phase 1890-1914 die Jahre 1903 (32), 1900 (31) sowie 1902 und 1908 (je 26), für die Phase nach 1914 die Jahre 1918 (häufigstes Jahr: 46) und 1919 (26).

Der Entschluß, der Partei oder Gewerkschaft beizutreten, erfolgte in der Regel schon in jungen Jahren: im Jahrzehnt zwischen dem 17. und 26. Lebensjahr traten drei Viertel (75%), in den sieben Jahren zwischen dem 19. und 25. Lebensjahr noch knapp zwei Drittel (63%) der Partei oder Gewerkschaft bei. Im 18. und 19. Lebensjahr, d. h. meist nach Abschluß der Lehre und auf Wanderschaft und im Kaiserreich noch vor dem Militärdienst, finden sich die Ein-tritts-Höchstzahlen: knapp ein Viertel (24%) der Parlamentarier tritt in dieser kurzen Lebensphase bei. Bis zum Ende des dritten Lebens Jahrzehntes waren fast neun Zehntel (87%) Mitglied der Partei oder Gewerkschaft. Entsprechend bilden die Abgeordneten, die erst im vierten (9%) oder sogar erst im fünften Lebensjahrzehnt und später (4%) als Mitglied zur Sozialdemokratie fanden, nur Ausnahmen. Das Eintrittsalter reicht von 14 Jahren bis 68 Jahren und beträgt durchschnittlich 23 Jahre (quantitativ leicht erhöht durch »Ausreißer« mit sehr hohem Eintrittsalter). (161)(161) BIOKAND: Im Jahrzehnt zwischen dem 18. und 27. Lebensjahr traten vier Fünftel (79%), in den sieben Jahren zwischen dem 19. und 25. Lebensjahr noch knapp zwei Drittel (63%) der Kandid aten der Partei oder Gewerkschaft bei. Im 19. und 20. Lebensjahr finden sich die Eintritts-Höchstzahlen: mehr als ein Fünftel (23%) der Reichstagskandidaten tritt in dieser kurzen Lebensphase bei. Bis zum Ende des dritten Lebensjahrzehntes waren schon mehr als neun Zehntel (91%) Mitglied der Partei oder Gewerkschaft.. Kandidaten, die erst im vierten (8%) oder sogar erst im fünften (l%) Lebensjahrzehnt als Mitglied zur Sozialdemokratie fanden, gehören in der Regel erwartungsgemäß den älteren Geburtsjahrgängen vor 1850 an. – Loreck (S. 220-226) erhält auf der Basis von 33 Autobiographien folgende Ergebnisse: Das Parteibeitrittsalter beträgt durchschnittlich 22 Jahre, das Gewerkschaftsbeitrittsalter 21 Jahre. Die Datendichte für das Eintrittsalter der weiblichen Abgeordneten ist leider ebenso gering; die bekannten Daten deuten aber auf ein höheres Eintrittsalter der Frauen hin: im Jahrzehnt zwischen dem 20. und 29. Lebensjahr traten gut drei Viertel (77%) bei. Höchstzahlen finden sich im 23. und 24. Lebensjahr (zusammen 24%); das durchschnittliche Eintrittsalter der Frauen beträgt knapp 26 Jahre.

Die Datendichte der Variable »Heirat« ist mit 42% gering. Neben der Rekonstruktion der typischen Lebenszyklen dient die Untersuchung zum Familienstand vor allem zur Uberprüfung des offensichtlichen Zusammenhangs zwischen »Verheiratet-sein-müssen« und dem Einstieg in eine politische Karriere. Aufschlußreich für die eigentliche Lebenslaufanalyse wäre sicher auch die Erfassung von Informationen zu den Ehegatten und zur Familie des Abgeordneten gewesen; allerdings fehlen hier in den allermeisten Fällen über die kirchlich und/ oder standesamtlich beurkundeten Informationen hinaus Quellen überhaupt bzw. zuverlässige Angaben. Ausnahmen bilden hier vor allem Ehegatten von Parlamentariern, die selbst an führender Stelle politisch und schriftstellerisch aktiv waren. Ahnlich interessant wäre sicherlich die Untersuchung der Umstände und Gründe für die Wiederverheiratung von (mehrfach verheirateten) Abgeordneten gewesen und welchen Einfluß die Wiederverheiratung auf den Karriereverlauf genommen hat. Insbesondere wäre auch der Zusammenhang von Familienverhältnissen und politischer Karriere bei den weiblichen Abgeordneten zu untersuchen.

Nur 42 (2%) Parlamentarier blieben nachweislich ledig; insgesamt dürfte es nur sehr wenige unverheiratete Abgeordnete gegeben haben, ihr Anteil dürfte maximal 5% – 10% betragen haben. Dagegen waren mind. 972 (40%) Abgeordnete nachweislich verheiratet. (162)(162) BIOKAND: Nur 9 (l,3%) Reichstagskandidaten blieben nachweislich ledig; insgesamt dürfte es ebenfalls nur sehr wenige unverheiratete Kandidaten gegeben haben. Ledige sozialdemokratische Spitzenfunktionäre schienen vor dem Ersten Weltkrieg so selten zu sein, daß das Unverheiratetsein z. B. in Nachrufen besonders und nicht ohne versteckte Anspielungen hervorgehoben wurde oder daß das Unverheiratsein erklärt und »entschuldigt“ wurde. Der typische Reichstagskandidat war zweifellos verheiratet. Ohne hier auf die Gründe für die offensichtliche allgemeine Notwendigkeit der Verheiratung einzugehen, dürfte sicher sein, daß der typische Abgeordnete zweifellos verheiratet war. Leider wissen wir nur von drei Zehntel (705; 29%) aller Fälle das präzise Datum der (ersten) Heirat. Drei Fünftel (417; 59%) aller bekannter Heiratsdaten liegt zwischen 1896 und 1913; 1904 mit 29 (l%) Fällen, 1900 mit 28 (1%) und 1910 mit 27 (l%) sind die häufigsten Heiratsjahre. Danach heirateten ca. drei Viertel (76%) der Abgeordneten im dritten Lebensjahrzehnt, insbesondere bei den Männern in den Jahren nach Absolvierung des Militärdienstes (ca. 62%) im Alter von 22-28 Jahren, ca. ein Fünftel (19%) im vierten und nur eine kleine Minderheit (5%) erst im fünften Lebensjahrzehnt oder sogar noch später. (163)(163) BIOKAND: Die Datendichte beträgt im Hinblick auf das präzise Datum der (ersten) Heirat nur 17%. Vier Fünftel aller bekannter Heiratsdaten liegen zwischen 1888 und 1901 (mit einem Maximum beim ersten Jahrhundertjahr 1900). Danach heirateten ca. 80% im dritten Lebensjahrzehnt, insbesondere in den Jahren nach Absolvierung des Militärdienstes (ca. im Alter von 22-28 Jahren), ca. 15% im vierten und ca. 5% erst spät im fünften Lebensjahrzehnt. Das Heiratsalter reicht von sehr jungen 17 Jahren bis hin zu sehr alten 77 Jahren und beträgt durchschnittlich 28 Jahre (quantitativ stark erhöht durch »Ausreißer« mit sehr hohem Heiratsalter). Das durchschnittliche Heiratsalter der Abgeordneten (einschließlich der durchschnittlich früher heiratenden Frauen) unterscheidet sich damit nicht wesentlich vom durchschnittlichen Heiratsalter der Männer im Deutschen Reich insgesamt, das im Untersuchungszeitraum ca. 29-30 Jahre betrug. (164)(164) Vgl. William H. Hubbard, Familiengeschichte, S. 78.

Die verfügbaren Daten über das Heiratsalter der weiblichen Abgeordneten deuten auf ein erheblich jüngeres Heiratsalter hin: ca. zwei Drittel (65%) der Frauen waren spätestens mit 24 Jahren verheiratet; das Heiratsalter der Frauen beträgt durchschnittlich nur 24 Jahre und liegt damit deutlich unter dem aller verheirateten Abgeordneten. Das durchschnittliche Heiratsalter der Parlamentarierinnen unterscheidet sich damit nicht wesentlich vom durchschnittlichen Heiratsalter der Frauen im Deutschen Reich insgesamt, das im Untersuchungszeitraum ca. 25-26 Jahre betrug. (165)(165) Vgl. William H. Hubbard, Familiengeschichte, S. 78. Für die Parlamentarierinnen wurde zusätzlich die eheliche »Fruchtbarkeit« erhoben, da die Zahl der Kinder wesentlich die Handlungsspielräume für politische Aktivitäten bestimmte. Von 46 verheirateten Parlamentarierinnen liegen Angaben vor: danach blieben mind. 4 Frauen ohne Kinder, 23 hatten 1 Kind, 6 hatten 2 Kinder, 10 hatten 3 Kinder, 1 hatte 4 Kinder und 2 hatten 6 Kinder.

Mindestens 123 (5%) Abgeordnete haben mehrfach die Ehe geschlossen: davon 117 zweimal und 6 dreimal. Ob der zweiten Eheschließung der Tod des ersten Ehepartners oder eine Scheidung vom ersten Ehepartner vorausging, läßt sich in den meisten Fällen nicht belegen. Orientiert man sich an allgemeinen Daten für die Zeit des Kaiserreichs und der Weimarer Republik, dann waren bei einer Wiederverheiratung die Männer zu ca. 8%-12,5% verwitwet und zu ca. 1%-12% geschieden, die Frauen zu ca. 5%-7% verwitwet und zu ca. 2%-8% geschieden. (166)(166) Vgl. William H. Hubbard, Familiengeschichte, S. 75. 74 Nur für die weiblichen Abgeordneten wurden vergleichbare Daten erhoben: danach waren mind. 18 (10%) frühzeitig verwitwet und mind. 7 (4%) geschieden.

Bemerkenswert in diesem Zusammenhang sind auch die Verwandtschaftsbeziehungen unter den Parlamentariern. Enge Verwandtschaftsbeziehungen im Rahmen der Kernfamilie lassen sich in einer überraschend hohen Zahl von Fällen nachweisen, zudem muß man auch hier ebenfalls von einer Dunkelziffer nicht definitiv nachweisbarer Beziehungen (Informationsdefizite sind insbesondere bei dem Nachweis »angeheirateter« Verwandter zu vermuten) ausgehen. Offensichtlich spielte auch in der Sozialdemokratie die Familie als »Mittel« der Politik eine bedeutsame Rolle: diese reicht von dem Vorteil, Sohn eines erfolgreichen Politikers zu sein (z. B. Karl Liebknecht), bis hin zu einer Art »Verheiratungsstrategie« von Töchtern bekannter Politiker mit aufstrebenden (oft akademisch gebildeten) Parteigenossen (z. B. die Ehe von Dr. Benno Chajes mit der Stieftochter Eduard Bernsteins). Nimmt man nicht nur die Parlamentarier in den Blick, sondern bezieht auch nichtparlamentarische Führungsgruppen der Sozialdemokratie mit ein, dann ließen sich vermutlich auch erstaunliche konnubiale Verflechtungen innerhalb der Führungsgruppen feststellen.

Die Relation »Vater-Sohn« besteht bei den Parlamentariern in 11 Fällen (d. h. es betrifft 22 Abgeordnete, immerhin knapp 1% aller Abgeordneten): Friedrich und Friedrich (jun.) Ebert (beide MdR), Friedrich und Heinrich Eckardt (beide eine Zeitlang gleichzeitig MdL Meiningen), Hermann und Karl Garbe (beide MdL Preußen), Bruno und Hans Geiser, Friedrich und Kurt Geyer (beide eine Zeitlang gleichzeitig MdR), Heinrich und Wilhelm Hansmann, Wilhelm und Karl Liebknecht (beide MdR), Wilhelm und Theodor Liebknecht, Friedrich und Gerhart Seger (beide MdR), Heinrich sen. und Heinrich jun. Wassermann (beide MdL Braunschweig) sowie Karl Friedrich und Victor Weigelt (beide MdL Meiningen). Die Relation »Vater-Tochter« gibt es nur zweimal: Ernst und Luise Kräuter (beide MdL Baden) sowie Gustav Kittler und Emilie Hiller (beide MdL Württemberg). Die Relationen »Mutter-Sohn« und »Mutter-Tochter« sind dagegen nicht nachweisbar. Die Relation »Bruder-Bruder« existiert in 7 Fällen: Adolf und Heinrich Braun (beide MdR), Heinrich und Karl Fick (beide eine Zeitlang gleichzeitig MdL Oldenburg), Eugen und Oscar Geck, August und Paul Junke (beide eine Zeitlang gleichzeitig MdL Braunschweig), Karl und Theodor Liebknecht (beide MdL Preußen), Adam und Hermann Remmele (beide eine Zeitlang gleichzeitig MdR, allerdings nicht in derselben Fraktion) sowie Heinrich und Wilhelm Stolle (beide eine Zeitlang gleichzeitig MdL Sachsen). Die Relation »Bruder-Schwester« kommt zweimal vor: Anna und August Siemsen (beide eine Zeitlang gleichzeitig MdR) sowie Christina Noll und Georg Simon; die Relation »Schwester – Schwester« kommt nur einmal vor: Marie Juchacz und Elisabeth Kirschmann-Röhl (beide geb. Gohlke, beide eine Zeitlang gleichzeitig MdR).

Die mit Abstand häufigste Verwandtschaftsrelation bildet mit insgesamt 18 Fällen »Ehefrau-Ehemann«: Anna und Wilhelm Bios (beide MdR), Elisabeth und Friedrich Frerichs (beide eine Zeitlang gleichzeitig MdL Oldenburg), Anna und Kurt Geyer, Frieda und Paul Hauke, Luise und Franz Jäckstat (beide eine Zeitlang gleichzeitig MdL Lübeck), Else (Höfs) und Karl Kirchmann (beide eine Zeitlang gleichzeitig MdL Preußen), Elisabeth (Röhl) und Emil Kirschmann (beide MdR), Marie und Fritz Kunert (beide MdR), Selma und Max Lohse, Emilie und Georg Mauerer, Helene und Wilhelm Mengel (beide eine Zeitlang gleichzeitig MdL Lübeck), Maria und Gottlieb Reese, Amalie und Albert Rudolph (beide gleichzeitig MdL Sachsen-Weimar), Ida und Gustav Stengele (beide MdL Hamburg), Ida und Albin Undeutsch (beide gleichzeitig MdL Braunschweig), Fanny und Karl Vorhölzer (beide gleichzeitig MdL Württemberg), Mathilde und Emmanuel Wurm (beide MdR) sowie Anna und Hans Ziegler.

e) Gesamtberufskarriere

Unter »ausgeübter« Beruf soll diejenige Tätigkeit verstanden werden, die der Kandidat zur Zeit der Wahl überwiegend verrichtet und die als Haupterwerb dient. Die Datendichte der Variable »Ausgeübter Beruf bei erstem Mandatsantritt« ist mit 99% nahezu lückenlos. Wie alle Berufsangaben wurde auch der »ausgeübte« Beruf der Abgeordneten äußerst differenziert erhoben. Klassifiziert man dennoch die ausgeübten Berufe bei erstem Mandatsantritt aus analytischen Gründen nach nur 8 Statusgruppen erhält man folgende Verteilung: 64 (3%) »Unselbständige ungelernte Arbeiter«, 304 (13%) »Unselbständige gelernte Arbeiter«, 142 (6%) »Untere/Mittlere Angestellte/Beamte«, 293 (12%) »Selbständige«, 198 (8%) »Bürgerliche Berufe«, 132 (5%) »Politische Beamte«, 1 142 (47%) »Arbeiterbeamte« und 125 (5%) »Ohne Beruf«. (167)(167) Die zur Zeit der Kandidatur ausgeübten Berufe bei BIOKAND, zusammengefaßt nach der BIOSOP-Klassifikation: 2 (l%; 1898) bzw. 0 (0%; 1912) „Unselbständige ungelernte Arbeiter“; 26 (9%; 1898) bzw. 6 (2%; 1912) „Unselbständige gelernte Arbeiter“ (einschließlich „Untere/Mittlere Angestellte“); 92 (33%; 1898) bzw. 35 (10%; 1912) „Selbständige“; 10 (4%; 1898) bzw. 15 (4%; 1912) „Bürgerliche Berufe“; 0 (0%; 1898 und 1912) „Politische Beamte“ (Beamtenstatus und SP-Mitgliedschaft waren im Kaiserreich inkompatibel); 148 (53%; 1898) bzw. 310 (85%; 1912) „Arbeiterbeamte“.

Immerhin 368 (15%) Parlamentarier übten bei ihrem ersten Mandatsantritt ihren unselbständigen Arbeiterberuf noch aus und hatten zumindest nominell keinen beruflichen bzw. sozialen Aufstieg vollzogen. An Einzelberufsgruppen dominieren hier handwerkliche Grundberufe: 52 (2%) Schlosser, 41 (2%) Maurer, 25 (l%) Tischler und 24 (l%) Buchdrucker. Abgeordnete, die zumindest bei erstem Mandatsantritt noch einen unselbständigen Arbeiterberuf ausüben, bilden im Reichstag und in den Landtagen der größeren Länder nur Ausnahmen und kommen weitestgehend nur in den Landtagen kleinerer Länder vor.

Ebenso typisch für Landtage kleinerer Länder sind die nur 142 (6%) Abgeordneten, die bei Mandatsantritt noch als »Untere/Mittlere Angestellte/Beamte« beschäftigt waren. Nach der amtlichen Zuordnung müßten zu dieser Gruppe auch die 102 Volks- und Mittelschullehrer als Angehörige des »Mittleren Beamtendienstes« gerechnet werden, dann würde diese Gruppe insgesamt 244 (10%) Abgeordnete zählen. Diese ohne die Lehrer nur sehr kleine Statusgruppe umfaßt sowohl Abgeordnete, die ehemals einen Arbeiterberuf ausgeübt und wahrscheinlich schon einen beruflichen Aufstieg erlebt hatten, und solche Abgeordnete, die hier ihren erlernten Beruf noch ausüben und wahrscheinlich keinen beruflichen Aufstieg bis dahin erlebt hatten. An Einzelberufsgruppen dominieren hier: 39 mittlere und 24 untere Angestellte/ Beamte im öffentlichen Dienst (ohne politische Beamte), 23 Büroangestellte, 15 Werkmeister, 15 Handlungsgehilfen und 11 Techniker/Ingenieure. Nicht zu dieser Gruppe (sondern zu den Arbeitern) gezählt wurden definitionsgemäß die Arbeiter bei der Eisenbahn (20), Post (7) und bei den Gemeinden (l0).

Insgesamt 293 (12%) Abgeordnete waren bei Erstmandatsantritt als »Selbständige« tätig; nur im Kaiserreich konnten die Selbständigen als sozialdemokratische Parlamentarier eine zahlenmäßig bedeutsame Rolle spielen. Die 81 (2%) Handwerksmeister (darunter u. a. 18 Tischler-, 14 Schneider- und 13 Schuhmachermeister) und 42 (l%) Kleinfabrikanten rekrutierten sich ausnahmslos aus ehemaligen Arbeitern/Handwerkern, d. h. zumindest formal hatte dieser Teil der Arbeiterschaft im Rahmen der intragenerationellen Mobilität ganz und im Rahmen der intergenerationellen Mobilität teilweise einen Aufstieg in die untere Mittelschicht bzw. in das Kleinbürgertum vollzogen. Die 89 (2%) Kaufleute (in der Regel Kleinhändler) rekrutierten sich ebenfalls weit überwiegend aus ehemaligen Arbeitern. Während bei den Väterberufen die Bauern immerhin noch mit mind. 97 Fällen vertreten waren, war mit 21 (1%) die Zahl der selbständigen Landwirte (überwiegend Kleinbauern, teilweise mit einem Nebenberuf) unter den Abgeordneten verschwindend gering; da sie zudem über eine Reihe von Parlamenten verstreut waren, gehörte in der Regel höchstens ein einziger Landwirt der sozialdemokratischen Fraktion an.

Insgesamt 198 (8%) Abgeordnete übten beim Erstmandatsantritt noch einen »Bürgerlichen Beruf« aus. Ordnet man die bürgerlich-akademischen Berufe nach Einzelberufsgruppen, dann dominieren hier folgende Berufe: 107 (4%) Lehrer, 35 (l%) Rechtsanwälte, 26 (l%) Höhere Beamte und 14 (l%) Arzte. Mind. 102 »gelernte Akademiker« waren inzwischen in andere Statusgruppen übergewechselt, insbesondere zur Statusgruppe der »Arbeiterbeamten« (als Schriftsteller/Journalisten/Dozenten etc.) und zu der der »Politischen Beamten« (als Minister, Staatssekretäre, Ministerialbeamte etc.).

In die Statusgruppe der »Politischen Beamten« überzuwechseln, war zumindest für sozialdemokratische Abgeordnete erst seit dem November 1918 möglich. Insgesamt 132 (5%) Abgeordnete rückten in der Weimarer Republik bei ihrem ersten Mandat als »Politische Beamte« in das Parlament ein. Im Kaiserreich blieben Sozialdemokraten vom öffentlichen Dienst ausgeschlossen, eine personelle Beteiligung der SPD sogar an der Reichsregierung oder an den Bundesländerregierungen war zumindest bis 1917/18 undenkbar. Zumindest in den Anfangsjahren der Weimarer Republik war die SPD nicht nur an der Reichsregierung, sondern auch an zahlreichen Länderregierungen beteiligt; ebenso hatten Sozialdemokraten – wenigstens prinzipiell – Zugang zu allen Ebenen der öffentlichen Verwaltung. Da die Parlamentarier zweifellos wesentliche Teile der disponiblen politischen Funktionselite der SPD, die für Amter in der öffentlichen Verwaltung vorrangig in Frage gekommen waren, umfaßten, war eine sichtbare Partizipation der Parlamentarier an der Vergabe öffentlicher Amter zu erwarten. Inwieweit es den sozialdemokratischen Parlamentariern gelungen war, diese Erwartungen zu erfüllen, läßt sich erst ermessen, wenn man nicht nur den Beruf bei Erstmandatsantritt, sondern die Gesamtberufskarriere in den Blick nimmt. Die folgenden Angaben beziehen sich sinnvollerweise nur auf die 1919 noch lebenden Parlamentarier (max. 2 298). Die Erfolgsbilanz der Parlamentarier im Hinblick auf die Besetzung von Ämtern in der allgemeinen Politik/ öffentlichen Verwaltung in der Weimarer Republik ist allerdings beeindruckend:

Funktionsebene »Reich«:
  17 (l% von 2298) Abgeordnete avancierten zu Mitgliedern der Reichsregierung (Volksbeauftragte, Reichskanzler, Reichsminister); 192 (8% von 2 298) Abgeordnete übernahmen Funktionen in der Reichsverwaltung (Staatssekretär, Gesandter, Reichsministerialrat, Reichskommissar, . . . Beamter im Reichsdienst).
Funktionsebene »Länder«:;
  220 (10%) Abgeordnete wurden als Mitglieder von Länderregierungen (Volksbeauftragte, Ministerpräsident, Minister, Staatsrat im Ministerrang, Senator der Stadtstaaten . . .) berufen; 400 (17%) übernahmen (hauptamtliche) Funktionen in der Landesverwaltung (Staatssekretär, Staatsrat ohne Ministerrang, Gesandter bei der Reichsregierung, Regierungsrat, Oberpräsident, . .. Beamter in der Landesverwaltung).
Funktionsebene »Bezirke und Kreise«:
  138 (6%) Abgeordnete rückten in (hauptamtliche) Positionen der Bezirk- und Kreisverwaltung (Regierungspräsident, Landrat, Kreisdirektor . . . Beamter der Bezirks- und Kreisverwaltung) ein.
Funktionsebene »Städte und Gemeinden«:
  457 (20%) Abgeordnete rückten in (hauptamtliche) Positionen der Kommmunalverwaltung (Oberbürgermeister, Bürgermeister, besoldeter Stadtrat, Arbeitsamtsdirektor, .. . Beamter der kommunalen Verwaltung) ein. (168)(168) BIOKAND (Die folgenden Angaben beziehen sich sinnvollerweise nur auf die zumindest 1919 noch lebenden Reichstagskandidaten, d. h. n = max. 554): 4-12 (= 2,2% von 554) Kandidaten übernahmen Funktionen in der Reichsregierung und 60 (10,8%) Kandidaten in der Reichsverwaltung; 56 (10,1%) Kandidaten übernahmen Funktionen in den Länderregierungen und 89 (16,1%) in der Landesverwaltung; 37 (6,7%) Kandidaten übernahmen Funktionen in der Bezirks- und Kreisverwaltung; 66 (11,9%) Kandidaten übernahmen Funktionen in der Kommmunalverwaltung.

Unter »hauptamtlicher« Tätigkeit soll in der Regel die Tätigkeit verstanden werden, die überwiegend verrichtet wird und zum Haupterwerb dient (vgl. »ausgeübter« Beruf). Einschränkend muß allerdings bemerkt werden, daß hier die Dauer der Positionen in der Politik/ öffentlichen Verwaltung nicht berücksichtigt worden ist; viele der Spitzenämter, z. B. die Ministerämter auf Reichs- und Landesebene, sind selten langfristig, sondern meist nur kurzfristig von den Betroffenen ausgeübt worden. Aber insgesamt zeigt sich im Vergleich mit dem Kaiserreich ein starker Wandel in der Berufsstruktur der Parlamentarier in der Zeit der Weimarer Republik. Während die Arbeiterbewegung relativ schnell ihre einseitige Rolle als nahezu exklusiver Arbeitgeber der Abgeordneten verlor, rückte vor allem der öffentliche Dienst als hauptamtliches Tätigkeitsfeld in den Vordergrund; zudem wurden die Grenzen zwischen öffentlichem Dienst und Dienst in der Arbeiterbewegung durchlässig, so daß der Wechsel von dem einen in den anderen Dienst oder die Rückkehr in den vorherigen Dienst zumindest prinzipiell möglich wurden.

Die im Kaiserreich sehr stark und in der Weimarer Republik noch stark dominierende Statusgruppe bilden die sogenannten »Arbeiterbeamten«. Unter der Bezeichnung »Arbeiterbeamte« werden im Sinne des zeitgenössischen Sprachgebrauchs alle hauptamtlichen Tätigkeiten subsumiert, bei denen einer der Sektoren der Arbeiterbewegung – Partei, Gewerkschaft, Genossenschaft, sonstige Arbeiterverbände – unmittelbar oder wie bei den Krankenkassen mittelbar als Arbeitgeber fungierte. Tatsächlich gaben viele Abgeordnete schon vor dem Einzug in das Parlament irgendwann den bisherigen Beruf auf und wechselten in eine Arbeiterbeamtenposition; bei Erstmandatsantritt waren 1 142 (47%) Abgeordnete als Arbeiterbeamte beschäftigt. Die Arbeiterbeamten waren allerdings in den einzelnen Bereichen der Arbeiterbewegung in höchst unterschiedlicher Zahl beschäftigt.

Innerhalb der sozialdemokratischen Parteiorganisation waren bei Erstmandatsantritt 192 (8%) Abgeordnete beschäftigt; hier handelt es sich hauptsächlich um die verschiedenen Varianten des Parteisekretärs (differenziert nach Funktionsebenen), aber auch um Positionen im Büro- und sonstigem Hilfspersonal. Die 192 Parteibeamten verteilen sich folgendermaßen auf die einzelnen Positionen: 14 Sekretäre im zentralen Parteivorstand, 80 Landes- und Bezirksparteisekretäre, 16 Wahlkreis- und Unterbezirksparteisekretäre, 79 Ortsparteisekretäre und nur 3 Angestellte des Büro- und Hilfspersonals. Im Rahmen der Gesamtberufskarriere nahmen 410 (17%) Abgeordnete dauerhaft oder vorübergehend eine hauptamtliche Position innerhalb der Partei ein.

Innerhalb der sozialdemokratischen Parteipublizistik waren bei Erstmandatsantritt 342 (14%) Abgeordnete beschäftigt; hier handelt es sich um eine Vielzahl von Tätigkeiten, insbesondere im Redaktionsbereich (freie Schriftsteller, Redakteure, Berichterstatter, Büropersonal), im administrativen/distributiven Bereich (»Buchdruckereibesitzer«, Geschäftsführer, Expedienten, Spediteure, Buchhändler, Akquisiteure, Kolporteure) und im drucktechnischen Bereich (Maschinenmeister, Korrektoren, Metteure, Drucker, Schriftsetzer). Die 342 Publizistikbeamten verteilen sich folgendermaßen auf die einzelnen Bereiche (Positionen): 246 (10%) im Redaktionsbereich (32 freie Schriftsteller, 210 Redakteure, 4 Berichterstatter), 90 (4%) im administrativen/distributiven Bereich (51 Geschäftsführer, 25 Expeditionsangestellte, 7 Buchhandlungsangestellte, 2 Akquisiteure, 5 Positionen im Büro- und Hilfspersonal) und nur 6 Positionen im drucktechnischen Bereich. Im Rahmen der Gesamtberufskarriere nahmen 572 (24%) Abgeordnete dauerhaft oder vorübergehend eine hauptamtliche Position innerhalb der Parteipublizistik ein.

Innerhalb der sozialdemokratisch orientierten »freien« Gewerkschaftsbewegung waren bei Erstmandatsantritt 414 (17%) Abgeordnete beschäftigt; hier handelt es sich hauptsächlich um die verschiedenen Varianten des Gewerkschaftssekretärs/-angestellten (differenziert nach Funktionsebenen), aber auch um die zumindest im Kaiserreich besonders wichtige Position des Arbeitersekretärs. Die 414 Gewerkschaftsbeamten verteilen sich folgendermaßen auf die einzelnen Funktionsebenen bei der Generalkommission/dem ADGB-Bundesvorstands und den Einzelgewerkschaften: 58 (2%) Positionen in den Reichsverwaltungen (Haupt- und Zentralvorstände), 90 (4%) in den Bezirks- bzw. Gauverwaltungen und 201 (8%) in Ortsverwaltungen, dazu 65 (3%) Arbeitersekretäre. Die 349 Gewerkschaftsbeamten (ohne Arbeitersekretäre) waren insbesondere in folgenden Einzelgewerkschaften (Klassifikation nach dem Stand von 1931) beschäftigt: 72 (3%) im Metallarbeiter-Verband, 39 (2%) im Baugewerksbund, 25 (l%) im Gesamtverband der Arbeitnehmer der öffentlichen Betriebe etc., je 23 (l%) im Fabrikarbeiterund Landarbeiterverband, 21 (l%) im Textilarbeiterverband, 15 im Holzarbeiter-Verband, 14 im Bergarbeiter-Verband und 12 im Eisenbahner-Verband; bei der Generalkommission bzw. beim ADGB-Bundesvorstand waren 38 Abgeordnete beschäftigt. Im Rahmen der Gesamtberufskarriere nahmen 570 (24%) Abgeordnete dauerhaft oder vorübergehend eine hauptamtliche Position innerhalb der Gewerkschaftsbewegung ein.

Innerhalb der Genossenschaftsbewegung (Konsum- und Produktionsgenossenschaften, einschließlich der genossenschaftlichen Versicherung »Volksfürsorge«) waren bei Erstmandatsantritt 114 (5%) Abgeordnete beschäftigt; hier handelt es sich hauptsächlich um die verschiedenen Varianten des Genossenschaftssekretärs/-angestellten (differenziert nach Funktionsebenen). Die 114 Genossenschaftsbeamten waren weitestgehend in den Konsumgenossenschaften, weniger in den Produktionsgenossenschaften und (seit 1913) bei der »Volksfürsorge« beschäftigt, sie verteilen sich folgendermaßen auf die einzelnen Funktionsebenen: 7 Positionen in der Reichsverwaltung, 2 in den Bezirks- bzw. Gauverwaltungen und 105 in Ortsverwaltungen (Geschäftsführer, Kassierer, Lagerhalter, Verkäufer). Im Rahmen der Gesamtberufskarriere nahmen 222 (9%) Abgeordnete dauerhaft oder vorübergehend eine hauptamtliche Position innerhalb der Genossenschaftsbewegung ein.

Innerhalb der sonstigen Kultur- und Massenorganisationen der Arbeiterbewegungen (u. a. Arbeiter-Sport, Arbeiter-Sängerbewegung, Arbeiter-Esperanto-Bund, Arbeiter-Abstinenten-bund, Arbeitersamariter-Bund, Freidenker-Bewegung) waren bei Erstmandatsantritt nur 20 (l%) Abgeordnete beschäftigt; hier handelt es sich hauptsächlich um die verschiedenen Varianten der Angestellten der sonstigen Kultur- und Massenorganisationen (differenziert nach Funktionsebenen). Die 20 Angestellten der proletarischen Massenverbände verteilen sich folgendermaßen auf die einzelnen Funktionsebenen: 4 Positionen in der Reichsverwaltung, 5 in den Bezirks- bzw. Gauverwaltungen und 11 in den Ortsverwaltungen. Im Rahmen der Gesamtberufskarriere nahmen allerdings 442 (18%) Abgeordnete dauerhaft oder vorübergehend eine hauptamtliche Position bzw. eine teilbesoldete Spitzenfunktion innerhalb der sonstigen Kultur- und Massenorganisationen der Arbeiterbewegung und weiterer Verbände ein.

Innerhalb der Krankenkassen (allgemeine und berufsbezogene Krankenkassen sowie das einschlägige Versicherungswesen) waren bei Erstmandatsantritt 60 (2%) Abgeordnete beschäftigt; hier handelt es sich hauptsächlich um die verschiedenen Varianten der Angestellten der öffentlichen (Allgemeinen) Ortskrankenkassen und der Berufskrankenkassen (differenziert nach Funktionsebenen). Die Krankenkassenangestellten verteilen sich folgendermaßen auf die einzelnen Funktionsebenen: 9 Positionen in der Reichsverwaltung und 51 in den Ortsverwaltungen (Rendant, Geschäftsführer, Kassierer, Kontrolleur). Im Rahmen der Gesamtberufskarriere nahmen 118 (5%) Abgeordnete dauerhaft oder vorübergehend eine hauptamtliche Position innerhalb der Krankenkassen ein.

Insgesamt 125 (6%) Abgeordnete gehören in die Statusgruppe »Ohne Beruf«; diese Gruppe setzt sich fast nur aus weiblichen Abgeordneten zusammen: 113 Hausfrauen und 12 (männliche) Rentner/Privatiers. Die Verteilung der bei Mandatsantritt ausgeübten Berufe der Frauen wird entsprechend dominiert durch die zahlreichen Hausfrauen (64% von 177), andere Statusgruppen fallen bei den Parlamentarierinnen dagegen kaum ins Gewicht: 29 (16%) »Arbeiterbeamte« (5 Partei, 12 Parteipublizistik, 8 Gewerkschaften, 2 Genossenschaften, 1 Sonstige), 14 »Bürgerliche Berufe« (u.a. 11 Lehrerinnen), 9 (5%) »Untere/Mittlere Angestellte/ Beamte«, 8 (5%) »Unselbständige Arbeiter«, 2 (l%) »Politische Beamte« und 2 (l%) »Selbständige«.

f) Parlamentarische Mandate

Schon Robert Michels weist auf den allgemein verbreiteten parlamentarischen Charakter des »politischen Führertums in der Demokratie« und auf den besonders hohen Grad von Parlamentarismus in der deutschen Sozialdemokratie hin (z. B. die »Parlamentarisierung« des Parteivorstands). (169)(169) Michels, Soziologie, S. 134-141; vgl. u. a. BIOKAND-Handbuch, S. 15-21. Die Bedeutung vor allem der Reichstagswahlen als wichtigster Gradmesser des erreichten politischen Erfolges ist an anderer Stelle schon beschrieben worden. Einen ähnlich hohen – wenn auch ebenfalls nicht unumstrittenen – Stellenwert besaß die Arbeit der Abgeordneten in den Parlamenten; auch hier hat Robert Michels schon eine Reihe anschaulicher Belege angeführt. Entsprechend entsandte die SPD nach Möglichkeit ihre hervorragendsten Parteipolitiker in die Parlamente, bevorzugt in den Reichstag, aber seit den 1890er-Jahren – trotz restriktiver Wahlgesetzgebung – in zunehmenden Maße auch in die Landtage. Parlamentarier zu werden, wurde für die ambitionierten politischen Funktionäre zur obligatorischen Zielprojektion der angestrebten politischen Karriere. Parlamentarier zu sein, war nicht nur innerhalb der Parteibewegung mit einem oft sprunghaften Statuszuwachs verbunden, sondern bedeutete auch die Chance auf mehr Unabhängigkeit von der Parteibasis und den Parteigremien. Das parlamentarische Mandat dauerte in der Regel mehrere Jahre und konnte formell zumindest von der Partei nicht entzogen werden; erst nach Ablauf des Mandats und bei der Notwendigkeit, erneut als aussichtsreicher Kandidat nominiert zu werden, wäre ein direktes Eingreifen der Partei wieder möglich. Als besonders wichtiges Argument für ein bestimmtes Maß an Unabhängigkeit von der Partei konnte zudem in die Debatte eingebracht werden, daß der Abgeordnete primär seinen (parteipolitisch oft nicht organisierten) Wählern gegenüber verpflichtet war und erst sekundär seiner Partei gegenüber, die ihn nominiert hatte.

Insgesamt 2 420 Sozialdemokraten bewarben sich im Untersuchungszeitraum erfolgreich um ein Reichs- und/oder Landtagsmandat. 562 (23%) zogen als Parlamentarier in den Reichstag ein, davon 125 (5%) nur im Kaiserreich, 346 (14%) nur in der Weimarer Republik (darunter 49 Frauen) und 91 (4%) sowohl im Kaiserreich als auch in der Weimarer Republik. 2 062 (85%) zogen als Parlamentarier in einen Landtag ein, davon 186 (8%) nur im Kaiserreich, 1 684 (70%) nur in der Weimarer Republik (darunter 138 Frauen) und 192 (8%) sowohl im Kaiserreich als auch in der Weimarer Republik. (170)(170) BIOKAND: 348 (51,6%) Reichstagskandidaten bewarben sich im Kaiserreich und/oder in der Weimarer Republik erfolgreich um ein Mandat: 224 (33,3%) zogen als Parlamentarier in den Reichstag und ebenso 224 (33,3%) in einen Landtag ein, 100 (14,8%) sowohl in den Reichstag als auch in einen Landtag und 124 (18,4%) nur in einen Landtag. 87 (12,9%) übten ihr Reichstagsmandat sowohl im Kaiserreich als auch in der Weimarer Republik aus und 63 (9,3%) in beiden Phasen ein Landtagsmandat. »Doppelmandate« (d. h. in diesem Zusammenhang die gleichzeitige Ausübung von Reichs- und Landtagsmandat) waren in der Partei in der Regel unerwünscht, wurden aber im Kaiserreich bei prominenten Politikern geduldet. In der Weimarer Republik untersagte schon der Weimarer SPD-Parteitag 1919 die Ausübung von Doppelmandaten (mit einigen wenigen »erlaubten« Ausnahmen); dieser Beschluß wurde auch weitestgehend befolgt, so daß z. B. in den Reichstag gewählte oder nachrückende Landtagsabgeordnete vor Eintritt in den Reichstag ihr Landtagsmandat niederlegten. Vor diesem Hintergrund erklärt sich der relativ geringe Anteil von solchen Abgeordneten (204; 8%; darunter 10 Frauen), die (in der Regel nacheinander) sowohl ein Reichstags- als auch ein Landtagsmandat ausübten.

Die Verteilung des »Erstwahljahres« (d. h. desjenigen Jahres, in dem der jeweilige Abgeordnete zum ersten Mal in ein Parlament gewählt wurde bzw. nachrückte) spiegelt in groben Zügen die Wahl- und Parlamentsgeschichte der SPD wieder. Bis zum Fall des Sozialistengesetzes 1890 war es nur 81 (3%) Abgeordneten gelungen, ein Reichs- oder Landtagsmandat zu erringen, wobei das Jahr 1890 mit 21 die höchste Zahl der Erstmandatare aufweist. In der langen Phase vom Fall des Sozialistengesetzes bis zur Novemberrevolution 1918 gelangten weitere 423 (17%) Sozialdemokraten zum ersten Mal in einen Reichs- oder Landtag, wobei die Jahre 1912 (65), 1909 (4l), 1903 (30), 1911 (29) und 1902 (26) die meisten Erstmandatare aufweisen. Allein in der kurzen Phase von Dezember 1918 bis 1921 erhielten 1 275 (53%; darunter 121 Frauen) Sozialdemokraten zum ersten Mal (und meist nur für kurze Zeit) ein Reichs- oder Landtagsmandat, wobei die Jahre 1919 (812 Erstmandatare!), 1920 (273) und 1921 (119) die höchsten jährlichen Zahlen von Erstmandatare für den gesamten Untersuchungszeitraum aufweisen. In der Phase von 1922 bis 1933 (bzw. bis 1938) zogen dagegen nur noch 628 (26%; darunter 56 Frauen) zum ersten Mal in einen Reichs- oder Landtag ein, wobei die Jahre 1924 (105), 1928 (104), 1932 (70), 1933 (59) und 1927 (56) die meisten Erstmandatare aufweisen.

Die Datendichte des »Erstwahlalters« der Abgeordneten (d. h. das Lebensalter des Abgeordneten zur Zeit der ersten Wahl ins Parlament) entspricht mit 93% der des Geburtsalters. Dieses Erstwahlalter reicht von 22 bis 77 Jahre und beträgt durchschnittlich 42 Jahre (Median: 42 Jahre; Modalwert: 43 Jahre); die Kohorte der 1052 (43%) Abgeordneten, die im Alter zwischen 37 und 46 Jahren zum ersten Mal in das Parlament gewählt wurden, dominiert klar. (171)(171) BIOKAND: Das »Wahlalter“ der Kandidaten (d. h. das Lebensalter des Kandidaten zur Zeit der Wahl) bewegte sich 1898 zwischen 26 und 72 Jahren, 1903 zwischen 27 und 65, 1907 zwischen 27 und 68 und 1912 zwischen 28 und 72. Das durchschnittliche Wahlalter stieg von 40.8 Jahre (1898) auf 45.4 Jahre (1912) und der Median von 40.8 Jahre (1898) auf 44.0 Jahre (1912) an. Das Erstwahlalter von Parlamentarierinnen unterscheidet sich davon nur in Nuancen. Klassifiziert man das Erstwahlalter nach schematischen Altersklassen ergeben sich folgende relative Anteile an den Parlamentariern: 4% »Unter-30-Jährige«, 39% »30-39-Jährige«, 43% »40-49-Jährige«, 16% »50-59-Jährigen« und nur 3% der Abgeordneten schafften den Sprung ins Parlament erst nach dem 59. Lebensjahr. (172)(172) BIOKAND: Die Einteilung des Wahlalters nach Altersklassen macht die Schwerpunkte der »Ver-alterung“ der Kandidaten deutlich. Der Anteil der »Unter-30-Jährigen“ sank von 6,8% (1898) auf 0,6% (1912) ab, d. h. diese Altersklasse war 1912 nur noch durch 2 Kandidaten repräsentiert. Der Anteil der »30-39-Jährigen“, die noch 1898 die stärkste Altersklasse bildeten, sank stetig und stark von 40,9% (1898) auf nur noch 26,5% (1912) ab. Die »40-49-Jährigen“ waren seit 1903 die mit Abstand dominierende Altersklasse unter den Reichstagskandidaten; ihr Anteil stieg von 36,7% (1898) auf 45,4% (1912) an. Der Anteil der »50-59-Jährigen“ nahm ebenfalls stetig zu und stieg von 14.0 (1898) auf 20,6% (1912) an; damit hatte diese Altersklasse die »30-39-Jährigen“ anteilsmäßig fast erreicht. Der Anteil der »Über-59-Jährigen“ nahm quantitativ den umgekehrten Verlauf des Anteils der »Unter-30-Jährigen“ und stieg stetig und leicht von 1,5% (1898) auf 7,0% (1912) an. Nicht nur das vorgeschriebene Abgeordnetenmindestalter des passiven Wahlrechts (im Kaiserreich zwischen 25 und 30 Jahre; in der Weimarer Republik zwischen 20 und 27 Jahre) ist für das relativ hohe Erstwahlalter verantwortlich; vor allem erfolgte die Nominierung der Parlamentarier in der Regel aus dem Kreis der »bewährten« Parteigenossen, die auf eine langjährige Parteipraxis verweisen konnten. Offensichtlich scheint sich diese »Bewährungszeit« im Untersuchungszeitraum ständig verlängert zu haben, so daß das Erstwahlalter deutlich stieg.

Die besonders in der Weimarer Republik beklagte »Uberalterung« der sozialdemokratischen Fraktionen entstand rechnerisch nicht nur durch das steigende durchschnittliche Erstwahlalter, sondern auch durch eine relativ hohe Stabilität der Abgeordnetenbesetzung bzw. der Mandatsausübung. Die Gesamtmandatsdauer reicht von nur 1 Tag bis 43 Jahre. Klassifiziert man die Gesamtmandatsdauer nach schematischen Klassen, ergibt sich folgende Verteilung: 1 307 (54%) Abgeordnete übten ihr Mandat bis zu max. 4.4 Jahre (d. h. etwa eine Mandatsperiode lang) aus, wobei die Abgeordneten mit sehr kurzer Mandatsdauer (bis 1.4 Jahre) stark überwiegen (521; 26%); 584 (24%) übten ihr Mandat zwischen 4.5 und 9.4 Jahre (d. h. etwa zwei Mandatsperioden) aus, wobei die Abgeordneten mit einer Mandatsdauer von 4.5 bis 6.4 Jahren stark dominieren (288; 12%); 446 (18%) übten ihr Mandat 9.5 bis 19.4 Jahre aus (d. h. etwa drei bis vier Mandatsperioden), wobei die Abgeordneten mit einer Mandatsdauer von 12.5 bis 14.5 Jahren stark dominieren (260; 11%); 83 (3%) Abgeordnete übten schließlich ihr Mandat 19.5 Jahre und länger aus, wobei die Abgeordneten mit einer Mandatsdauer von 19.5 bis 23.4 Jahre leicht dominieren (38; 2%). Erwartungsgemäß ist die Mandatsdauer der Parlamentarierinnen (maximal 14 Jahre) geringer: 102 (58% von 177) übten ihr Mandat bis zu max. 4.4 Jahre aus, wobei auch hier die Abgeordneten mit sehr kurzer Mandatsdauer (bis 1.4 Jahre) stark überwiegen (54; 31% von 177); 38 (21% von 177) übten ihr Mandat zwischen 4.5 und 9.4 Jahre aus, wobei ebenfalls die Abgeordneten mit einer Mandatsdauer von 4.5 bis 6.4 Jahren dominieren (20; 11% von 177); 37 (21% von 177) übten ihr Mandat länger als 9.4 Jahre aus, wobei allein 16 Parlamentarierinnen ihr Mandat während der gesamten Weimarer Republik ausübten.

Inwieweit bestand nun eine Kontinuität zwischen der Weimarer Republik und der Zeit nach 1945 im Hinblick auf eine erneute parlamentarische Tätigkeit der Abgeordneten? Bis 1946 waren schon mehr als die Hälfte (mind. 52%) der Abgeordneten verstorben, kamen demnach für eine erneute parlamentarische Tätigkeit nicht in Betracht. Mind. 336 (darunter 31 Frauen) ehemalige Abgeordnete waren nach 1945 nachweislich in den Westzonen bzw. in der Bundesrepublik erneut politisch aktiv; davon übten 111 (darunter 12 Frauen) Abgeordnete ein Landtagsmandat und noch 32 (darunter 2 Frauen) ein Bundestagsmandat aus. Mind. 82 (darunter 8 Frauen) Abgeordnete waren nach 1945 in der SBZ bzw. in der DDR erneut politisch aktiv; davon übten 26 (darunter 2 Frauen) ein Landtagsmandat (die Landtage wurden jedoch schon 1951 aufgelöst) und 14 (darunter keine Frau) ein Volkskammermandat aus.

g) Lebensdauer und Tod

Die Datendichte der Variable »Lebensdauer« ist mit 80% relativ hoch. Die Spannweite der Lebensdauer der Parlamentarier reicht von nur kurzen 24 Jahren bis hin zu langen 98 Jahren. 11 Abgeordnete lebten zur Zeit der Erhebung noch: Hermine Berthold, Karl Paul Bielig, Gottfried Bock, Erich Brost, Bernhard Brügmann, Josef Felder, Franz Höppner, Paula Karpinski, Anna Kopeke, Hildegard Ollenhauer und Albert Sanneck. Die Jahre, in denen mit Abstand die meisten Abgeordneten starben, sind 1945 (100 Todesfälle), 1944 (56), 1957 (50) und 1933 (48). Die Lebensjahre, in denen die meisten Abgeordneten starben, sind 77 Jahre (65 Todesfälle), 75 Jahre (63 Fälle), 70 Jahre (62 Fälle), 76 Jahre (61 Fälle) und 71 Jahre (60 Fälle). Vor dem 40. Lebensjahr starben nur 20 (0,8%), vor dem 50. Lebensjahr 121 (5,0%) und vor dem 60. Lebensjahr 385 (15,9%) Parlamentarier. Die durchschnittliche Lebensdauer der Parlamentarier beträgt 70.1 Jahre (Median: 70.0). (173)(173) BIOKAND: Die Spannweite der Lebensdauer der Reichstagskandidaten reicht von 32 Jahren bis 98 Jahren. Die Jahre, in denen mit Abstand die meisten starben, sind 1932 (25 Todesfälle), 1945 (2l) und 1939 (19). Die höchste Verteilungsdichte liegt zwischen den Todesjahren 1927 und 1947, in diesen 21 »Todesjahrgängen“ starben mehr als die Hälfte (50,4%) der Kandidaten. Bei einer fast stabilen Standardabweichung (ca. 12.0) stieg die durchschnittliche Lebensdauer der Reichstagskandidaten mit jeder Wahl an: von 67.6 Jahre (Kandidaten 1898) auf 69.1 Jahre (Kandidaten 1912). Damit liegt die durchschnittliche Lebenserwartung der Parlamentarier, auch wenn man deren Durchschnittsalter bei der Übernahme des Mandats berücksichtigt, noch höher als die der damaligen männlichen Bevölkerung im Deutschen Reich.

Diese Ergebnisse dürften der wohl bekanntesten zeitgenössischen Hypothese zur Lebenserwartung der sozialdemokratischen »Berufsführer« deutlich widersprechen; Robert Michels hatte behauptet, daß vor allem die Überhäufung mit den vielfältigsten Amtern für diese »Berufsführer … in hohem Maße anstrengend« und »gesundheitlich aufreibend« sei und daß dies zumindest »für die nervenschwacheren unter ihnen« einen frühzeitigen, vorzeitigen Tod bedeute. (174)(174) Michels, Soziologie, S. 53 f. Wenn man die relativ niedrige durchschnittliche Lebenserwartung von bestimmten Berufsangehörigen (z. B. von Maurern, Schuhmachern, Tabakarbeitern), die besonders häufig unter den Parlamentariern (zumindest dem »erlernten« Beruf nach) vertreten waren, betrachtet, dann gewinnt man eher den Eindruck, daß gerade die Aufgabe des (strapaziösen) erlernten (Arbeiter-)Berufes und der Wechsel insbesondere in eine Arbeiterbeamtenposition für viele Abgeordnete nicht »lebensverkürzend«, sondern deutlich »lebensverlängernd« gewirkt hat. (175)(175) BIOKAND: Leider macht Robert Michels keine Angaben zur präzisen Bestimmung eines »frühen Todes“. Definiert man einen »frühen Tod“ operational mit einem Sterbealter unter 45 Jahren, um die Michelsche Hypothese überprüfen zu können, dann ergibt sich nur noch eine kleine Gruppe von insgesamt 27 (= 4,0% von 674) Kandidaten; von 19 der 27 Kandidaten ist die Todesursache verläßlich bekannt: davon 7 in geistiger Umnachtung bzw. »nervenkrank“ (oft durch Selbstmord), 3 fielen als Soldaten im Ersten Weltkrieg, 3 wurden Opfer von Unfällen und 6 starben – meist berufsbedingt – an der »Proletarierkrankheit“. Tatsächlich ist der Anteil derjenigen Reichstagskandidaten, die nachweislich (und nicht nur in jungen Jahren wie oben) durch Selbstmord oder in geistiger Umnachtung aus dem Leben schieden, mit mindestens 3,0% (20) sehr hoch. Diese Todesumstände sind allerdings eher typisch für die Vertreter der »älteren“ Arbeiterbewegung: während von den Reichstagskandidaten der Wahl von 1898 noch mindestens 4,6% (13) zu dieser Sondergruppe gehörten, waren es bei denen der Wahl von 1912 nur noch 1,6% (6). Ohne hier auf die näheren Gründe für diese »außergewöhnlichen“ Todesumstände eingehen zu können, läßt sich zumindest für die Vertreter der »älteren“ Arbeiterbewegung die Michelsche Hypothese eher bestätigen. Aber auch hier mahnt der Vergleich mit größeren Grundgesamtheiten zur Vorsicht bei der Bewertung; zieht man z. B. die jährlichen Mortalitätsstatistiken der freigewerkschaftlichen Einzelverbände zum Vergleich heran, dann sind »Selbstmord/Wahnsinn“ unter den Todesursachen stets in einer Höhe von 3% bis 7% (hier besonders bei den Textilund Bauarbeitern sowie bei Berliner Metallarbeitern) vertreten.

Das Lebensalter der Parlamentarierinnen liegt deutlich höher als das der männlichen Abgeordneten. Die Spannweite der Lebensdauer der Parlamentarierinnen reicht von 42 Jahren bis hin zu langen 98 Jahren; 4 Frauen lebten zur Zeit der Erhebung noch. Die Todesjahre streuen stark, kein Jahr ist besonders häufig repräsentiert. Vor dem 40. Lebensjahr starb – soweit bekannt – keine Parlamentarierin, vor dem 50. Lebensjahr starben nur 5 (l% von 177) und vor dem 60. Lebensjahr 18 (10% von 177) Parlamentarierinnen. Die durchschnittliche Lebensdauer der Parlamentarierinnen beträgt 74.6 Jahre (Median: 76.0); damit liegt die durchschnittliche Lebenserwartung der Parlamentarierinnen um 4 bis 5 Jahre höher als die der männlichen Abgeordneten.

Für den Sterbeort bestanden dieselben (länderbezogenen) Erhebungsregeln wie bei der Geburtsregion; außergewöhnliche Sterbeorte (hier in der Regel Tod in einem Konzentrationslager, Zuchthaus/Gefängnis oder als Kriegsteilnehmer) erhielten eigene Codes zugewiesen. Die Datendichte ist mit 80% deutlich geringer als bei dem Geburtsort, aber deutlich höher als ursprünglich erwartet wurde. Zumindest bei den Landtagsabgeordneten wird der Sterbeort (Sterberegion) wesentlich durch das Land, in der der jeweilige Abgeordnete sein Mandat ausgeübt hat, bestimmt. Zieht man die Grundgesamtheiten der Landtage für die Weimarer Republik als Beispiele heran, läßt sich dieser Zusammenhang deutlich erkennen: im Mandatsland selbst sterben u. a. in Schaumburg-Lippe 95% der Abgeordneten (85% sind auch dort geboren), in Bayern 94% (gebürtig: 80%), in Bremen 86% (gebürtig: 34%), in Hessen 81% (gebürtig: 57%), in Lübeck 76% (gebürtig: 37%), in Baden 73% (gebürtig: 53%), in Hamburg 68% (gebürtig: 33%) und in Oldenburg 60% (gebürtig: 35%). Insgesamt sterben die Abgeordneten in folgenden Ländern: mind. 540 (22%) in Preußen, 170 (7%) in Hamburg, 169 (7%) in Bremen, 160 (7%) in Bayern, 97 (4%) in Württemberg, 90 (4%) in Sachsen, 87 (4%) in Lübeck, 85 (4%) in Baden, 74 (3%) in Thüringen, 73 (3%) in Hessen, 58 (2%) in Braunschweig, 40 (2%) in Oldenburg, 30 (l%) in Mecklenburg-Schwerin, 23 (l%) in Lippe, 20 (l%) in Anhalt, 19 (l%) in Schaumburg-Lippe, 13 (l%) in Waldeck und 6 in Mecklenburg-Strelitz. Insgesamt verstarben mindestens 64 (3%) Abgeordnete in NS-Haft (176)(176) BIOKAND: 11 (2%) Kandidaten verstarben in NS-Haft. und 87 (4%) Abgeordnete in der Emigration; 5 Abgeordnete fielen als Soldaten im Felde.

h) »Typischer« Lebenslauf

Faßt man – je nach Lebenslaufvariable – die Modalwerte, die arithmetischen Mittel, die dichtesten Verteilungen etc., die sich für die Kollektivbiographie ergeben haben, zusammen und kondensiert diese zu einem quasi individualbiographischen Konstrukt »typischer Lebenslauf«, erhält man folgendes Ergebnis:

Der »typische männliche sozialdemokratische Parlamentarier« (177)(177) BIOKAND: Der »typische Reichstagskandidat“ .. .: (l) ist zwischen 1858 und 1875 in einem Ort, der in einem nicht-großstädtischen Reichstagswahlkreis (in Preußen) liegt, geboren; (2)-(8) wie BIOSOP; (9) übt längere Zeit – teils als Selbständiger – seinen erlernten Beruf aus und übernimmt im Alter zwischen 27 und 34 Jahren eine besoldete Arbeiterbeamten-Position, dabei wechselt er bis 1914 nur selten die Funktion bzw. die Funktionsebene und den Arbeitsort; (l0) kandidiert nach einer langjährigen »Bewährungszeit“ in der Arbeiterbewegung im Alter zwischen 40 und 45 Jahren als Einzel- kandidat in einem Wahlkreis seiner »Geburtsheimat“ erfolglos zum Reichstag (bis 1914); (ll) bewirbt sich dagegen insgesamt erfolgreich im Kaiserreich bzw. in der Weimarer Republik um ein Reichstags- oder Landtagsmandat und um ein Mandat in den Kommunalparlamenten; (12) stirbt nach dem 65. Lebensjahr unter »normalen« Umständen.

  1. ist zwischen 1868 und 1887 (insbesondere 1873 bis 1882) in einem Ort, der in der späteren Mandatsregion (allgemein: in Preußen) liegt, geboren.
  2. ist Sohn eines handwerklich gelernten Arbeiters, der zumindest vorübergehend auch gewerberechtlich als Selbständiger tätig war.
  3. gehört zunächst der protestantischen Kirche an und tritt später aus der Kirche aus.
  4. besucht die Volksschule und bildet sich später in der Fortbildungsschule oder in Bildungskursen weiter.
  5. erlernt – ähnlich wie der Vater – einen Handwerksberuf bzw. einen industriellen Facharbeiterberuf.
  6. absolviert einen mehrjährigen Militärdienst, nimmt aber nicht mehr aktiv als Soldat am Ersten Weltkrieg teil.
  7. heiratet nach der Absolvierung des Militärdienstes im Alter zwischen 22 und 28 Jahren.
  8. hat frühzeitigen Kontakt zur Arbeiterbewegung und tritt im Alter zwischen 19 und 25 Jahren der Partei bzw. der Gewerkschaft bei.
  9. übt län gere Zeit – teils als Selbständiger – seinen erlernten Beruf aus und übernimmt später – noch vor Mandatsantritt – eine besoldete Arbeiterbeamten-Position (insbesondere bei den Gewerkschaften und der Parteipublizistik).
  10. wird nach einer langjährigen »Bewährungszeit« in der Arbeiterbewegung im Alter zwischen 37 und 46 Jahren und in der Phase von Dezember 1918 bis 1921 zum ersten Mal als Abgeordneter in den Landtag seiner »Geburtsheimat« gewählt; sein Landtagsmandat übt er nur für eine Mandatsperiode aus.
  11. stirbt nach dem 67. Lebensjahr in seiner Mandatsregion.

Die »typische sozialdemokratische Parlamentarierin« …

  1. ist zwischen 1875 und 1888 in einem Ort, der in der späteren Mandatsregion (allgemein: in Preußen) liegt, geboren.
  2. ist Tochter eines handwerklich gelernten Arbeiters, der zumindest vorübergehend auch gewerberechtlich als Selbständiger tätig war.
  3. gehört zunächst der protestantischen Kirche an und tritt später aus der Kirche aus.
  4. besucht die Volksschule.
  5. arbeitet nach Schulabschluß als »Angestellte« (Dienstmädchen, Handlungsgehilfin) oder als »Arbeiterin«.
  6. heiratet früh (spätestens im 24. Lebensjahr).
  7. hat frühzeitigen Kontakt zur Arbeiterbewegung und tritt im Alter zwischen 20 und 29 Jahren der Partei bzw. der Gewerkschaft bei.
  8. übt bis zur frühen Heirat ihren erlernten Beruf aus und ist anschließend als Hausfrau tätig.
  9. wird nach einer langjährigen »Bewährungszeit« in der Arbeiterbewegung im Alter zwischen 38 und 47 Jahren und in der Phase von Dezember 1918 bis 1920 zum ersten Mal als Abgeordnete in den Landtag ihrer »Geburtsheimat« gewählt; ihr Landtagsmandat übt sie nur für eine Mandatsperiode aus.
  10. stirbt nach dem 73. Lebensjahr in ihrer Mandatsregion.
  11. An diesen Konstrukten »typischer Parlamentarier« und »typische Parlamentarierin« überrascht die zunächst aufgrund der kollektivbiographischen Betrachtungsweise nicht erwartete individualbiographische »Realitätsnähe«: cum grano salis bilden diese Typen in den Grundzügen die Lebensläufe zahlreicher Parlamentarier/Parlamentarierinnen auch tatsächlich ab. Dieses Ergebnis wird auch durch weitergehende Analyseverfahren (wie Kontrastgruppenanalyse oder Clusteranalyse), die hier nicht vorgestellt werden konnten, bestätigt, d. h. hier konnte u. a. auch ein individueller »Haupttypus« unter den Lebensläufen der sozialdemokratischen Parlamentarier herausgearbeitet werden. Allerdings zeigen diese weitergehenden Verfahren auch, daß es den typischen Lebenslauf sicherlich nicht gibt, sondern daß sich – je nach vorgegebenem Klassifikationszusammenhang – eine Reihe von unterschiedlichen Typen erkennen lassen.